Ein Schlagwort darf nicht fehlen, wenn im Umfeld von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron über das Verhältnis zu Deutschland unter der neuen Führung von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) gesprochen wird. Berater erwähnen stets die „Rückkehr des deutsch-französischen Reflexes“, also der Angewohnheit, sich bei jedem wichtigen Thema mit Berlin abzustimmen. Unter diesem Zeichen sehen sie auch den deutsch-französischen Ministerrat an diesem Freitag in Toulon, den ersten seit Mai 2024, als die Ampel von Olaf Scholz (SPD) das Pariser Kabinett auf Schloss Meseberg bei Berlin empfing.
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Zwischen Macron und Scholz stimmte die Chemie einfach nicht, ein Konkurrenzverhältnis war zu spüren. Gleich zu Beginn von Scholz` Amtszeit reisten beide unmittelbar vor dem russischen Angriff auf die Ukraine zu Kremlchef Wladimir Putin nach Moskau – getrennt. Von deutsch-französischer Achse keine Spur. Doch das soll der Vergangenheit angehören.
Berlin: „Beziehung von größter Bedeutung“
„Sie haben ja gesehen, dass die Zusammenarbeit mit Frankreich in den letzten Wochen und Monaten deutlich intensiviert wurde, auch mit Blick auf die Ukraine“, sagt der deutsche Regierungssprecher Stefan Kornelius. „Diese Kernbeziehungen zu Frankreich sind für die Bundesregierung wirklich von allergrößter Bedeutung.“
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Am Mittwoch erst waren Merz und Macron gemeinsam mit Polens Ministerpräsident Donald Tusk gemeinsam in Moldau. Sie wollten zu dritt dem ärmsten und so gut wie wehrlosen Land in Europa ihre Unterstützung versichern. Das Nachbarland der Ukraine sorgt sich vor zunehmenden russischen Einfluss auf die eigene Bevölkerung, deren proeuropäische Präsidentin Maia Sandu in die Europäische Union (EU) strebt.
In Toulon geht es um solch große Themen wie Sicherheitsgarantien für die Ukraine und insgesamt eine gemeinsame Verteidigungspolitik. Ein dickes Sicherheitsdossier wurde vorbereitet. Für Aufsehen hatte in der Vergangenheit die Frage eines gemeinsamen Atomschutzschirms gesorgt. Macron hatte Deutschland einst angeboten, französische Kapazitäten für einen Nuklearschutzschild zu nutzen.
Scholz hatte das entschieden abgelehnt. Seine Begründung: Deutschland habe bereits eine nukleare Teilhabe im Nato-Bündnis, die auch auf in Europa stationierten Atomwaffen der USA beruht sowie der Fähigkeiten und Infrastruktur, die von den Verbündeten bereitgestellt werden.
Merz verschließt sich der Debatte nicht. Aber auch in der neuen Regierung wird die Auffassung der alten geteilt, dass die Nato derzeit den richtigen Schutz biete. Noch jedenfalls – solange die USA unter Donald Trump bei der Stange bleiben. Und deswegen wird das Thema nukleare Zusammenarbeit mit Frankreich nicht weggedrückt, in Toulon aber höchstens am Rande gestreift.
Seit Merz’ Amtsantritt – und genau genommen sogar schon vorher – sind die Erwartungen in Paris an ihn riesig. Ebenso groß ist aber auch die Bereitschaft, auf ihn zuzugehen und die deutsch-französische Beziehung neu aufblühen zu lassen. Ein symbolträchtiger Ort wurde für das Abendessen mit Macron am Donnerstagabend des Ministerrates gewählt: der Fort de Brégançon, das traditionelle Feriendomizil des französischen Präsidenten am Mittelmeer, knapp 40 Kilometer von Toulon entfernt.
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Besondere Ehre für Merz
Die Geste zeuge durchaus von „einer besonderen Beachtung“ für Merz, so der Élysée-Palast. Eine solche Ehre wurde bislang nur Helmut Kohl zuteil, den François Mitterrand 1985 dort empfing, sowie Angela Merkel, die Macron im Jahr 2020 an die Côte d’Azur einlud. Ein Jahr zuvor hatte dieser dort Putin empfangen – die Zeiten waren andere.
In Paris wird genau wahrgenommen, dass die Debatte um Sicherheitsgarantien für die Ukraine in Berlin an Fahrt aufgenommen hat. Während Scholz im Februar 2024 ablehnend auf Macrons damalige Äußerung reagiert hatte, er schließe die Entsendung von Soldaten in die Ukraine nicht aus, wird nun eine neue Offenheit bei Merz bei dem Thema wahrgenommen. Allerdings: Nun geht es auch um eine Truppe nach einem Ende des Krieges.
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Zu wichtigen Themen in Toulon gehören ferner die europäische Wettbewerbsfähigkeit und die „Synchronisierung“ von Wirtschafts- und Sozialreformen. Für die Zusammenarbeit in der Sicherheit wird anschließend noch ein gesonderter deutsch-französischer Sicherheits- und Verteidigungsrat mit Merz und Macron sowie den jeweiligen Außen- und Verteidigungsministern einberufen.
Merz´ Ansinnen ist es, die Zahl der verschiedenen Waffensysteme in Europa zu verringern, um Kosten zu sparen, Produktionskapazitäten in Europa und die eigene Unabhängigkeit zu sichern. Tatsächlich ist das längst auch ein Ziel Macrons, der sich allerdings zuvorderst von einem solchen Schritt eine Stärkung der französischen Verteidigungsindustrie erhofft.
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Doch keine Beratung über neue Kampfjets
Thema in Toulon sollte eigentlich auch der schleppende Fortschritt bei diesem Vorzeigeprojekt für eine gemeinsame Rüstungszusammenarbeit sein: das künftige Luftkampfsystem, kurz FCAS (Future Combat Air System), das ab 2040 den Eurofighter und den Rafale ablösen soll und an dessen Bau auch Spanien beteiligt ist. Konflikte über die jeweilige industrielle Führung, die Verteilung der Aufgabenbereiche und des geistigen Eigentums führen immer wieder zu Verzögerungen. Und auch jetzt wurde eine Entscheidung kurzfristig auf Herbst vertagt.
Der Élysée-Palast versichert, die strategischen Projekte in beiden Ländern würden als entscheidend für die Vertiefung der Kooperation der Rüstungsindustrien angesehen. Mit der Rückkehr des „deutsch-französischen Reflexes“ jedenfalls soll in Toulon ein großes Rad gedreht werden – auch für ganz Europa. In Paris heißt es, es gebe dazu „keinen Plan B“.