Liebe Leserinnen und Leser,

das Haus Deichgraf im Düsseldorfer Südpark ist eine feine Adresse und bietet „ein Stück Natur inmitten der Großstadt“ – die Eigenwerbung stimmt, ich habe in dieser eleganten Eventlocation vor ein paar Tagen eine Familienfeier sehr genossen. Nun lebt ein großes Fest vom Anlass nicht alleine, mag er noch so erfreulich sein. Auf die Gäste kommt’s an, damit ein langer Hochzeitstag wirklich gelingt. Und wenn dann, plötzlich und unerwartet, der Lokaljournalismus und die Grafschafter Nachrichten zum Top-Thema werden: Herz, was willst du mehr?

Stellen Sie sich bitte vor, wie sich an einem heißen Sommerabend zu vorgerückter Stunde eine Gruppe junger Leute, alle im Alter zwischen 30 und 40, auf der Terrasse der Lokalität bei kühlen Getränken zusammenfindet. Gutes Benehmen, schicke Kleidung, lockere Konversation. Sie haben interessante Jobs in spannenden Positionen als Manager, Ärzte, Unternehmensberater oder Entwickler, einige sind selbständig.



„Und du bis also Journalist?“

Sie haben die Welt gesehen, denken international, blicken wirtschaftlich durch und sind mit einer erfreulichen Portion Toleranz und Bodenhaftung ausgestattet. Einige kennen sich aus Studienzeiten. Es gäbe also eine Menge, was sie sich gegenseitig zu erzählen hätten. Das endet, als ich mich dazu geselle. „Und du bist also Journalist?“

Na, war ja klar, denke ich. Interesse am Exotischen. Also liefere ich bewusst nüchtern einige Kerndaten zu den GN, ihrem Verbreitungsgebiet und ihrer Geschichte. Das reicht ihnen nicht, sie wollen es ganz genau wissen: Wie geht ihr mit Fake News um, welche Digitalangebote macht ihr euren Lesern, wie kommt ihr eigentlich an eure Informationen, wer entscheidet, was veröffentlicht wird, wie überprüft ihr die Richtigkeit der Informationen, wie steht’s um die wirtschaftliche Entwicklung der Zeitung?

Zu meiner Verblüffung konzentriert sich das Interesse dieser modernen Medienkonsumenten immer stärker auf die klassische Zeitung, also das Printprodukt und seine Akzeptanz in der Bit-und-Byte-Ära. Wie sich herausstellt, haben sie allesamt noch die eigene Heimatzeitung im Fokus. Sie erzählen von der traditionsreichen „Glocke“ in Oelde, von der Rheinischen Post, der Siegener Zeitung oder dem Hamburger Abendblatt.



Es stand in der Zeitung, das zählt

Selbstverständliche Lektüre der Eltern, die Artikel ausgeschnitten haben, in denen ihre Söhne erwähnt wurden – zum Beispiel für sportliche Leistungen oder Erfolge bei Schulwettbewerben. „Da waren die mächtig stolz“, erinnert sich einer aus der Runde. Die anderen nicken und ein Dritter meint: „Daran hat sich eigentlich bis heute nichts geändert.“ Es war online zu lesen, schön und gut. Es stand in der Zeitung – das zählt.

Konnte das ernst gemeint sein? Hatte ich nicht genau die Zielgruppe vor mir, die so schwer für die klassische Informationsvermittlung auf Papier oder im E-Paper zu gewinnen ist? Das Wichtigste des Tages, bewertet und geordnet zur Orientierung auf einen Blick, dieses Prinzip erschien meinen Gesprächspartnern überhaupt nicht nostalgisch oder verstaubt. Sie haben erkannt, welche Überforderung der mediale Dauerkonsum mit sich bringen kann – bis hin zur Gehirnwäsche-artigen Verzerrung der Wirklichkeit durch Social-Media-Algorithmen.



Kluge Köpfe mit wachem Geist

Ob sie deshalb ein Zeitungs-Abo abschließen werden, habe ich nicht gefragt. Für den Moment reichte mir die ehrliche Wertschätzung meiner Arbeit und der meiner Mitstreiter in den vielen Lokalredaktionen des Landes. Sollte ich in einem meiner nächsten Briefe an Sie, liebe Leserinnen und Leser, den Fehler machen, gesellschaftliche Gruppen als „die jungen Leute“ zu pauschalisieren, weisen Sie mich bitte darauf hin.

Kluge Köpfe mit wachem Geist, wie sie mir im Deichgraf begegnet sind, wird und muss es zuhauf geben. Darauf stoße ich mit Ihnen gerne an, wenn auch nur gedanklich.