Storybook-Häuser heißen die Bauwerke aus den 1920ern und 1930ern, die von Charlie Chaplin und Walt Disney inspiriert oder gebaut wurden. Retro und mit Charme.

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Höchst berühmt waren die Bewohner der Chaplin Cottages.

Sabine Mezler-Andelberg

Ein wenig hineingequetscht stehen sie da, die Hobbit-Häuser mitten in Los Angeles, genauer in Culver City. Zwischen Apartmenthäusern, die das Kubische zelebrieren, wirken sie trotzig mit ihren halbrunden Formen, den unregelmäßigen Holzschindeln, die sich an manchen Stellen vom Dach über die Wand bis zum Boden ziehen, und dem Doppel-Holztor in organischem Design. Selbst die Bäume auf dem Grundstück schräg gegenüber von Sony Pictures scheinen sich an die Formen des ersten, 1946 gebauten Hauses anpassen zu wollen, in dem es weder rechte Winkel noch Türschnallen gibt.

Mit offiziellem Namen heißen die Hobbit-Häuser „Lawrence and Martha Joseph Residence and Apartments“, nach ihrem Erbauer und dessen Ehefrau, die mit dem Cottage-Ensemble eines der bedeutendsten Bauwerke der sogenannten Storybook- oder Fairytale-Architektur geschaffen haben, wie die Los Angeles Conservancy betont, die den Komplex 1996 in die Liste geschützter Baudenkmäler aufnahm.

Bauherr Charlie Chaplin

Allerdings war Lawrence mit seinen Häusern, die er von 1946 bis 1970 fertigstellte, ziemlich spät dran. Denn die Blüte dieser Märchenhaus-Architektur, die Lawrence inspirierte, fand bereits in den 1920er- und 1930er-Jahren statt. Auch „Provincial Revivalism“ – also etwa „provinzielle Erneuerung“ – oder „Hansel and Gretel“ genannt, war der Baustil eine Verneigung vor den Hollywoodfilmen und -geschichten, so gibt es etwa eine Schneewittchen-Siedlung; entsprechend verspielt und märchenhaft sind die Elemente. Unebene Dachziegel und ebensolche Kopfsteinpflasterböden gehören genauso dazu wie kleine Fenster und Türen in unregelmäßigen Formen; Dächer, die an spitze Türme oder Hexenhäuser erinnern, Teiche und Wassergräben sowie die sogenannten Dovecotes – stilgerechte Taubenhäuser.

So wohnten Hobbits anno 1946.

So wohnten Hobbits anno 1946.  Sabine Mezler-Andelberg

Zu den berühmtesten Bauherren und Bewohnern dieser Häuser gehörte ein gewisser Charlie Chaplin, der unter anderem die Bungalows an der North Formosa Avenue sowie an der 819 North Sweetzer Avenue gebaut hat, in denen sich heute das Hotel Charlie befindet. Genutzt hat er die kleinen Cottages nicht nur für sich selbst, sondern auch, um seine Künstler darin unterzubringen. So gehören unter anderem Judy Garland, Rudolph Valentino und Douglas Fairbanks zu den temporären Bewohnern der Chaplin-Cottages, die sich praktischerweise in der Nähe der Chaplin-Studios befinden – bei denen sich bereits die Anfänge seiner Liebe zur Storybook-Architektur abzeichneten.

Hexenhaus mit Wassergraben

Nachdem Chaplin diese 1919 an der North La Brea Avenue fertiggestellt hatte, folgten seine Cottage-Courts Mitte der 1920er-Jahre. Dafür verpflichtete er das bis heute zu den bekanntesten Vertretern dieses Architekturstils zählende Ehepaar Arthur und Nina Zwebell. Der große Star der Märchenhäuser war allerdings Harry Oliver, der neben seiner Arbeit als Architekt vor allem als Humorist und Oscar-nominierter Art-Direktor für Filme aus den 1920ern und 1930ern bekannt war.

Snow White Cottages inspirierten zum „Schneewittchen“-Film (1937).

Snow White Cottages inspirierten zum „Schneewittchen“-Film (1937). Sabine Mezler-Andelberg

Zu seinem Werk gehört auch das sogenannte Spadena House, das größte, schönste, besterhaltene und – zumindest von außen – am umfangreichsten einsehbare Objekt. Auch unter dem Namen „Witch’s House“ bekannt, hat das Gebäude an der Ecke Walden Drive und Carmelita Avenue eine lange, abwechslungsreiche Geschichte hinter sich. 1921 als Drehort und Bürogebäude auf dem Gelände der Willat-Filmstudios in Culver City erbaut, wurde es 1926 nach Beverly Hills transportiert und privat genutzt.

Zu seinen Besonderheiten gehören die spitzen, schiefen Dächer, seine kleinen Fenster und der verwunschene englische Garten. Aber auch der Wassergraben, der das Gebäude später in Bedrängnis brachte. Denn in den 1960er-Jahren begann dessen Wasser in das Gebäude einzudringen, weshalb die seinerzeitigen Besitzer ihn einfach zuschütteten – und auch das Haus nicht wirklich erhielten.

Vorläufer der Disney-Parks

Als es 1997 dann auf den Markt kam, ließ sich zunächst schwer ein Käufer finden – weshalb es der Makler kurzerhand selbst kaufte und zunächst einen hohen Zaun drum herum errichten ließ. Der brachte ihm übrigens Hassnachrichten aus der Nachbarschaft ein, weil manche vermuteten, er wolle das Herzstück der Storybook-Architektur abreißen.

