„Hier schlägt der Puls“, sagt Tarkan Yesilbalkan und trommelt mit der Fingerkante auf dem Tisch. Wenn der Musiker seinen Stadtteil Oberhausen beschreibt, in dem er nun seit zwölf Jahren lebt, dann sprudelt es aus ihm: „Diese Farben! Diese Multikulturalität! Diese ethnische Vielfalt, von der die Stadt Augsburg lebt. Ich will hier wohnen und in keinem anderen Viertel.“ Und mit Kunst und Kultur will er noch etwas mehr bewegen, hier in Oberhausen: Tarkan Yesilbalkan hat in diesem Jahr eine gemeinnützige Unternehmergesellschaft gegründet. Es ist ein Unternehmen, mit dem er die Menschen, Vereine, Religionen, Kulturen des Viertels verbinden will. In einem Mix der Gemeinschaft sollen neue Ideen und Werke entstehen, vom Musiktheater bis zum Podcast. „KlangWerk Kultur“ heißt Yesilbalkans Unternehmen. Es geht ihm um Kunst und Kultur – und auch darum, an diesem Bild vom schmuddeligen Problemviertel zu rütteln, das anderen vor Augen haben, wenn sie an Oberhausen denken.
Tarkan Yesilbalkan fragt: Wie viel kulturelles Potenzial steckt in Oberhausen?
Schlagzeilen treffen das Viertel immer wieder: Über die Drogenszene am Helmut-Haller-Platz. Über den langen Bürgerstreit um einen Süchtigentreff. Und im Mai 2025 schlug eine Polizeimeldung ein: Schießerei in der Donauwörther Straße. Ist das nur Schlagzeilengewitter? Ein ungerechtes Bild? Yesilbalkan möchte nichts beschönigen. Letztens habe er einen jungen Mann auf der Straße gesehen, der aus der Spielhalle getorkelt sei. Am Bordstein saß. Die letzten Karten aus seinem Portemonnaie schüttelte. Das habe ihn berührt. „Aber das Viertel braucht nicht nur partielle Hilfe für Menschen, denen man zweifelsohne ganz dringen helfen muss. Die Menschen haben hier einen Anspruch auf Kultur und kulturelle Bildung.“
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Wie viel Kultur steckt in Oberhausen? Hier zum Beispiel, in der Ulmer Straße?
Foto: Andreas Lode
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Wie viel Kultur steckt in Oberhausen? Hier zum Beispiel, in der Ulmer Straße?
Foto: Andreas Lode
Drei Straßennamen nennt Yesilbalkan immer wieder, es sind für ihn die Hauptachsen seines Projekts: „Ulmer Straße, Donauwörther Straße, Wertachstraße.“ Gerade trinkt er eine Tasse Tee in einem türkischen Café, Ulmer Straße. Der Drummer erzählt, dass er hier mit seiner Band schon oft nach langen Probenabenden hereinspaziert sei. Das sei so einer dieser Läden im Viertel, in denen man 23 Stunden am Tag eine richtig gute warme Mahlzeit bekomme. Überhaupt, viel Eifer und Leben hier in der Straße. Die Trambahn rüttelt, vorbei am Asia-und-Afrika-Shop, an den Scheren im Schaufenster, die für den Barbershop werben, Roller hupen, Menschen schlendern und schließlich überqueren ein paar Trachtler in Lederhosen die Straße. Diesen Mix genießt Yesilbalkan. „Hier kann man an jeder Ecke und zu jeder Stunde etwas lernen. Hier begegnet man 100 Nationen und Farben. Man muss sie nur gut miteinander vermischen, dann entsteht ein Werk daraus“.
