Interview | Berliner Skipper Stanjek

„Wenn du versehentlich durch eine Walschule rast, würde kein Tier überleben“

Berliner Skipper Robert Stanjek auf der 'Guyot'. / GUYOT environnement - Team EuropeBild: GUYOT environnement – Team Europe

Sieben Teams segeln derzeit beim Ocean Race Europe die europäischen Küsten entlang. Der Berliner Skipper Robert Stanjek gewann das Rennen 2021 als Teamchef. Ein Gespräch über ruckeligen Schlaf, teure Boote, Wale und Sterne.


rbb|24: Herr Stanjek, was kommt Ihnen als erstes in den Sinn, wenn Sie an ihren Segelsommer 2021 und das Ocean Race Europe denken?

Robert Stanjek (Segel-Skipper): Krass, ist das schon so lange her? Ja, stimmt! Ich denke echt gerne zurück an den Sommer. Für mich als Skipper und Teamchef war das ein bisschen „from zero to hero“. Auf dieser tollen Segelroute, die Europa verbindet, ist mir das Kunststück gelungen, eine tolle Mannschaft zusammenzustellen. Das hat unseren Rennsieg ausgemacht.


Vier Jahre nach Ihrem Sieg segeln aktuell wieder sieben Boote von Kiel rund um Europa an die Adriaküste. Wie eng verfolgen Sie das Renngeschehen?

Ich schaffe es nicht, alles zu verfolgen, aber schaue schon täglich rein. Ich kenne fast alle Segler persönlich und habe natürlich ein Gefühl dafür, was da hinter den Kulissen passiert. Diese küstennahen Rennen sind wahnsinnig anstrengend, da schießt du dich echt blau.


Aktuell läuft die dritte Etappe von Cartagena nach Nizza. Ungefähr drei Tage sind die Teams unterwegs. Nehmen Sie uns mal mit aufs Boot und hinein in die Anstrengung …

Also, es sind vier aktive Segler an Bord und ein On-board-Reporter. Die einzelnen Etappen sind kurz, aber dafür sehr stressig. Wenn du über einen offenen Ozean fährst, kommt mehr Ruhe rein. Da bekommst du einen Rhythmus, fährst auch mal 48 Stunden mit denselben Segeln. Aber in Küstennähe ist das Wetter einfach nicht stabil. Du fährst ständig um irgendwelche Caps, hast ständig neues Wetter und musst ständig reagieren. Das Segel tauschen, Manöver fahren, neues Vorsegel setzen – da brauchst du immer alle vier Mann.

Ocean Race Europe

Das Ocean Race Europe fand 2021 zum ersten Mal statt. Es ist der europäische Ableger des Ocean Race, das bereits seit 1973 ausgetragen wird und um die gesamte Welt führt. Beide Rennen finden – zeitlich versetzt – im Vier-Jahres-Rhythmus statt.

Der Berliner Robert Stanjek hat bereits an beiden Ausgaben teilgenommen. 2021 gewann er die Premiere des Ocean Race Europe, 2023 wagte er sich mit seinem Team als eines von elf Booten auf die 14. Ausgabe der Weltumseglung. Dabei erlebte er jedoch Unfälle und Defekte. Nach einem Crash schied er vorzeitig aus.


Klingt, als sei an eigentlich selbstverständliche Dinge wie Schlaf oder Essen zeitlich kaum zu denken – wie gelingt das trotzdem?

Es gibt so eine Grundregel, nach der man ungefähr drei Stunden „On Watch“ ist und dann 90 Minuten Pause hat. Aber 90 Minuten Pause sind nicht gleich 90 Minuten Schlaf. Du musst essen, du musst Hygiene machen, viel kommunizieren und reparieren. Es ist wirklich nur segeln, essen, schlafen – und dann wieder von vorne. Und bei viel Wind scheppert es im Boot schon ordentlich und du kriegst gar nicht wirklich Schlaf.


Inwiefern sind diese Herausforderungen auch ein Teil der Anziehungskraft, die Rennen wie das Ocean Race Europe auf Segler haben?

Die Jungs machen das, weil sie das Leben auf dem Meer stark finden. Du machst das für den Wettkampf und dafür, in der echten Natur zu sein. Du bist ja extrem reduziert, hast nur deinen kleinen Drybag mit dreimal Unterwäsche und ’ner Zahnbürste. Viele Skipper wie Paul Meilhat, der mit seinem Team Biotherm das Rennen gerade anführt, lieben das richtig. Die Skipper beim Ocean Race Europe sind richtige Watermen, echte Wassermänner.


