Hoch über Wangen, wo der Holzweg in den Bürgerwaldpfad übergeht, setzen Andreas Knauf, Anton Janz und Linus Kummer Stein für Stein sorgfältig und präzise aufeinander. Erst prüfen sie, welcher der vielen Natursteine möglichst genau an die richtige Stelle passen könnte. Manchmal müssen sie die Steine mit Hammer und Meißel noch ein bisschen nachformen, schließlich soll die Trockenmauer dort oben richtig stabil sein und lange halten. Manchmal muss auch der kleine Presslufthammer helfen. 

Die drei – Knauf ist der Chef des Stuttgarter Gartenbaubetriebs, Janz sein Sohn, Kummer Praktikant vor dem Studium – werden voraussichtlich noch bis Oktober Tag für Tag am Wangener Panoramaweg beschäftigt sein. Etwa 35 Meter lang wird die Trockenmauer, die sie ganz ohne Beton dorthin stellen, in traditioneller Bauweise, leicht nach hinten zum Hang hin geneigt. Eine schweißtreibende Arbeit bei den hochsommerlichen Temperaturen der vergangenen Tage. Richtig schütten darf es aber auch nicht, dann ist dort oben kein sicheres Arbeiten mehr möglich. Und dann dauert es eben etwas länger, bis das neue Schmuckstück des Panoramawegs fertig ist. 

Der Wangener Panoramaweg ist die jüngste Wegstrecke unter den vielen Wandeln und Wegen, die sich kreuz und quer über die Wangener Höhe ziehen. Initiator des Mitte 2022 eröffneten Wegs und auch jetzt der neuen Trockenmauer ist der Wangener Ortshistoriker Martin Dolde. Auf dem Weg kann man sozusagen mitten in der Großstadt fast schon abenteuerlich wandeln.

Abenteuer gleich hinter der Kirche
Das Abenteuer fängt gleich hinter der Michaelskirche im Stuttgarter Stadtbezirk Wangen an. Die Kirche selbst ist schon sehenswert, ist sie doch eine der ältesten Kirchen der Landeshauptstadt, ursprünglich einmal um 1250 als kleine Wehrkirche gebaut. Direkt dahinter geht es erst die vielen Stufen der Faultannenfurche hinauf und dann schon ziemlich weit oben scharf rechts in den wirklich schmalen Holzweg. Schon ist man mitten in der Idylle der Wangener Wandelwege, mal mit Aussicht, mal fast beängstigend steil, mit sonnenheißen Abschnitten und angenehm kühlen schattig-dunklen Stellen. Wer diese Wandelwege sicher genießen will, sollte sich feste Schuhe anziehen, genug zu trinken einpacken, wenigstens ein kleines bisschen Kondition mitbringen und halbwegs trittsicher sein. 

Auf dem um 1540 erstmals erwähnten Holzweg wurde einst tatsächlich Holz aus dem Bürgerwald abtransportiert. Angesichts des oft schmalen Wegs ist das heute kaum vorstellbar. Der Bürgerwaldpfad wiederum verbindet den Holzweg mit dem steilen Spittelberg-Treppenweg, der aus der Zeit um 1800 stammt. Seit der Eröffnung des Panoramawegs vor drei Jahren hat sich an der anfangs stellenweise herausfordernden Wegstrecke viel getan. Am Treppenweg und auch an anderen Stellen wurden Stufen erneuert, damit sicher hinauf- oder hinabgestiegen werden kann. Etliche Seilhandläufe geben den Wanderern und Spaziergängern jetzt einen sichereren Halt an besonders schmalen oder unwegsamen Stellen. Und einige Sitzbänke laden nicht nur zur zwischendurch notwendigen Rast ein, sondern auch dazu, die Aussicht und die vielfältige Natur zu genießen. Schließlich sind die Wandelwege auch ein Paradies für Vögel, Schmetterlinge, Insekten aller Art. 