„KlangWerk Kultur“ heißt das Projekt für Augsburg Oberhausen
Er hat das Gefühl, dass die Stadt dieses Potenzial Oberhausen nicht nutzt, oder zumindest nicht genug. Wenn einmal die Kulturszene von außen in das Viertel stößt, dann gelingt es oft nicht, die Menschen zu erreichen, die hier leben. Ein Beispiel nennt der Musiker: Das Brechtfestival war zuletzt zweimal in Oberhausen zu Gast, aber jenseits der Festivalzentrale, im alten Segmüller-Gebäude am Plärrer, ganz am Rand von Oberhausen, sei nicht genug übergeschwappt in die Gassen, findet Yesilbalkan. „Was an Kultur hier organisiert wird, hat mit den Menschen in Oberhausen oft nicht genug zu tun. Dafür muss ich sie fragen in den Straßen: Was sind eure Sorgen? Bedürfnisse? Wünsche?“ Und der Wunsch laute meistens: Anerkennung. „Deshalb hilft nur eines: Geh hin und unterhalte dich“, denn sonst bleibe jedes Grüppchen doch nur für sich. „Dann verstärken sich die Parallelgesellschaften.“ Und dagegen will er wirken: „Ich bin der, der da reingeht.“
Mit drei konkreten Projekten will er sein „KlangWerk Kultur“ jetzt starten. Projekt eins: „Klang der Welten“. Dafür will er den Kontakt zu den afrikanischen Gemeinden im Viertel suchen, aber auch zu DITIB und der syrisch-orthodoxen Gemeinschaft, zu Sunniten, Aleviten ebenso wie Protestanten und Katholiken. Aus all diesen Gruppen will er Jugendliche für ein Musiktheater-Projekt gewinnen. „Und dann suchen wir gemeinsam nach Gemeinsamkeiten, und eben nicht nach den Unterschieden.“ Im Prozess, in dem sich alles mischt, soll ein Musiktheaterstück entstehen.
Yesilbalkan will auch einen Podcast für Augsburg Oberhausen starten
Das zweite Projekt soll das erste begleiten: Eine Video- und Podcastreihe mit dem Titel „Zwischen Tür und Angel“, die Stimmen aus dem Stadtteil Oberhausen sammelt. „Warum nicht den Barbershop-Betreiber fragen, wie er‘s mit der Religion hält?“, sagt Tarkan Yesilbalkan. Das dritte Projekt trägt dann den Namen „Heimatlos“ und klingt in seiner ersten Beschreibung abstrakt, nach sehr viel von allem: Eine „gesellschaftspolitische Performance, an der Schnittstelle von Musik, Video, KI und Performancekunst“. Aber das Werk soll aus einem einzigen Gefühl heraus entstehen: „Entwurzelung“, sagt Yeilbalkan. „Integration aus einer Perspektive, die nicht so schön ist, aber dafür wahr.“
Er selbst ist im oberpfälzischen Tirschenreuth aufgewachsen, als Kind von türkischen Einwanderern, und habe schnell gelernt, sich noch etwas bayerischer zu präsentieren als die anderen Bayern. Um anzukommen. Doch lange Zeit kam er nicht an: „Meine Erfahrung war lange Zeit: Ich bin hier geboren, hier aufgewachsen und man gehört trotzdem nicht hierher.“ Perspektivlosigkeit, kein Anschluss, Kummer um die Familie – das sei das Grundgefühl, das viele Einwanderer der ersten und zweiten Generation erleben. Hin- und hergerissen zwischen zwei Heimaten. Wie hat Yesilbalkan seine Entwurzelungsschmerzen überwunden? „Über die Musik. In der Gemeinschaft.“ Und die betreibt er seit Jahren professionell, in gemischten Kombos.
„Der mit Liebe rennt, wird nicht müde“, sagt Tarkan Yesilbalkan
Noch arbeitet er fast allein an seinem Plan. In seinem Kalender stehen aber schon Termine für Gespräche mit den Referenten der Stadt, denn die nötigen Mittel und Hilfen für so ein Projekt muss er selbst organisieren. Seine Vision: Eine Projektzentrale im Viertel, gerade sucht er nach Räumen. Dazu dann ein Team von vier, fünf Köpfen, von der künstlerischen Leitung bis zur Projektassistenz. Denn Yesilbalkan will Workshops bieten, Konzerte, Theater am Ort, dort wo sich die Geschichten zutragen. Vor der Spielhalle und im Barbershop. Er arbeitet an seinem Plan und zitiert ein türkisches Sprichwort: „Der mit Liebe rennt, wird nicht müde.“
Infos zum Projekt unter www.klangwerk-kultur.de.
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Veronika Lintner
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