Was braucht es für Skipper wie Boris Herrmann oder auch Sie selbst noch, um die größten Rennen der Welt so erfolgreich zu segeln?

Als Skipper und Teamcaptain fängt die Arbeit ja schon lange vor so einem Rennen an. Wir hatten 2021 ein sehr überschaubares Team, aber die ganz großen Rennställe haben teilweise 30 bis 40 Mann im Hintergrund. Die fahren nicht nur ein Rennen, sondern planen meistens in Vier-Jahres-Zyklen – da musst du als Skipper und Teamchef viele Bälle in der Luft halten.

Gewann 2021 mit seinem Boot das Ocean Race Europe: Robert Stanjek | Bild: IMAGO/Andreas BeilGewann 2021 mit seinem Boot das Ocean Race Europe: Robert Stanjek | Bild: IMAGO/Andreas Beil


Das klingt aufwendig, aber auch sehr teuer. Was kostet eine solche Kampagne?

Das variiert natürlich. Aber normalerweise sind die Teams, die solche Rennen gewinnen, komplett durchfinanziert. Ein Boot kostet ungefähr 5,5 bis 6,5 Millionen Euro, von der Forschung über die Entwicklung bis zum Bau. Dazu kommen dann noch die laufenden Kosten während so einer Kampagne, ungefähr 2,5 bis fünf Millionen Euro pro Jahr.

Es ist viel zermürbender, wenn der Wind plötzlich weg ist.

Robert Stanjek über Flaute auf See


Wie arbeitet denn das Team um das Team während der Rennen? Wie viel Hilfe bekommen die Segler auf dem Wasser vom Land?

Jede Crew hat zum Beispiel ein kleines Meteorologenteam, das zu jeder Etappe unendlich viele historische Wetterdaten studiert. Du weißt also in der Theorie, wie du bei Gibraltar bei welchem Wind am besten segelst. Aber wenn du ablegst, bist du auf dich allein gestellt. Dann muss der Navigator mithilfe der Wetterdaten selbst die beste Route wählen. Er muss mit dem Skipper die Taktik und das Risiko managen. Wie weit fahre ich von der Flotte weg? Was kann ich der Mannschaft noch zutrauen?


Gibt es bei alledem auch Momente, in denen Sie eine Tour um Europa oder sogar die ganze Welt bewusst genießen können?

Es ist total beeindruckend, weil du sehr ehrlich um die Welt reist. Du siehst das Leben im Meer, erlebst all diese Wetterphänomene und die Sternenhimmel. Da sind schon sehr romantische Momente dabei. Das ist überwältigend – aber eigentlich erst, wenn du zu Hause bist und ein bisschen Ruhe hast. Dann entwickelst du innerlich den Film, den deine Augen unterwegs geknipst haben.


Zumal die beeindruckenden Wale, denen die Teams in diesem Jahr bereits begegnet sind, den Booten ja durchaus auch gefährlich werden können, oder?

Definitiv! Das Ocean Race Europe hat auch deswegen mittlerweile immer mehr Schutzzonen eingerichtet. Vor allem natürlich für die Tiere, aber auch aus Sicherheitsgründen. Wenn du mit 30 Knoten versehentlich durch eine Walschule rast, würde kein Tier überleben und auch an Bord gäbe es schlimme Unfälle.


Apropos Unfälle: Zwei Jahre nach Ihrem Erfolg beim Ocean Race Europe endete Ihre Teilnahme bei der großen Tour einmal rund um die Welt nach einem Unfall schon kurz vor dem Ziel. Hat das die Sehnsucht hinterlassen, nochmal eine solche Tour zu segeln?

Ich habe mich von den Gedankenspielen rund um die nächste Ausgabe des Ocean Race (im Jahr 2027, Anm. d. Red.) mittlerweile verabschiedet. Für den Moment aber habe ich mich für eine Lösung entschieden, bei der ich öfter zu Hause schlafe und mehr Zeit mit meinen Kindern verbringe. Aber ich will nicht ausschließen, irgendwann zurückzukommen. Ich hätte das große Rennen sportlich gerne nochmal besser gemacht, aber das hat alles seine Zeit.


Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Jakob Lobach, rbb Sport.