Fortsetzung des Wandelprojekts
Der Panoramaweg ist die Fortsetzung des Wandelprojekts, in dem über Jahre hinweg in zum Teil mühevoller Arbeit Wege wieder freigeschnitten, Trockenmauern und Staffeln restauriert, Strecken beschildert wurden. Das Projekt wurde gemeinsam von der Landeshauptstadt Stuttgart, dem Verband Region Stuttgart und der Stiftung Naturschutzfonds beim damaligen Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz in den Jahren 2008 bis 2014 finanziert und umgesetzt. 

Mit Hammer und Meißel werden die Steine bei Bedarf noch in Form gebracht. Das Schnurgerüst hilft, dass die Mauer richtig geneigt ist und gerade wird.Mit Hammer und Meißel werden die Steine bei Bedarf noch in Form gebracht. Das Schnurgerüst hilft, dass die Mauer richtig geneigt ist und gerade wird.Per Schrägaufzug hoch über Wangen kommen die Steine hinunter zum Bauort am Panoramaweg.Per Schrägaufzug hoch über Wangen kommen die Steine hinunter zum Bauort am Panoramaweg.

„Dadurch ist ein reizvolles Labyrinth aus Wegen und Staffeln kreuz und quer durch (ehemalige) Weinberge und Schrebergärten wiederauferstanden – mit teils kunstvollen Pflasterbelägen, Grenzsteinen und Trockenmauern, mit Spannbögen, Fischgrätmustern und Aussichtspunkten, die einen Blick aufs Dürrbach- und Neckartal bieten“, heißt es auf der Internetseite des Verbands Region Stuttgart über das Projekt. Nach wie vor werden jedes Jahr 75 000 Euro für die Instandhaltung der Wege von der Stadt bereitgestellt. 

Mühsamer Stein-Transport
Auch die gerade entstehende mächtige neue Trockenmauer ist zum Teil ein städtisches Projekt, zum Teil finanziert aber auch Martin Dolde ein Stück der Mauer. Die vielfältigen Herausforderungen dabei für Andreas Knauf und seine beiden Mitarbeiter fangen schon bei der Anlieferung der schweren Natursteine an, schließlich führt keine Straße zum Bürgerwaldpfad oder Holzweg. Knauf bringt die Steine mit dem Lastwagen über den Wangener Höhenweg so nahe wie möglich an eine Stelle oberhalb des Panoramawegs. Mit Hilfe eines sogenannten Raupendumpers mit Kippmulde transportiert er sie dann einen schon relativ steilen Weg hinunter zu einem Gartengrundstück direkt über dem Panoramaweg. Von dort wiederum müssen die Steine zum Teil von Hand bis zum auf dem Hang montierten Schrägaufzug geschafft werden, mit dessen Hilfe sie dann endlich dort ankommen, wo sie verbaut werden können.

 Knauf schätzt, dass sie für die Mauer etwa 50 Tonnen Steine verbauen werden. Damit angefangen haben sie im Juli. Erst musste ein Graben für das Fundament ausgehoben werden, den füllten und verdichteten sie mit Schotter, darauf wird jetzt die Mauer gesetzt. Ein Schnurgerüst hilft ihnen, eine Neigung von etwa 13 Prozent zum Hang hin einzuhalten. In regelmäßigen Abständen setzen sie sogenannte Bindersteine, die nach hinten in die Hintermauerung ragen, wie kleine Anker wirken und die Mauer so stabilisieren. Die Hintermauerung ist so gestaltet, dass einerseits keine Erde hineinfallen und bei Starkregen wieder abgetragen werden kann, andererseits aber auch genug Freiräume beispielsweise für Eidechsen bleiben. Beim Knauf-Team hoch über Wangen schaut regelmäßig die Bauleiterin, eine Landschaftsarchitektin vorbei, auch im Auftrag der Denkmalbehörde. Und Martin Dolde ist ohnehin immer wieder dort oben unterwegs.

→ Mehr über die Wangener Wandelwege ist unter anderem auf der Webseite der Landeshauptstadt zu erfahren: https://www.stuttgart.de/medien/ibs/erholungvor-der-haustuer.pdf

Von Jürgen Brand