Es klingt wie eine Dystopie: Ein kleines Land, das sich mit aller Kraft gegen Putins Großmachtpläne stemmt. Eine fragile Demokratie, die unterhöhlt wird von prorussischen Kräften. Was in der Republik Moldau bereits Wirklichkeit ist, droht auch anderen Ländern, wenn Putin kein entschiedenes Stoppschild hingestellt bekommt. So sehen es viele Experten, so sieht es auch Friedrich Merz. In vier Wochen entscheidet sich, ob Moldau Putins nächste Trophäe wird.
Es ist heiß an diesem Mittwoch in der moldawischen Hauptstadt Chisinau. Fast 30 Grad am Nachmittag. Aber es herrscht Kalter Krieg. „Moldau ist nicht nur geografisch, sondern auch historisch Teil der europäischen Familie“, sagt der deutsche Kanzler anderthalb Stunden nach seiner Landung im 2,4-Millionen-Einwohner-Land zwischen Rumänien und der Ukraine. „Wir stehen Ihnen bei, Ihre Freiheit und Ihre Souveränität zu bewahren.“ Russland arbeite jeden Tag daran, Freiheit, Wohlstand und Frieden zu stören.
Dieser Mittwoch ist Tag neun nach dem Ukraine-Gipfel in Washington. Innerhalb von zwei Wochen, so hatte es Merz nach dem Treffen im Weißen Haus noch gehofft, könnte ein Treffen zwischen Wolodymyr Selenskyj und Wladimir Putin zustande kommen. Am Tag neun ist die Ernüchterung an einem Tiefpunkt angekommen. Putin spielt auf Zeit und bombt weiter. Trump seinerseits hat ebenfalls keine Eile mehr: Am Freitag gab er Putin nochmal zwei Wochen Zeit – dann werde er eine Entscheidung treffen. Es könne massive Sanktionen gegen Moskau geben – oder aber er werde „nichts unternehmen“. Lässt Trump die Europäer am Ende allein in ihrem Kampf gegen Putin?
Putins Angriff: Proteste, Stimmenkauf, Fake News, Hacker-Angriffe
Merz‘ Regierungsflieger ist an diesem Tag eine Art politische Zeitmaschine. In Moldau kann Europa in die eigene Zukunft blicken – zumindest in die düstere Variante dieser Zukunft: Ende September stehen hier Parlamentswahlen an. Bereits jetzt warnen Beobachter davor, dass der Kreml die Wahlen in Moldau zum Testfall für die perfekte Manipulation machen will: Ihr Land sei Ziel einer „beispiellosen Einmischung“ Russlands, sagt die proeuropäische Staatspräsidentin Maia Sandu. Beobachter werfen Russland vor, mit bezahlten öffentlichen Protesten, Stimmenkauf, Fake News und gefälschtem Content auf Social-Media-Kanälen sowie Hacker-Angriffen die Wahlen zu beeinflussen.
Deutschland hat Moldau in der Vergangenheit mit rund 200 Millionen Euro unterstützt – für die Verteidigung und die Sicherheit der Energieversorgung. Die Bundesregierung hilft bei der Cyberabwehr und im Kampf gegen Desinformationskampagnen. Moldau war bereits 2024 Ziel russischer Manipulationskampagnen: Die Präsidentenwahlen und das Referendum über den EU-Beitritt wurden ebenfalls mit zahlreichen Falschbehauptungen begleitet. Sowohl für Sandu als auch für einen EU-Beitritt gab es am Ende jeweils eine knappe Mehrheit. Die Wahl im September wird darüber entscheiden, ob Moldau weiter auf seinem Weg nach Westen oder zurück nach Osten geht. Sollte die Allianz aus prorussischen Parteien an die Regierung kommen, hätte Putin gesiegt.
Merz ist nicht allein nach Moldau gekommen, auch der französische Präsident Emmanuel Macron und der polnische Ministerpräsident Donald Tusk sind da – und damit zwei politische Freunde, die Merz gleich am ersten Tag seiner Kanzlerschaft besucht hat. Merz, Macron und Tusk bilden seitdem eine relativ stabile Achse in Europa, wenn auch das Verhältnis zu den Polen durch die verschärften Grenzpolitik der Deutschen gleich zu Beginn empfindlich irritiert wurde.
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Hier in Moldau ist von Verstimmungen nichts zu spüren. Hier tun die Drei das, was sie seit Wochen tun: Sichtbar stellen sie sich an die Seite von Ländern, die von Putin bedroht werden. Allen voran die Ukraine, aber längst auch Moldau. In der moldawischen Region Transnistrien, die seit den 1990er-Jahren von Moldau abtrünnig ist, hat Russland einen eigenen Truppenstützpunkt, Putin steht hier nicht vor der Tür, sondern bereits im Raum.
Merz-Besuch für Moldau eine große Geste
Konkreter Anlass der Merz-Reise ist der moldauische Unabhängigkeitstag. Die drei westlichen Regierungschefs treffen neben Staatspräsidentin Sandu auch Premierminister Dorin Recean und Parlamentspräsident Igor Grosu – Namen, die Deutschland kaum jemand kennt, die aber jetzt im Zentrum von Putins Kaltem Krieg stehen.
Für das kleine Moldau ist der Besuch eine immense politische Geste: Bei der öffentlichen Feier auf dem zentralen Platz der Hauptstadt werden an diesem Abend 80.000 Menschen erwartetet, die Reden von Merz, Macron und Tusk sollen im Fernsehen übertragen werden. „Moldau ist auf der Karte der Welt gelandet“, sagt Sandu. „Ihre Anwesenheit hier zeigt nicht nur die Unterstützung für Moldau, sondern, dass das europäische Projekt fortgesetzt wird.“
Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion
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Der Kanzler fliegt noch am Abend zurück nach Deutschland – aber nicht nach Berlin. Merz ist in dieser Woche ununterbrochen unterwegs: An diesem Donnerstag besucht er ein Marinemanöver an der Ostseeküste. Später fliegt Merz mit einigen Kabinettsmitgliedern nach Frankreich – während die beiden Regierungsfraktionen von Union und SPD in Würzburg das Klima in der Koalition retten wollen. Am Wochenende geht es für Merz nach NRW – in sein Heimatbundesland – aber eben auch in das Land von Hendrik Wüst, seinem ewigen Widersacher. Im Landesverband ist die Stimmung alles andere als gut. Die schlechten Umfragen, die Kommunalwahl Mitte September: der Druck auf die CDU im Westen ist hoch. Merz wird das zu spüren bekommen. Noch so eine offene Kanzler-Baustelle.