Entsprechend groß war die Erleichterung, als sich nach dem Entfernen des Bauzauns herausstellte, dass er das Haus so liebevoll wiederhergerichtet hatte, dass es heute „Landmark Nummer acht“ in Beverly Hills darstellt.

Das Spadena-Haus gehört aber nicht nur wegen seines guten Erhaltungszustands zu den Ikonen dieser Stilrichtung, sondern auch, weil es als Vorläufer des von Walt Disney propagierten Konzepts des „Imagineering“ gilt. Diese Bezeichnung ist ein Wortspiel aus Imagination für Fantasie und Engineering für Ingenieurswesen, und auf diesem Konzept sollten später auch die Dis­ney’schen Themenparks beruhen. Den Wunsch, ihre Filmsets und Fantasiewelten in weniger vergängliche Bauwerke zu transformieren, haben sowohl Chaplin als auch Disney gemein – und damit die Baukünstler ihrer Zeit und Bauwerke inspiriert. So war beispielsweise auch Lawrence Joseph, der Architekt hinter dem Hobbit-Haus, unter anderem Zeichner bei Disney.

Hexenhäuschen par excellence: Spadena House.

Hexenhäuschen par excellence: Spadena House. Sabine Mezler-Andelberg

Umgekehrt war es dagegen bei den „Snow White Cottages“, den Schneewittchen-Häusern. 1931 von Ben Sherwood, einem anderen großen Namen in der Storybook-Architektur, gebaut, gelten diese als Inspiration für den 1937 erschienenen berühmten „Schneewittchen“-Film, der 55 Jahre lang den Titel des umsatzstärksten Zeichentrickfilms führen sollte. Die acht kleinen Häuser in einer leicht geflickt wirkenden Fachwerk-Optik mit kleinen Fenstern und großen Kaminen stehen am Griffith Park Boulevard in Los Feliz, nur ein paar Blocks von den einstigen Disney Studios entfernt, in denen von 1926 bis 1940 gearbeitet wurde.

Laut der inzwischen verstorbenen Sylvia Helfert, die die Anlage 1976 um 140.000 US-Dollar erwarb, wurde eines der Cottages 1937 während der Produktion als Büro genutzt – was wenig verwunderlich macht, dass die Zwergenhäuser im Film eine große Ähnlichkeit zu den Cottages in Los Angeles aufweisen. Zumal die Anzahl von acht Häuschen ja geradezu prädestiniert für die Unterbringung von Schneewittchen plus sieben Zwergen ist.

Im Tam O’Shanter (unten) kann man einkehren.

Im Tam O’Shanter (unten) kann man einkehren. Sabine Mezler-Andelberg

Heute steht die Anlage – die übrigens 2001 auch als „Sierra Bonita“-Apartmentkomplex in David Lynchs „Mulholland Drive“ (2001) einen weiteren Filmauftritt hatte – inmitten anderer Wohnhäuser; einzelne Cottages wurden im Lauf der Zeit immer wieder von Künstlern wie etwa dem (Film-)Musiker Elliott Smith gemietet und bewohnt.

Steaks und Wappen

Während die meisten Storybook-Häuser sich lediglich von außen besichtigen lassen, ist man in einem der Top fünf in Los Angeles auch im Inneren willkommen: im Tam ­O’Shanter. Das Haus ist seit 1922 im Besitz derselben Familie, deren Mitglieder hier durchgehend ein schottisches Steakhouse betrieben haben.

Erbaut von Harry Oliver, der auch das Spadena House entworfen hat, wurden hier verkohlte Holztramen als Träger für das Fachwerk genutzt, die auch im Inneren präsent sind. Genau wie mittelalterliche schottische und englische Waffen, Kilts und Familienwappen. Was in keinem Widerspruch zur US-Geschichte der Gebäude steht, denn die amerikanische Version der Märchen-Häuser verwendet Elemente des Tudor-Stils, wie etwa die steilen Dächer, die verspielten Kamine, bestimmte Anordnungen der Fenster und verzierte Türen. Die wurden hier aber – anders als vieles andere in den USA – nicht im Selbstverständnis des „Make it bigger and better“ weiterentwickelt, sondern vielmehr im Sinne von „Small is beautiful“. Was eine entzückende Abwandlung ist, die durchaus einen Besuch lohnt.

Originelle Bau-Schau

Wohnen: Wer stilgerecht zum Thema absteigen möchte, kann das im Charlie Hotel tun, das einst ein Storybook-Haus von Charlie Chaplin war: thecharliehotel.com

Essen: Das Tam O’Shanter ist nicht nur ein Storybook-, sondern auch ein Steakhouse.

Besichtigung: Touren zu den Häusern werden nicht angeboten, mit einem Mietwagen lassen sich die fünf bekanntesten Häuser aber an einem Nachmittag bequem abfahren. Eine mögliche Reihenfolge ist:

Snow White Cottages (2900 Griffith Park Boulevard, L.A.); Tam O’Shanter (2980 Los Feliz Boulevard, L.A.); Chaplin Cottages (1328 North Formosa Avenue, L.A.); Spadena House/Witch’s House (516 Walden Drive, Beverly Hills); Hobbit House (3819 Dunn Drive, Culver City).

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