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Maya Rosa. © Peter Rigaud
Moskau in der Zeit des putinistischen Glamours: Maya Rosa und ihr Roman „Moscow Mule“. Eine Begegnung.
Es ist so ein Tag in Berlin, an dem allen etwas dazwischenkommt. Maya Rosa ruft ihre Entschuldigung schon, während sie noch bremst, springt vorm Café Bilderbuch in Schöneberg vom Rad und hätte es beinahe nicht ordentlich abgeschlossen. Wir verwickeln uns spontan in ein Gespräch über Fahrraddiebe.
Hier sind wir verabredet, weil Maya Rosa zuerst in Schöneberg wohnte, als sie in die Stadt kam. Das Café Bilderbuch in der Akazienstraße, das aussieht, als wäre es aus alten Wohnzimmern zusammengesetzt, mit Sofas, Sesseln, einem Flügel und vielen Bücherregalen, war ihr Lieblingscafé damals. „Ich mag das Viertel, weil es hier wuchert von kleinen Unternehmen und Läden“, sagt sie. „Es gibt noch einen Schuster, es gibt alte Schallplatten und Antiquitäten, hier dürfen die Augen reisen.“
Seit 2011 ist sie in Berlin, geboren wurde sie 1987 in Moskau. Wenn man ihren Roman „Moscow Mule“ liest, der gerade erschienen ist, und ihre russisch gefärbte Sprachmelodie hört, kann man sich vorstellen, dass es so manche Parallele gibt zwischen ihr und ihrer Heldin Karina, der Ich-Erzählerin des Buchs. Doch schon der Zeitpunkt ist ein anderer. Das Buch spielt im Herbst und Winter 2006/2007. Die Handlung ist erfunden und in einen realen Rahmen gesetzt.
Karina, die mit ihrer Freundin Tonya zusammen Journalismus studiert, wird durch den Mord an Anna Politkowskaja, ein paar Straßen von ihrem Campus entfernt, aufgestört: „Ziemlich ironisch, denn unser Studiengang hieß Politischer Journalismus.“ Über ihre Fakultät sagt sie, dass sie „den sogenannten putinistischen Glamour darstellte“, sie sei ein „Spiegel dieser satten, prosperierenden Epoche“. Mit Politkowskajas Tod erwacht ihr Traum, ins Ausland zu gehen.
Im Café nimmt Maya Rosa ein Sprudelwasser, wünscht sich Zitronenscheibchen und Eis dazu. Sie bestellt nicht den Cocktail, den das Buch im Titel trägt. Erstens, weil wir uns am Vormittag getroffen haben. Zweitens, weil „Moscow Mule“ im Roman nicht als Drink gemeint ist, sondern für eines von vielen treffenden Bildern steht. Karina sei, sagt jemand über sie, beladen wie ein Maultier, englisch: Mule. Im Buch folgt man einer jungen Frau, die mit ihrem Studium nicht froh wird, sich fast täglich stundenlang durch den öffentlichen Nahverkehr kämpft, die ihrer Mutter lästig ist, die von der Oma bemuttert wird, die einen Freund hat, der vielleicht fremdgeht, die Kontakt zu ausländischen Studenten sucht. Zwischendurch gibt es Demonstrationen und Karina staunt, dass sogar der Schachweltmeister Gari Kasparow plötzlich öffentlich Kritik äußert.
Das Buch
Maya Rosa: Moscow Mule. Roman. Penguin, München 2025. 320 S., 24 Euro.
Maya Rosa sagt: „Russland ohne Politik kann man sich nicht vorstellen. Nicht einmal zu jener Zeit. Man kann sich nicht allein auf die Natur oder die Ballettschule konzentrieren oder nur an Dostojewski denken. Es gibt die Tschetschenienkriege und den Dauerkonflikt mit Georgien, es gibt noch viel mehr schreckliche Dinge, die Europa gar nicht bemerkt. Darüber schreiben wollte ich nicht. Aber ich halte es im Hintergrund.“ Maya Rosa benutzt eine englische Wendung: „You cannot unwatch this.“ Es lässt sich nicht übersehen.
Sie habe sich mit dem Buch bewusst auf die Seite des Schönen begeben, sagt sie. „Ich wollte eine fröhliche, helle Stimme sein, die etwas Positives in unser Leben einbringt, die eine Vision vermittelt, dass man einen Weg finden könnte, glücklich zu sein.“ Karina, ihre Erzählerin, sei nicht sie selbst, aber ein Teil von ihr. „Ich würde sagen: ein stärkeres, selbstbewussteres, furchtloseres Ich.“
Nun, furchtlos und zielstrebig ist sie selbst aus Russland weggegangen; erst mit einem Stipendium für ein Semester, dann, um ihren Master zu machen. Damals arbeitete sie bereits parallel als Dolmetscherin und Übersetzerin in den verschiedensten Bereichen, „von der Modewoche zur Grünen Woche“, wie sie sagt.
