Mit seiner Rede am Dienstag sorgte Nigel Farage, Chef der rechtspopulistischen Partei Reform UK, einst Schlüsselfigur und Treiber des Brexit, für politische Erschütterungen im Vereinigten Königreich. Er forderte die Abschaffung zentraler Menschenrechtsgesetze sowie die Abschiebung von Hunderttausenden Asylsuchenden und sprach von einer „echten Gefahr für die öffentliche Ordnung“ sowie einer „Invasion“ durch irregulär eingereiste Menschen. Unter dem Titel „Operation Wiederherstellung der Gerechtigkeit“ präsentierte er ein Programm, das den britischen Diskurs über Migration in Großbritannien noch weiter nach rechts verschiebt. Britische Fernsehsender boten dem umstrittenen Politiker eine öffentliche Großbühne. Das Boulevardblatt Daily Mail titelte am Mittwoch, Farage sei endlich jemand, der das Problem der illegalen Migration „verstehe“ – eine klare Zustimmung zu seiner harten Linie.
Farages Forderungen fallen in eine Zeit von politischen Spannungen und landesweiten Demonstrationen auf der Insel. Seit Mitte Juli 2025 erlebt Großbritannien eine Welle von Anti-Migrationsprotesten. Ausgelöst wurden sie durch die Festnahme eines Asylbewerbers nach einem mutmaßlichen Sexualdelikt. Was als lokale Demonstration vor einem Hotel im englischen Epping, in dem Geflüchtete untergebracht werden, begann, hat sich binnen weniger Wochen zu einer landesweiten Bewegung entwickelt, die das politische Klima merklich verändert hat.
Die Grenze des politisch Sagbaren
Laut Anand Menon von der Londoner Denkfabrik „UK in a Changing Europe“ verschiebe sich die Grenze des politisch Sagbaren „in alarmierendem Tempo“. Robert Jenrick, ein konservativer Ex-Minister, beklagte erst kürzlich den Rückgang der „weißen Briten“ in manchen Städten, und selbst bislang moderate Stimmen in der Tory-Partei sprechen inzwischen von einem „Niedergang“ des Landes – verursacht durch wirtschaftliche Stagnation und wachsenden Migrationsdruck. Reform-UK-Politiker schüren mit Forderungen nach privaten Straßenpatrouillen unter dem Vorwand des Frauenschutzes Ängste vor Migranten, ohne Belege für die behaupteten Gefahren zu liefern. Die bewusste Verbindung von „Muslim“ oder „Migrant“ mit Schlagworten wie „Vergewaltiger“ oder „illegal“ sei in Teilen der öffentlichen Debatte inzwischen beinahe selbstverständlich geworden, so Menon.
Jüngste Umfragen zeigen, dass Migration für fast die Hälfte der Briten mittlerweile das wichtigste politische Thema ist, noch vor Wirtschaft und Gesundheit. Von dieser Stimmung profitiert Reform UK. Die Rechtspopulisten liegen in den meisten Umfragen mittlerweile vor der regierenden Labour-Partei und überzeugen die Briten dabei mit einseitigen Parolen, die zwar griffig klingen, sich jedoch kaum umsetzen lassen. So fordert Farage Massenabschiebungen, obwohl solche Pläne in der Realität wegen rechtlicher und politischer Hürden kaum Bestand hätten. Dass Großbritannien im europäischen Vergleich relativ wenige Geflüchtete aufnimmt, lässt er dabei ebenso unerwähnt wie die Tatsache, dass Zuwanderung Wirtschaft und Staatsfinanzen auf der Insel nachweislich stärkt. Seine Zuspitzungen leben vom politischen Effekt, nicht von der Faktenlage. Sie verfangen, weil sie Ängste schüren und Asylsuchende nicht als Menschen, sondern als gesichtslose Bedrohung darstellen.
Labour gerät damit zunehmend in die Defensive, und selbst Premierminister Keir Starmer greift inzwischen Formulierungen auf, die bislang vom rechten Rand kamen. Schon im Mai warnte er vor einer „Insel der Fremden“ und attackierte gleichzeitig die angebliche „offene“ Grenzpolitik der konservativen Vorgängerregierung. „Noch bemerkenswerter ist allerdings, dass die politische Logik dahinter völlig fehlt“, so Menon. Denn Labours härtere Rhetorik bringe der Regierungspartei kaum Stimmen von Reform UK zurück, treibe dafür aber immer mehr Wähler zu den Grünen, Liberaldemokraten und der neuen Linkspartei. Dies zeige dem Experten zufolge eindeutig: „Die radikale Rechte kann nicht bekämpft werden, indem man ihr entgegenkommt.“ Statt Vertrauen zu schaffen, riskiere Labour, den gesellschaftlichen Zusammenhalt weiter zu beschädigen.