Im Schutz mannshoher Erdwälle warten die Milizionäre auf den Konvoi. Der Kommandeur des Checkpoints trägt einen buschigen Schnurrbart, ein Militärhemd und Pluderhosen, die zur traditionellen Kleidung der drusischen Minderheit in Syrien gehören. Ein Mann im Rentneralter steht breitbeinig in olivgrüner Uniform am Straßenrand, die Hände auf den Lauf des Sturmgewehrs gelegt, das von seiner Schulter herunterhängt. Ein Jugendlicher in schwarzen Röhrenjeans und Muskelshirt hat sich an die mittelalterlich anmutende Schutzanlage gelehnt. Er beäugt die Fahrzeuge, die sich im Schritttempo vorwärtsschieben.

Die Wälle wurden versetzt aufgeschüttet, sodass jeder, der ins drusische Sweida im Süden Syriens hineinwill, die Fahrt verlangsamen und enge Kurven fahren muss. Heute ist ein guter Tag, denn Lastwagen mit Hilfslieferungen kommen in die abgeriegelte Stadt.

Seit gut einem Monat ist Sweida abgeschnitten vom Rest des Landes. Angst und Anspannungen liegen über der Stadt. Es herrscht wenig Vertrauen in die brüchige Waffenruhe, die im vergangenen Monat nach blutigen Gefechten mit Regierungstruppen und Beduinenkämpfern geschlossen wurde. „Das hier ist nur eine Atempause. Es ist nicht vorbei“, sagt ein Milizionär mit der Statur eines Elitesoldaten, der sich grinsend als Abu Arab vorstellt.

Ausgeplünderte Gebäude und zerschossene Autowracks

Die Feinde stehen nicht weit vom bewehrten Ortseingang entfernt. Es sind nur wenige Minuten Autofahrt auf einer strapazierten Asphaltpiste. Bärtige Kämpfer, nicht alle in Regierungsuniform, bemannen dort den Checkpoint. Sie lassen kaum jemanden passieren. Auch die ausländische Presse wird von hier ferngehalten. Seit gut vier Wochen, sagen die drusischen Milizionäre am Ortseingang von Sweida, sei kein ausländischer Reporter hier gewesen. Die Einwohner sprechen von einer Belagerung durch die Regierung ihres eigenen Landes.

Die Kräfte der Führung in Damaskus kontrollieren das Umland von Sweida. Die drusischen Dörfer dort sind unbewohnbar. Der Weg nach Sweida führt durch eine menschenleere Gegend, vorbei an verkohlten, ausgeplünderten Gebäuden und zerschossenen Autowracks. Alle paar Kilometer haben die Regierungstruppen Checkpoints eingerichtet, Bewaffnete sitzen an den Tischen, auf Sofas und Betten, die sie aus den verlassenen Häusern geschafft haben.

Die Einwohner von Sweida sind nicht nur in ihrer Stadt gefangen. Sie müssen sich eine tagelange Gewaltorgie aus den Gliedern schütteln, die sie bis ins Mark getroffen hat. Im Juli war zuerst ein Konflikt mit Beduinen aus dem Umland eskaliert. Auf eine Welle gegenseitiger Entführungen folgten blutige Gefechte. Die Regierung setzte Truppen in Marsch, um dem Morden ein Ende zu setzen. Sie wollte aber zugleich die Gelegenheit nutzen, Sweida unter ihre Herrschaft zu bringen. Mächtige drusische Notabeln hatten sich dort über Monate den Forderungen aus Damaskus versperrt, ihre Milizen zu entwaffnen und die Kontrolle über ihre Stadt abzugeben. Sie misstrauten den neuen islamistischen Machthabern von Anfang an.

Das Kalkül der Führung unter Präsident Ahmad Al-Scharaa ging nicht auf. Drusische Milizen leisteten erbitterte Gegenwehr. Sweida versank in Chaos und Gewalt. Die Verteidiger stellten unerfahrenen Rekruten der Regierungstruppen einen blutigen Hinterhalt. Drusische Milizionäre führten Gefangene halb nackt in den Straßen vor. Regierungstruppen demütigten alte drusische Herren, indem sie ihnen die Bärte schoren, die als heilig gelten. Beduinenkämpfer und Milizen unter dem Banner der Regierung ermordeten Zivilisten, vergewaltigten, plünderten, steckten Häuser in Brand.

„Wir haben nicht gewagt, uns zu rühren“

„Als sie in unsere Straße kamen, sind wir von Haus zu Haus geflohen, von Keller zu Keller“, sagt ein Ladenbesitzer in Sweida. „Als es vorbei war, lagen die Leichen meiner Nachbarn auf der Straße.“ Auch andere Einwohner berichten, wie sie sich in ihren Häusern verbergen mussten, während sie draußen Schüsse hörten und dann den dumpfen Aufprall ihrer ermordeten Nachbarn auf dem Asphalt. Augenzeugen erzählen, wie ein Lieferwagen voller Zivilisten beschossen wurde, sich überschlug und dann die Toten aus der aufgerissenen Tür gekippt wurden.

