Eine Fahrt mit der U8 macht Hoffnung. Ob dieser Satz wohl so schon einmal gefallen ist? Wenn man den Blick durch die langen Sitzreihen der berüchtigten U-Bahn schweifen lässt, sieht man zwar nach wie vor die meisten Fahrgäste auf ihrem Handy durch die sozialen Medien geistern. Doch immer mehr von ihnen – insbesondere die Jüngeren – halten auch mal ein Buch in der Hand. Ist die Gen Z die sozialen Medien etwa satt? Wächst etwa wieder die Lust aufs Lesen?

Der Berliner Schauspieler Jannik Schümann findet jedenfalls: Lesen ist wieder sexy! Zusammen mit seiner guten Freundin und Co-Gastgeberin Kara Wolf hat der 33-jährige selbsternannte Buchnerd am 26. August seinen eigenen Buchclub-Podcast „Zwischen Kotti und Kapiteln“gestartet. Alle zwei Wochen besprechen die beiden nun on air Bücher, diskutieren und tauschen sich aus – auch mit Gästen aus Literatur, Film und Fernsehen.

Wir haben mit dem Kreuzberger Schauspieler gesprochen, der seinen großen Durchbruch mit „Die Mitte der Welt“ hatte und durch seine Hauptrolle als Kaiser Franz Joseph in der Serie „Sisi“ bekannt wurde. Es geht um den Buchclub, Schümanns Lieblingsleseorte – und wo er in Berlin die beste Lektüre findet. Außerdem haben wir ihn gefragt, ob auch er das Gefühl habe, dass junge Leute die sozialen Medien langsam verlassen.

Herr Schümann, welchen Stellenwert haben Bücher in Zeiten von Social Media?

Gerade junge Menschen sind zunehmend auf der Suche nach dem Haptischen, nach dem Analogen. Das ist nichts Neues und auch bei Büchern der Fall. Es gab eine Phase, in der eBook-Reader als deren große Nachfolger gehandelt wurden. Damals dachte ich: „Oh nein, jetzt ist es so weit, die Bücher sterben aus.“ Ein paar Jahre später sehen wir jedoch, dass das Gegenteil der Fall ist. Bücher sind alles andere als tot. Die Bedeutung nimmt wieder zu. Es gibt doch auch wirklich nichts Schöneres als den Duft eines frischen Buches!

Woran machen Sie das gestiegene Interesse fest?

Vor fünf Jahren habe ich angefangen, die Bücher, die ich gerade lese, in meiner Instagram-Story zu posten. Daraufhin habe ich so unglaublich viele Nachrichten bekommen – die Leute haben sich riesig über die Buchempfehlungen gefreut. Da habe ich es zum ersten Mal spürbar wahrgenommen.

Wie wichtig sind Buchempfehlungen für die Gen Z, um sie zu „influencen“?

Buchempfehlungen wirken über alle Generationen hinweg – nicht nur die Gen Z lässt sich davon beeinflussen. Ich selbst bin oft überfordert, in eine Buchhandlung zu gehen und aus tausenden Titeln den richtigen zu wählen. Hier ein Stapel, dort ein Stapel – das kann schon orientierungslos machen. Und jeder kennt die Situation, wenn eine Freundin ein Buch empfiehlt, man gezielt in das Geschäft geht und feststellt, wie schön und wie einfach das Lesen doch sein kann. Buchempfehlungen können also durchaus helfen.

Würden Sie sich als Leseratte bezeichnen?

Ich bin schon seit klein auf leidenschaftlicher Leser, habe meine Liebe zu Büchern aber als Schauspieler noch einmal neu entdeckt. Zuletzt habe ich bei den „Sisi“-Dreharbeiten in Riga wieder gemerkt, wie sehr mir das Lesen hilft, um in den Tag zu starten und auch um wieder runterzukommen. Selbst wenn ich morgens um 7 für den Drehtag abgeholt werde, stelle ich mir den Wecker auf Viertel vor sechs, um mit Kaffee und Buch in den Tag zu starten.

Gibt es ein Buch, das Ihre Sicht auf etwas grundlegend verändert hat?

Das ist schwer zu sagen. Ein einzelnes Buch, das mir die Augen geöffnet hat, gibt es nicht. Aber natürlich haben mich viele beeinflusst. Die Bücher von Édouard Louis zum Beispiel habe ich verschlungen. Obwohl mein Aufwachsen auf dem Land von deutlich mehr Liebe und Unterstützung geprägt war als das von Édouard, habe ich viele Parallelen zu seiner Geschichte erkannt. Zum ersten Mal hatte jemand das Großwerden als queerer Junge so beschrieben, wie ich es selbst erlebt habe. Das ist die Magie von Büchern!

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Vero Bielinski

Jannik Schümann

Der gebürtige Hamburger ist Schauspieler und Synchronsprecher. Bereits als Kind sammelte er erste Erfahrungen in Theaterproduktionen und wurde vor allem durch seine diversen Rollen im deutschen Fernsehen bekannt.

Seinen Durchbruch hatte der heute 33-jährige Wahl-Kreuzberger 2016 mit der Hauptrolle in „Die Mitte der Welt“. Seitdem war er in erfolgreichen Produktionen wie der ARD-Serie „Charité“ oder der Netflix-Serie „Tribes of Europa“ zu sehen. Neben der Schauspielerei leiht Schümann Stars aus aller Welt seine Stimme als Synchronsprecher.

Woher kam die Idee, einen Podcast über Bücher zu machen?

