Als ich das erste Mal mit meinem Baby in der Stuttgarter Innenstadt unterwegs war, wünschte ich mir eine Glaskugel um uns herum. Das Eichhörnchen Sandy aus der Zeichentrickserie Spongebob hat so etwas: einen mit Luft gefüllten Raumfahrtanzug plus Helm, damit das Eichhörnchen unter Wasser überlebt. Ich hatte das Bedürfnis, meinen Sohn – damals etwa einen Monat alt – vor jedem Handyklingeln, vor jeder Baustelle, eigentlich vor allem abzuschirmen.

Vor der Impfung liefen mir die Tränen runter

Entsetzt über mich selbst war ich auch, als mein Baby seine ersten Impfungen erhielt. Schon Tage vorher war ich nervös. Vor der Praxis der Kinderärztin musste ich dann zehn Minuten draußen stehen bleiben und Atemübungen machen, weil mir Tränen runterliefen. Das Wissen, dass mein Baby mir blind vertraut, und nun gleich drei Mal ohne Vorwarnung in seine winzigen Oberschenkel gepiekst wird, brachte mich zur kompletten Verzweiflung.

Bis heute, inzwischen ist mein Sohn sechs Monate alt, bin ich oft nicht entspannt: Eine Freundin etwa findet seine Bäckchen niedlich. Bei jedem Treffen kneift sie ihn dort hinein; nicht einmal, sondern mehrfach. Ich habe den Eindruck, dass das unangenehm für ihn ist, aber er sich nicht recht wehren kann. Vor jedem Treffen mit der Freundin bin ich angespannt – zugleich traue ich mich nicht, etwas zu sagen, weil ich ja unbedingt wie eine total entspannte, lockere Mutter wirken will.

Die Liebe bringt irrsinnige Verlustängste mit sich

Ich muss mir aber eingestehen: Ich bin nicht ansatzweise so cool, wie ich es mir vor der Geburt ausgemalt hatte. Nachts taste ich nach ihm, um zu sehen, ob er noch da ist. Ich singe auf der Straße Kinderlieder, um ihn zu trösten (und ich singe wirklich furchtbar). Und es bricht mir fast das Herz, wenn wir unterwegs sind, er schläft – und er dann durch ein lautes Geräusch zusammenzuckt und erschrocken seine Augen aufreißt. In der Bahn stehe ich manchmal auf und flüchte mit ihm, wenn jemand keine Kopfhörer am Smartphone verwendet.

Mir war vor der Geburt nicht klar, wie heftig man einen Menschen lieben kann. Und was diese Liebe mit sich bringt. Klar, sie ist wunderschön und ermöglicht es mir, auch anstrengende Tage besser auszuhalten. Zugleich bewirkt diese Liebe irrsinnige Verlustängste, Sorgen wegen Alltäglichkeiten und ein komplett neues Ausmaß an Beschützerinneninstinkt.

Was die Hormone mit diesen Reaktionen zu tun haben

Früher hat meine Mutter zu mir und meinen drei Geschwistern gesagt, dass sie im Zweifel zur Mörderin würde, wenn uns jemand etwas antäte. Ich fand diese Aussage immer total überzogen. Heute verstehe ich, was sie meint. Forscherinnen haben nachgewiesen, dass sich durch Hormone das weibliche Gehirn während der Schwangerschaft verändert – und bis zu zwei Jahre nach der Geburt auch verändert bleibt. Das sogenannte Salienz-Netzwerk erkennt auffällige Reize, achtet auf alles, was gefährlich sein könnte – und veranlasst passende Reaktionen.

So gesehen ergibt es Sinn, dass ich meinen Sohn vor allen lauten Geräuschen und unangenehmen Berührungen schützen will – und dann teilweise auf eine Weise reagiere, die übertrieben wirken kann. Doch wenn ich mich das nächste Mal geniere, weil ich mal wieder eine uncoole Mutter bin, sage ich mir und den Personen um mich herum einfach: Mein Salienz-Netzwerk springt gerade an. Und wie cool klingt das denn?

Die Autorin

Julia Bosch
(33) ist Redakteurin unserer Zeitung und wurde Anfang 2025 Mutter. Während ihrer Elternzeit wird sie in mehreren Artikeln erzählen, wie ihre Vorstellungen übers Muttersein mit der Realität zusammenprallen. Sie lebt mit Freund und Sohn in Stuttgart. Ihren Text über Einsamkeit in der Elternzeit gibt es hier.