Was lesen Sie?
Derzeit lese ich Amitav Ghoshs brillantes Buch „Die große Verblendung. Der Klimawandel und das Undenkbare“. Ghosh ist Inder, genauer Bengale. Er beschreibt, wie es ist, sich in den Sundarbans aufzuhalten und zu wissen, dass man von einem Tiger beobachtet wird, ohne ihn jemals zu sehen. Davon ausgehend, entwickelt er eine nicht-europäische Sicht auf den Klimawandel, in der die Frage nach nicht-menschlichem Bewusstsein eine zentrale Rolle spielt: „Das ist so, als stellten wir fest, dass Stanislaw Lems bewusstseinsverändernder Planet Solaris in Wirklichkeit der unsere ist, die uns vertraute Erde – und was könnte unheimlicher sein als das?“ Sein Text ist eine Kritik am europäischen Denken, dem es unmöglich zu sein scheint, den Klimawandel in die ernste Literatur zu integrieren. Ghosh geht es darum, „Denkgewohnheiten zu durchbrechen, die auf dem cartesischen Dualismus beruhen, welcher es sich anmaßt, jede Form von Intelligenz und jegliche Wirkmacht allein dem Menschen zuzuschreiben und jedem anderen Sein abzusprechen“, damit wir beginnen, relevante Narrative für den Klimawandel zu entwickeln. Denn „die Klimakrise ist auch eine Krise der Kultur und deshalb eine der Imagination“.
Welches Buch haben Sie im Bücherschrank, das Sie bestimmt nie lesen werden?
Oh Gott! Schwierige Frage. Dass ich ein Buch garantiert nie lesen werde, kann ich gar nicht sagen. Aber in manchen Fällen befürchte ich, dass es darauf hinauslaufen könnte. Meistens sind interessante Sachbücher von dieser Angst betroffen: Naomi Kleins „Die Entscheidung – Kapitalismus vs. Klima“ – ich kann nur hoffen, dass ich eines Tages Zeit und Motivation aufbringe, um dieses wichtige und sehr dicke Buch zu lesen. Andreas Reckwitz’ „Die Gesellschaft der Singularitäten“ – hier bin ich immerhin schon bis Seite 97 vorgedrungen, trotzdem besteht akute Gefahr. Der Koran – eine klaffende Bildungslücke, aber mit chronischem Desinteresse behaftet. Vielleicht genügt mir als ehemaligem Katholik ein eternalistisches Buch in diesem Leben. Tom Hollands „Herrschaft“ habe ich aus den Fängen meiner Frau gerettet, die es wegwerfen wollte, weil ihr längst klar war, dass sie es niemals lesen würde. Nun genießt es sein Gnadenbrot in meinem Regal, aber, ob ich es jemals auch nur zur Hand nehme…
Der Schriftsteller Steven Uhly, geboren in Köln, studierte Literatur, leitete ein Institut in Brasilien, übersetzt Lyrik und Prosa aus dem Spanischen, Portugiesischen und Englischen. Sein Debütroman „Mein Leben in Aspik“ ist 2010 und „Adams Fuge“, ausgezeichnet mit dem Tukan-Preis, 2011 erschienen. „Glückskind“ (2012) wurde von Michael Verhoeven für die ARD verfilmt. In dieser Woche erscheint Uhlys neuer Roman, „Death Valley“ (Secession Verlag, 280 Seiten, 22 Euro), in dem ein gewisser Steven Uhly vom tödlichen Absturz seiner Mutter im kalifornischen Death Valley erfährt.
In der Sonntagszeitung vom 31. August finden sich zusätzlich die Antworten von Steven Uhly auf die Fragen, was er sieht, was er hört – und was ihn nervt.