Die Kämpfe haben Spuren hinterlassen: Zerstörungen am Omran-Kreisverkehr in SweidaDie Kämpfe haben Spuren hinterlassen: Zerstörungen am Omran-Kreisverkehr in SweidaChristoph Ehrhardt

Eine Anwältin in Sweida sammelt Informationen über Frauen, die vergewaltigt und anschließend ermordet wurden. „Die Männer haben dabei gerufen, das geschehe im Namen Gottes“, sagt sie. Ihre Berichte gleichen denen von Mitarbeitern einer örtlichen Hilfsorganisation. „Ich selbst habe mit meiner Familie tagelang ohne Essen und Wasser ausgeharrt“, sagt die Anwältin, die wie so viele andere in der Stadt nicht will, dass ihr Name veröffentlicht wird. „Im Nebenhaus haben wir ihre Stimmen gehört. Wir haben nicht gewagt, uns zu rühren.“ Nachts hätten sie sich unter Decken verborgen, wenn sie ihre Mobiltelefone nutzten, damit sie das Licht des Displays nicht verriet.

Die Drusenmilizen konnten sich militärisch behaupten. Sie hatten einen mächtigen Verbündeten: Israel hat sich zu ihrer Schutzmacht erklärt, will die Truppen der Regierung aus dem südlichen Grenzgebiet fernhalten. Die Luftwaffe leistete während der Schlacht um Sweida überlebenswichtige Unterstützung. Drohnen und Kampfflugzeuge nahmen die Angreifer ins Visier. Die israelische Luftwaffe bombardierte sogar symbolträchtige Ziele wie das Verteidigungsministerium, um eine Botschaft an Scharaa auszusenden. Nach Erhebungen von Vermittlern wurden im Zuge der Kämpfe insgesamt etwa 2500 Menschen getötet, 1500 Drusen, die meisten von ihnen Zivilisten, 1000 Beduinen, die meisten von ihnen Kämpfer. Der Schock über das Blutvergießen hat sich noch nicht verzogen.

Die Überlebenden leiden zugleich unter der wirtschaftlichen Not, die mit der Blockade einhergeht. Die Straßen sind deutlich leerer als vor den Kämpfen, kaum jemand verlässt am späten Nachmittag noch das Haus. Es gibt nur wenige Stunden Strom am Tag. Es herrscht Mangel an Treibstoff. Lebensmittel und Medikamente kommen nur spärlich in die Stadt. Die Leute klagen über Geldnot, weil es keine Arbeit gebe. In den Schulen werden Vertriebene aus dem verheerten Umland untergebracht, die nicht wissen, wann sie wieder nach Hause können.

„Wie sollen wir das jemals vergessen?“

Das Belagerungsgefühl hat Solidarität erzeugt. Aber es hat sich auch eine misstrauische Wagenburgmentalität in Sweida ausgebreitet, in der Gerüchte schnell zu vermeintlichen Gewissheiten werden. Weil vor einiger Zeit eine der seltenen Hilfslieferungen in halb leeren Lastwagen gebracht wurde, steht der Vorwurf im Raum, der Rote Halbmond zweige Güter ab. Tatsächlich, so heißt es aus einer Quelle, die mit Vermittlungen zwischen den Konfliktparteien befasst ist, müssen die Helfer auch vertriebene Beduinen versorgen, damit gewährleistet ist, dass die Konvois sicher an ihr Ziel kommen.

Sweida ist eine schwärende Wunde, die ganz Syrien mit Hass und Misstrauen infiziert. Die Kraftprobe befeuert Angst unter den Minderheiten, die sich von den islamistischen neuen Machthabern ebenfalls bedroht fühlen. In der sunnitischen Bevölkerungsmehrheit schürt das nach Jahrzehnten der Unterdrückung Frustration darüber, dass Drusen, Kurden oder Alawiten die neuen Machtverhältnisse im Land nicht akzeptieren und der Regierung nicht gehorchen. Im Zuge der Schlacht um Sweida hatten sich Tausende Kämpfer in Konvois zu spontanen Heereszügen in Marsch gesetzt.

