Wie viele Rosen braucht es, um den Algorithmus der Liebe zu knacken? Die spanische Künstlerin Noemi Iglesias Barrios hat es vor einigen Jahren getestet: Sie verabredete sich auf Tinder mit 40 verschiedenen Nutzern – 40 Tage lang. Jedem einzelnen brachte sie eine Rose mit. Wie sie selbst betont: Die Begegnungen folgten dem Rhythmus eines Algorithmus, nicht den Launen des Herzens.

Und dennoch: „Du betreibst Forschung, bist im Prozess, bist aber auch selbst das Material. Es ist unmöglich, nichts zu fühlen. Das war manchmal schwierig und emotional“, erklärt Iglesias Barrios der KURIER freizeit. Aus den gesammelten Erfahrungen entstand schließlich das Werk Quarantine: Atemschutzmasken aus Porzellan, in deren Filter Rosen erblühen.

Romantik, Liebe – und ihre gnadenlose Vermarktung – ziehen sich wie ein roter Faden durch ihre Arbeit. „Es gibt einen ganzen Markt, der uns vorgibt, wie wir uns verhalten sollen, wenn wir verliebt sind – Restaurants, Kerzen, Blumen.“

Liebe geht bei Noemi Noemi Iglesias Barrios durch die Daten

Sie versucht eigene Formen zu finden, um Zuneigung sichtbar zu machen. So auch in der Installation The Falling City, die ab 3. September beim Ars Electronica Festival in Linz gezeigt wird. Iglesias Barrios kartiert nicht Kriminalität, sondern Emotionen im öffentlichen Raum. Eine Kamera erkennt Küsse, Umarmungen, Händchenhalten; sobald sie registriert werden, verändert sich die Lichtintensität von tropfenartigen Glühlampen – als würde die Stadt mitfühlen.

Die Idee dazu kam ihr, als sie bei einer Technologiekonferenz Projekte sah, die mithilfe von Skeletterkennung vorhersagen, in welchen Straßen Menschen stolpern oder in welchen Vierteln sich Gewalt häuft. „Da dachte ich: Wenn wir negatives Verhalten voraussagen können – warum nicht auch das positive? Wenn wir sehen können, ob jemand fällt, warum nicht auch, ob er sich verliebt?“

Wie romantisch ist Österreich?

Sie hat es bereits in Athen und in Brüssel ausprobiert: „In Athen war das Zeigen von Emotionen in der Öffentlichkeit höher.“ Offenbar stimmt das Klischee vom leidenschaftlicheren Süden. Wie es in Linz sein wird? „Das kann man damit nicht vorhersagen.“ Aber: „Ich bin schon gespannt, ob Linz den griechischen Rekord bricht.“

Wahrsagerische Fähigkeiten hat ein anderes Projekt, das ebenfalls in Linz zu erleben sein wird: Mit Dat–Astral Chart bringt die Künstlerin den Jahrmarkt ins Zeitalter der Algorithmen. Die sechseckige Maschine erinnert an die Wahrsageautomaten, die sie in den 1990er-Jahren in Spanien bestaunte: Hand auflegen, Zettel ziehen, Zukunft erfahren.

In Linz simuliert der Apparat Fingerabdruck- und Smartphone-Scans, um den Besucherinnen und Besuchern eines von zwölf „digitalen Sternzeichen“ zuzuteilen. Es ist eine spielerische Übersetzung der Logik, mit der Algorithmen aus objektiven Daten Deutungen ableiten. Lichter, Sound und esoterische Gravuren kaschieren, dass es hier nicht um Magie geht, sondern um das Durchleuchten unserer digitalen Identität. „Wir schauen heute öfter auf unser Telefon als in die Sterne“, sagt sie.

Daten sind für Iglesias Barrios nur ein Teil des Puzzles. Der andere besteht aus Symbolen, die älter sind als jede Programmiersprache – vor allem Blumen. 

Und immer diese Blumen

Porzellanblumen tauchen immer wieder in ihrem Werk auf, allen voran die Rose. Wegen der Liebe, natürlich. Aber auch, um Brüche zu setzen: Chrysanthemen, in Spanien traditionell zu Beerdigungen. „Wenn man sich verliebt, gibt es Teile, die sterben.“

Gerne greift sie auch auf Nelken, Blumen der Revolution, zurück: „Man muss romantisch sein, um eine Revolution zu starten. Aber man muss auch revolutionär sein, um romantisch zu sein.“

Ars Electronica Festival

Das Ars Electronica Festival findet heuer vom 3. bis 7. September in Linz statt. Das diesjährige Motto lautet: „Panic. Yes/No“. Über die ganze Stadt verteilt gibt es Ausstellungen, Performances und Konzerte. Die meisten davon in der Postcity beim Bahnhof.

Zu den Highlights zählt die Eröffnung am 3. September im Mariendom: Musikerinnen und Musiker des Bruckner Orchesters spielen Werke, inspiriert von Johann Strauss (Sohn), die von einer KI und jungen Komponistinnen und Komponisten neu erschaffen wurden. ars.electronica.art/panic