„Man sah der Stadt das Dunkle nicht an“
Die Frage, ob sie bei dieser Arbeit etwas über Deutschland gelernt habe, erscheint ihr abwegig. So eine professionelle Umgebung habe mit Nationalität nichts zu tun. Über die deutsche Bürokratie vielleicht? Da muss sie lachen. „Die lernt man schon kennen, wenn man nur ein Visum beantragen will.“ Eine Kostprobe davon schildert sie im Roman. In der Realität bekam sie dies noch einmal zu spüren, als sie die deutsche Staatsbürgschaft beantragte.
Weil sie dafür die russische aufgeben musste, hatte sie den Schritt hinausgezögert. Aber als Putins Armee in der Ukraine einmarschierte, „das war so schockierend und so schmerzvoll, da war es meine erste Reaktion, noch in jener Woche im Februar 2022, dass ich die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt habe“. Bis zum Bescheid vergingen fast drei Jahre, bis zum Januar 2025. Sie spricht darüber ohne Vorwurf. „Warum sollte es leicht sein? Wenn Einbürgerung einfach wäre, könnte die Europäische Union mit ihren Prinzipien vom Sozialstaat und so weiter nicht mehr funktionieren.“
Maya Rosa. © Peter Rigaud
Ihre Mutter lebt noch in Moskau. Maya Rosa war zum letzten Mal vor zehn Jahren dort. Den Besuch hat sie als verstörend in Erinnerung. Russland hatte gerade die Krim annektiert. Es gab eine offen homophobe Stimmung. „Gleichzeitig war die Stadt so prächtig, glänzend, clean geradezu, man sah ihr das Dunkle nicht an.“ Sie war froh, ausgewandert zu sein. „Für mich ist Russland ein abgeschlossenes Kapitel, ich habe meine Wahl getroffen“, sagt sie. Ihr Leben spielt sich in Deutschland ab, wo sie ihre eigene Familie hat, zwei Kinder, wo sie zwei Master-Abschlüsse hat, einen von der Humboldt-Universität in Anthropologie, einen vom Literaturinstitut in Leipzig.
Schreibend aber ist sie zurückgegangen in das Land ihrer Herkunft. Lebhaft, voller Witz, mit sarkastischen Einsprengseln schildert sie die Abenteuer ihrer jungen Helden. Während deren Großeltern noch vom Leiden unter Breschnews Stagnation reden, haben die Eltern den Aufbruch unter Gorbatschow und die unendlichen Möglichkeiten unter Jelzin mitbekommen. Karina erlebt ausgedehnte Partys, ahnt aber, dass es so nicht weitergehen wird. Am Grab Politkowskajas denkt sie auch an die anderen getöteten Journalisten. „Die Berichte über ihre Ermordungen waren im Fluss der staatlichen Nachrichten kaum sichtbar, wie Schwermetalle in einem Körper.“
Schriftstellerin zu sein, ein Buch zu schreiben, sei ein Kindheitstraum gewesen, „irgendwo im Dachboden von meinem Kopf“, sagt Maya Rosa. Eines Tages habe sie in einer Zeitschrift ein Interview mit Juli Zeh gelesen, die ihr Studium am Deutschen Literaturinstitut ihre besten Jahre nannte. Da wollte sie es wenigstens einmal probieren. Schließlich schrieb sie lange schon Kurzgeschichten. Maya Rosa muss nun lauter sprechen, das Café wird von einer Geburtstagsgesellschaft heimgesucht. Kurz vor Abgabefrist habe sie ein Exposé und ein paar Seiten des jetzigen Romans als Bewerbung geschickt. Sie wurde gleich bei diesem ersten Versuch angenommen.
„Ich finde, ich bin immer noch keine Schriftstellerin, ein Buch reicht noch nicht. Erst muss ein zweites rauskommen oder ein drittes. Wenn ich überhaupt ein drittes schreiben darf“, sagt sie. Da könnte sie sich ruhig etwas Selbstbewusstsein von ihrer Heldin abschneiden. Ihr Start ist mehr als nur hoffnungsvoll. Gleich mehrere Verlage zeigten Interesse an Maya Rosas Debüt. Der Zuschlag für „Moscow Mule“ ging an Penguin, der gehört zum größten in Deutschland tätigen Verlagskonzern: Random House. Und an dem zweiten Buch sitzt sie bereits.
Draußen vor dem Café ist es dunkler als zuvor. Regen kündigt sich an. Wir steigen auf unsere Räder und fahren in unterschiedliche Richtungen. Maya Rosa wohnt jetzt in Tiergarten. Wir werden alle nass.