Die Lage ist unbezahlbar. Direkt am Kurpark Bad Cannstatt gelegen steht die rosafarbene Villa, die bis etwa 2020 einer alten Dame gehörte, im Garten davor befanden sich ein Teich sowie ein beeindruckender Baumbestand. „Man hat hier immer die Frösche quaken hören“, erinnert sich Ulrike Pechtel, die direkt gegenüber wohnt. Ein Idyll.

Und doch ist die Lage schlecht. Inzwischen ist die alte Dame gestorben, die Bäume sind gefallen, der Teich geleert und die Hoffnungen der Anwohner auf ein positives Ende sind mehr als getrübt. Denn die Villa an der Wildbader Straße 14 (Ecke Kreuznacher Straße) ging an eine Erbengemeinschaft, die sich wiederum zum Verkauf der Immobilie entschloss. Das Haus wurde an die Pflugfelder Unternehmensgruppe verkauft.

Nach dem Abriss soll eine Anlage mit 27 Wohneinheiten entstehen

Die will die Villa sowie ein Nebengebäude, die beide inzwischen seit Jahren leer stehen, abreißen und eine Wohnanlage mit drei Mehrfamilienhäusern mit insgesamt 27 Wohneinheiten auf das Grundstück bauen. Eine „Wohnmaschine“ nennen Ulrike Pechtel, Verena Wörner, die ebenfalls im Quartier wohnt, und Peter Mielert, der sich in Bad Cannstatt seit Jahrzehnten gegen Leerstand und für den Erhalt alter Wohnsubstanz einsetzt, das geplante Gebäude auch gerne.

Der Begriff „Wohnmaschine“ ist natürlich vor allem der Größe der geplanten Anlage geschuldet, für die zudem noch eine Tiefgarage geplant ist. „Die Spundwände für die Tiefgarage sollen fünf Meter tief in den Neckarkies eingetrieben werden. Das ist ein lockerer Untergrund hier, aber man könnte dabei auch auf Felsen stoßen“, sagt Verena Wörner. „Man weiß um das Risiko, denn bei uns Nachbarn sollen während dieser Zeit Erschütterungssensoren angebracht werden“, fügt sie an. Pechtel gibt zudem zu bedenken, dass man sich in einem Mineralwassergebiet befinde. Auf die Garage soll nach Informationen der drei Nachbarn ein Meter Erde aufgeschüttet werden.

Doch auch an der Oberfläche soll die bebaute Fläche des Grundstücks deutlich vergrößert werden. Erlaubt sind 35 Prozent, laut Baugesuch will Pflugfelder aber 54 Prozent des Grundstücks überbauen. Die drei Nachbarn bezeichnen das als „totale Versiegelung“.

Seit dem Jahr 2022 ermöglicht allerdings die Verordnung nach §201 a BauGB (Bestimmungen von Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt), Befreiungen davon zu erteilen. Speziell für den Wohnungsbau können Gemeinden in Gebieten mit Wohnungsnot unter bestimmten Bedingungen vom Bebauungsplan abweichen, wenn dies mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist und die Interessen der Nachbarn berücksichtigt werden.

Die Villa (links) sowie das Nebengebäude sollen abgerissen werden. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Doch ist auch geregelt, wie groß die Wohnungsnot in solch einem Gebiet sein muss, damit diese Regelung greift? Von der Stadt kommt dazu folgende Antwort: „Die Stadt Stuttgart wurde durch die Landesregierung in der Verordnung der Landesregierung zur Bestimmung der Gebiete mit einem angespannten Wohnungsmarkt nach § 201a des Baugesetzbuchs vom 19. Juli 2022 als Gebiet mit angespanntem Wohnungsmarkt eingeordnet. Es handelt sich hierbei nicht um eine durch die Stadt selbst getroffene Festlegung und sie bezieht sich zudem nicht auf einzelne Stadtbezirke.“

Zudem seien laut der Pressestelle der Stadt die erforderlichen Befreiungen von den Bestimmungen der geltenden Baustaffel 5 nach Stuttgarter Ortsbausatzung auch erteilt worden, da die gesetzlichen Befreiungsvoraussetzungen gegeben waren. „Es handelt sich bei dem Baugrundstück um ein Eckgrundstück. Bei solchen wird regelmäßig die zulässige Flächenausnutzung überschritten, wenn innerhalb der zulässigen Gebäudetiefe die festgesetzte erforderliche geschlossene Bauweise (Grenzbau zum Nachbarn) eingehalten werden soll“, heißt es von Seiten der Stadt.