In Sweida kann es lange dauern, bis sich die Wunden der vergangenen Wochen wieder schließen. „Wie sollen wir das jemals vergessen?“, fragt die Anwältin. Eine Studentin, die eigentlich an der Universität in Daraa studiert, berichtet von zerbrochenen Freundschaften, weil sich einige ihrer Kommilitonen dem Sturm auf Sweida angeschlossen hatten. „Niemals werden wir der Regierung in Damaskus wieder vertrauen können“, sagt der Ladenbesitzer, dessen Kunden laut zustimmen. „Sie muss fallen!“ Größer ist nur sein Hass auf die beduinischen Nachbarn. Wie viele andere in Sweida berichtet der Ladenbesitzer, Beduinenkämpfer hätten den marodierenden Islamisten der Regierungstruppen als Stadtführer gedient. „Wie soll es jemals Frieden geben – sie sollen woanders hingehen“, sagt er. „Das sind keine Menschen, das sind Wilde!“

Und wie viele andere in Sweida ist der Mann den Israelis dankbar. „Wenn mein Leben in Gefahr ist, würde ich sogar die Hilfe des Teufels annehmen“, sagt er. Die israelische Flagge, eigentlich ein Tabu in Syrien, ist Teil des Straßenbildes. Sie weht neben einer drusischen Flagge auf dem zentralen Marktplatz. Sie ist auf die Ladefläche von Pritschenwagen aufgepflanzt. Sie wird bei Protesten gegen die Regierung in Damaskus geschwenkt.

Die Fronten sind verhärtet

Das bestärkt den Glauben auf der anderen Seite, gegen sektiererische Vaterlandsverräter und Kollaborateure zu kämpfen, die das Land an die ausländischen Feinde verkaufen. Einer der Männer in schwarzer Regierungsuniform gibt eine einfache Antwort auf die Frage, warum er sich als Freiwilliger in die Schlacht um Sweida geworfen hat: „Dschihad.“ Für wen? „Für Gott und für Syrien.“ Er nennt sich Abu Riah, Vater des Windes, weil er als Kind so schnell laufen konnte. Es ist ein einfacher Mann mit einem entsprechenden Weltbild: In Sweida hat sich in seinen Augen alles Böse versammelt, das dem Land schaden will. „Alle, die gegen uns sind, sind in Sweida“, sagt er. „Die Regierung hätte das Problem militärisch lösen sollen. Zwei Stunden und alles wäre vorbei gewesen.“ Für Abu Riah haben die Drusen in Sweida nur eine Wahl: Unterwerfung.

Die Fronten sind verhärtet. Ein friedlicher Ausweg aus der Sweida-Krise scheint derzeit in weiter Ferne zu liegen. Die große Zahl der Toten übersteigt die traditionellen Möglichkeiten, den Konflikt zwischen Drusen und Beduinen beizulegen. „Seit Jahrhunderten haben sie sich immer wieder bekriegt. Aber die Totenzahlen fallen völlig aus dem Rahmen“, sagt ein Mittelsmann. Beduinische Führungspersönlichkeiten haben zwar versöhnliche Signale ausgesandt, aber die drusischen Anführer in Sweida sind derzeit ebenso unversöhnlich wie die Bevölkerung.

In diesen Tagen gebietet ein Mann unangefochten über die Stadt. Scheich Hikmat al-Hidschri, ein wichtiger spiritueller Führer der Drusen, der im Zuge der Gewalt zum alleinigen starken Mann aufgestiegen ist. „Die Leute in Sweida können selbst für ihre Sicherheit sorgen“, hatte er während eines Treffens im Januar erklärt. Heute schweigt er gegenüber der Presse. In den vergangenen Monaten hatte sich Hidschri mit scharfen, oft schrillen Tönen als regierungsfeindlicher Wortführer positioniert.

Sezessionssehnsüchte

Kritiker des Scheichs in Sweida, die der Regierung entgegenkommen wollten, sind nach dem Morden und Plündern verstummt. Zum einen weil Hidschri und seine Milizen die Stadt fest im Griff haben. Zum anderen weil es angesichts der Stimmung kaum opportun wäre. Hidschri habe vielleicht gesehen, was andere nicht gesehen haben, sagt ein örtlicher Journalist. Außenstehende, auch Drusen, sagen, der Anführer von Sweida habe mit seinem konfrontativen Verhalten erheblich dazu beigetragen, dass sich seine düsteren Prophezeiungen erfüllen.

Hidschri beharre noch immer auf unrealistischen Positionen, heißt es aus Vermittlerkreisen. Er wolle Sweida mit israelischer Unterstützung unabhängig von Syrien machen, lasse nicht einmal die Mitarbeiter der staatlichen Elektrizitätsgesellschaft oder Hilfslieferungen unter dem Banner der Regierung in die Stadt.

Auch mit seinen Sezessionssehnsüchten steht der Scheich nicht allein in Sweida. An einem Kreisverkehr, der flankiert ist von zerschossenen, verkohlten Wohnhäusern und einem ausgebrannten Schnapsladen, hält ein Minibus, um Fahrgäste aussteigen zu lassen. Der Fahrer kurbelt die Scheibe herunter, reckt den Kopf aus dem Fenster und brüllt: „Herzlich willkommen im Staat der Drusen!“