Unweit des Friedrichstadtpalasts in Berlin-Mitte ist am Donnerstag ein Haus wegen akuter Einsturzgefahr des Dachstuhls geräumt worden. Es handelt sich um ein fünfstöckiges Wohn- und Geschäftsgebäude in der Reinhardtstraße 6 nahe der Ecke zur Friedrichstraße.
Wie ein Feuerwehrsprecher sagte, hatte sich der Dachstuhl nach vorne geschoben und ein Stück der Fassade in Richtung Straße gedrückt. Bereits vom Gehweg ist erkennbar, dass sich die Fassade und das Dach wölben. Das Dach des Gebäudes galt laut Feuerwehrsprecher als akut einsturzgefährdet. Die Reinhardtstraße wurde zwischen Friedrichstraße und Albrechtstraße vollständig gesperrt – die Sperrung soll „bis auf Weiteres“ gelten, hieß es von der Verkehrsinformationszentrale.
Gefährliche Wölbung: Das Dach hat die Fassade des Gebäudes nach vorne gedrückt.
© Jule Damaske
Das Technische Hilfswerk (THW) rückte am Nachmittag mit Spezialgeräten an, um den Dachstuhl abzusichern. Da dabei Teile auf den Gehweg stürzen könnten, wurden die Geschäfte im Erdgeschoss der angrenzenden Gebäude gesperrt – mehrere Restaurants, eine Apotheke und eine Bäckerei mussten schließen, ebenso die Bundesgeschäftsstelle der FDP.
In dem Straßenabschnitt mussten auch alle parkenden Autos weggefahren oder abgeschleppt werden, damit das THW genug Platz für seinen Einsatz hat. Wer abgeschleppt werde, müsse dafür aber nicht zahlen, sagte ein Polizist vor Ort. Wenn möglich, werden die abgeschleppten Autos in Nebenstraßen umgesetzt.
Die Reinhardtstraße wurde gesperrt. Geparkte Autos mussten umgesetzt werden.
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Die Feuerwehr ist mit einem Kran angerückt.
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Im Vordergrund des Einsatzes steht nun, den Dachstuhl provisorisch zu sichern, damit keine Gebäudeteile abbrechen und Menschen verletzen können. Es gehe um die akute Gefahrenabwehr, hieß es. Am späten Nachmittag betraten drei Statiker vom THW und vom Bezirk Mitte den Dachstuhl, um zu prüfen, wie weiter vorgegangen werden soll.
Die Feuerwehr habe die Einsatzstelle größtenteils an das THW übergeben, sagte ein Feuerwehrsprecher, und unterstütze die Kräfte bei den Arbeiten am Dach mit einer Drehleiter und einem Führungsdienst. Von Innen wurde die Holzkonstruktion des Dachstuhls bereits provisorisch mit Gurten gesichert, dies soll nun noch mit Stahlseilen verstärkt werden. Von außen sollen Balken angebracht werden. Nach jetzigem Stand müsse das Dach nicht abgetragen werden, hieß es. Ein Drohnenfoto aus der Luft zeigte, dass sich das Dach selbst auch nach innen wölbt.
Auch das Technische Hilfswerk rückte an.
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Der Dachstuhl soll von innen und außen gesichert werden.
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Ein Sensorsystem des THW soll weitere statische Veränderungen am Haus scannen. Laser überwachen dabei den Dachstuhl und registrieren jede Bewegung – so werden die Einsatzkräfte im Notfall gewarnt, dass sie das Haus verlassen müssen.
„Die Arbeiten werden noch bis in die Nachstunden oder sogar bis zum nächsten Morgen dauern“, sagte ein Feuerwehrsprecher am Abend. Der Einsatz sei technisch und personell sehr aufwendig.
Das Technische Hilfswerk rückte mit Spezialgeräten an. Von der Sperrung betroffen war auch die Geschäftsstelle der FDP.