Ich sehne mich seit langer Zeit nach einem Buchclub. Es ist doch so: Nach einem Kinobesuch redet man in einer Bar über den Film, wenn ich aber ein Buch lese, stelle ich es anschließend zurück ins Regal – und das war’s. Ich vermisse den Austausch. Mit Kara, einer meiner engsten Freundinnen, spreche ich immer über meine aktuelle Lektüre, wir empfehlen einander Bücher. Dann kam uns die Idee, einen Buchclub zu gründen und darin so viele Menschen wie möglich aufzunehmen. Da bietet sich der Podcast als Medium perfekt an. Wir wollten etwas Eigenes schaffen, gerade weil es bisher hier in Deutschland nur wenige Formate gibt, die Bücher locker und zugänglich besprechen.

Da haben Sie recht, hierzulande spielen Bücher oft nur in drögen Literaturpodcasts eine Rolle. In den USA haben Stars wie Oprah Winfrey, Reese Witherspoon oder Kaia Gerber ihren eigenen Buchclub-Podcast. Wie wichtig ist es, dass bestimmte Personen ein Buch besprechen?

Sehr wichtig, würde ich sagen. Schließlich wollen auch wir kein literarisches Duett sein (lacht). Wir wollen Menschen fürs Lesen begeistern und Hürden abbauen. Viele junge Leute schrecken schon davor zurück, wenn ein Buch im Feuilleton besprochen wird, nach dem Motto: „Bin ich überhaupt schlau genug dafür?“ Das darf nicht sein. Bücherlesen muss zum Lifestyle werden.

Tatsächlich nutzen viele junge Menschen Bücher auf Instagram oder TikTok als eine Art Modeaccessoire – mit großer Designer-Sonnenbrille und angesagtem Roman in der Hand. Ein wirkliches Interesse am Lesen scheint dabei selten im Vordergrund zu stehen.

Ja, das gibt es sicher und lässt sich nicht ausschließen. Aber ich möchte grundsätzlich positiv denken: Selbst wenn ein Buch mal nur zur Selbstinszenierung genutzt wird, sehen es andere Menschen und werden neugierig. Die Entfremdung als Modeaccessoire kann also auch durchaus Gutes bewirken.

In Kreuzberg fühlen sich Schümann und seine Podcast-Freundin Kara Wolf am wohlsten.

In Kreuzberg fühlen sich Schümann und seine Podcast-Freundin Kara Wolf am wohlsten.Arne Grugel

Gibt es einen Lieblingsort in Berlin, an dem Sie gerne lesen?

Ich lese eigentlich am meisten zu Hause und auf Fahrten irgendwohin. Aber ich bin auch der Typ, der wie ein Schulkind mit einem Buch in der Hand durch die Straßen läuft und keine Sekunde nach oben schaut. Ich fange an zu lesen, sobald ich die Wohnung verlasse, und höre erst auf, wenn ich angekommen bin.

Es ist schon interessant, wie selbstverständlich es wahrgenommen wird, wenn jemand mit einem Smartphone in der Hand über den Gehweg läuft, und wie befremdlich es mittlerweile wirkt, wenn das Gleiche mit einem Buch getan wird. Gibt es Bücher, die Sie besonders häufig in den Händen von Berlinern sehen?

Früher waren es die „Harry Potter“-Bände – fast alle hatten einen dieser dicken Wälzer unter dem Arm oder in der Tasche. Damals dachte man: Einen solchen Buch-Hype wird’s nie wieder geben. Als aber Sally Rooneys vorletztes Buch „Schöne Welt, wo bist du“ erschien, war es ganz ähnlich: Am Paul-Lincke-Ufer sah ich auf einmal so viele Menschen auf unterschiedlichen Bänken mit demselben Buch – fast wie in einer Werbekampagne. Auch Bücher von Caro Wahl begegnen mir oft.

Wie halten Sie es: Secondhandbücher oder der neueste Bestseller?

Diese Frage ist unmöglich zu beantworten. Bleiben wir bei Caro Wahl: Ihr neues Buch „Die Assistentin“ kommt Ende August. Das wird es in keinem Secondhandladen geben, dafür gehe ich in die Buchhandlung meines Vertrauens. Es gibt aber auch großartige Anlaufstellen für gebrauchte Bücher. Ich liebe die Buchhandlungen LangerBlomqvist: Dort gibt es neue Bücher mit ungebrochenem Rücken, nur mit einem kleinen „Mängelexemplar“-Sticker – und dafür halb so teuer.

Und sonst? In welcher Kreuzberger Buchhandlung trifft man Jannik Schümann an?

Am ehesten in der, die direkt bei mir um die Ecke liegt – die verrate ich aber lieber nicht. Ich finde die She-said-Buchhandlung auf dem Kottbusser Damm aber auch wahnsinnig toll. Dort gibt es eine große Auswahl an queerer Literatur. Und auch bei Book Affairs in der Grimmstraße, direkt an der Admiralbrücke, kaufe ich gerne ein.

Zurück zum Anfang: Seien Sie ehrlich – fällt es Ihnen teilweise schwer, das Buch in die Hand zu nehmen, statt stundenlang auf Instagram herumzuscrollen?

Auf jeden Fall. Ich glaube, kaum jemand kann sich davon freimachen. Aber es ist eine Frage des Trainings. Wenn ich abends zu Bett gehe, liegt mein Handy zum Beispiel im Flugmodus auf dem Nachttisch – dann greife ich zum Buch.