Abriss und Neubau: Gesetz trifft auf Gesetz

Eine Nachverdichtung zugunsten der Förderung des Wohnungsbaus ist also politisch gewünscht und gefordert. So genehmigte die Stadt den Bauantrag von Pflugfelder. Das Bauvorhaben wurde vor der Entscheidung durch das Baurechtsamt im Ausschuss für Stadtentwicklung und Technik des Gemeinderates vorgestellt.

Doch an dieser Stelle wird es interessant. Denn hier trifft Gesetz auf Gesetz. Für das Kurssaalquartier gilt bereits seit Jahrzehnten die städtebauliche Erhaltungssatzung. Diese besagt, dass der Neubau, der Rückbau, die Änderung oder die Nutzungsänderung baulicher Anlagen nur mit einer Genehmigung möglich sind. Ziel ist deshalb die Erhaltung der städtebaulichen Eigenart eines Gebiets aufgrund seiner städtebaulichen Gestalt. Davon betroffen sind alle baulichen Maßnahmen, welche das Gebäude in seinem Erscheinungsbild verändern – unabhängig davon, ob die baulichen Maßnahmen der Genehmigungspflicht nach der Landesbauordnung unterliegen. Der Genehmigung bedürfen sogar das Verändern von Tür- und Fensterunterteilungen, Gesimsen und sonstigem Zierrat.

Was sticht hier was?

Was ist also wichtiger: Quartiersschutz oder Wohnraumschaffung? Was sticht hier was? Von der Pressestelle der Stadt kommt dazu folgende Antwort: „Die Geltung einer Erhaltungssatzung bedeutet nicht, dass jedes Gebäude zwingend erhalten werden muss; die Bewertung ist im jeweiligen Einzelfall auf Grundlage der konkreten Erhaltungssatzung nach Maßgabe von § 172 Abs. 3 BauGB zu treffen.“

Mielert findet das eine sehr schwammige Vorgehensweise: „Es ist kritisch zu beurteilen, dass die Stadt solch eine Beurteilung hat, aber trotzdem solch eine Genehmigung erteilt.“ Er und seine zwei Mitstreiterinnen bemängeln zudem, dass bei dem Neubau überhaupt nicht auf die städtebauliche Gestalt des Kursaalquartiers eingegangen werde. Nicht einmal die abgeschrägten Ecken, die hier fast alle Häuser an Straßenkreuzungen auszeichnen, würden aufgegriffen werden.

„Der Neubau ist nicht vertretbar, weder optisch noch ökologisch“

Verena Wörner findet, dass Pflugfelder „die Rechtslage bis zum Anschlag ausgereizt hat“. Ihrer Meinung nach ist „der Neubau nicht vertretbar, weder optisch noch ökologisch – schon gar nicht bei den heißen Sommern“. Zumal sie sich fragt, was für Wohnungen dort entstehen: Eigentums- oder Mietwohnungen? Und in welchem Preissegment liegen diese? „An hochpreisigen Wohnungen herrscht in Stuttgart sicher kein Bedarf.“ Pflugfelder reagiert auch auf mehrfache Rückfrage auf diese Anfrage nicht.

Die drei Cannstatter gehen nicht davon aus, dass das Bauvorhaben noch zu verhindern ist – auch wenn sie es sich durchaus wünschen. Sie möchten aber die Planung des Neubaus optimiert wissen: Der Bau soll ökologischer geplant werden, die Tiefgarage gar nicht erst gebaut werden und die Anlage soll freundlich sein und sich ins Quartier einfügen, gewünscht sind zudem Grünflächen auf dem Gelände. „Wir wollen einen Kompromiss zwischen Kommerz und historisch Gewachsenem“, sagt Wörner, die sich um das Quartier sorgt, in dem generell viel Leerstand herrsche.

Drei Bäume wurden gefällt, der Abriss selbst hat noch nicht begonnen

Es gab auch schon eine Unterschriftensammlung gegen das geplante Projekt: Petra Wilhelm hat über 1000 Unterschriften gesammelt. Diese wurden im Rathaus an Oberbürgermeister Frank Nopper und Baubürgermeister Peter Pätzold übergeben. Auch Wörner, Mielert und Pechtel stehen im ständigen Austausch mit der Stadt.

Eine Baugenehmigung gilt für drei Jahre, knapp zwei Jahre sind für das Projekt an der Wildbader Straße 14 seitdem bereits verstrichen. Bisher wurden nur drei große naturgeschützte Bäume gefällt. „Da sind große Summen als Ausgleichsmaßnahme geflossen“, sagt Peter Mielert. Die drei Cannstatter fragen sich, warum sonst noch nichts passiert ist? Auch darauf gibt es von Pflugfelder keine Antwort. Wörner, Pechtel und Mielert hoffen, dass das ein gutes Zeichen ist. Doch die Lage ist unklar.