© Jule Damaske
Durch die Maßnahmen der Einsatzkräfte konnte die Einsturzgefahr gebannt werden. Am Freitagnachmittag sollen die Bewohner ihr Haus wieder betreten können. Allerdings müsse das Gebäude erst durch einen Baustatiker und die Bauaufsicht des Bezirks freigegeben werden, sagte der Feuerwehrsprecher.
Am Freitag soll außerdem eine Fachfirma kommen und einen Fußgängertunnel aufstellen. Ein Fachberater vom THW versicherte: Das Haus selbst sei nicht weiter einsturzgefährdet.
Die Feuerwehr setzte zur Sichtung des Hauses eine Drohne ein. (Foto aktuell)
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13 Hausbewohner waren von der Räumung betroffen. Wie ein Feuerwehrsprecher sagte, wohnten noch mehr Menschen in dem Haus, waren aber am Morgen nicht anwesend und zum Beispiel im Urlaub.
„Die Feuerwehr hat mich geweckt, sonst hätten sie den Schlüsseldienst geholt“, sagte ein junger Bewohner des Hauses der dpa, als er seine Wohnung verlassen musste. „Ich habe ein paar Anziehsachen eingepackt, Zahnbürste. Was man halt so braucht.“ Den folgenreichen Schaden am Dach habe er nicht kommen sehen.
Melanie Probandt / Jule Damaske
Die Bewohner sind nun auf Freunde und Familie oder das Angebot der Caritas angewiesen. Die Kircheninstitution bietet für diejenigen, die keine Unterkunft für die Nacht organisieren können, eine Unterbringung in einem nahegelegenen Gebäude an.
Polizei und Feuerwehr räumen das Haus in Mitte wegen Einsturzgefahr.
© Berliner Feuerwehr
Anwohner und Miteigentümer beauftragten Statiker
Nach Auskunft eines Miteigentümers sind sowohl er als auch weitere Anwohnende des Hauses vor einigen Tagen auf dem Dach gewesen und hätten dort zufällig einen Schaden entdeckt. Sie hätten daraufhin einen Statiker zur Einschätzung der Folgen beauftragt. „Es ist nicht irgendjemand Drittes gekommen und hat das festgestellt, sondern wir haben das veranlasst. Sonst wäre wahrscheinlich nichts passiert.“
„Weil weitere Veränderungen nicht ausgeschlossen werden konnten, wurde heute auch die Feuerwehr mit hinzugezogen“, sagte ein Feuerwehrsprecher.
Bilder auf der Plattform Google Streetview zeigen, dass bereits seit 2022 eine Verschiebung des Dachs erkennbar ist. Auch Oktay Rude kann das bestätigen. Er besitzt einen Laden auf der gegenüberliegenden Straßenseite und sagt, dass die Wölbung seit knapp fünf Jahren sichtbar sei.
Oktay Rude vor seinem Kiosk in der Reinhardtstraße.
© Jule Damaske / Tagesspiegel
Das Haus wurde nach Auskunft eines Anwohners vor 20 Jahren saniert. Er wohnt in der ersten Etage und hofft, dass er nicht in ein Hotel ziehen muss. Von dem Großeinsatz erfuhr er durch einen Nachbarn. Dieser hatte ihn auf der Arbeit angerufen und gefragt, ob er schon Bescheid wüsste. Zwei weitere Anwohner wurden in das Haus begleitet, um Sachen für die Nacht zu holen.
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Der Vorfall erinnert an ein Haus in Berlin-Schöneberg, das im April ebenfalls wegen Einsturzgefahr evakuiert werden musste. Damals waren Risse in dem Gebäude an der Ecke Goltz-/Grunewaldstraße entdeckt worden. Die neun Mieterinnen und Mieter durften rund einen Monat lang nicht in ihre Wohnungen zurück, bis ein Prüfstatiker eine Stahlkonstruktion zur Stützung eines Erkers freigab. (mit dpa)