Getrennte Rechnungen: Der Zankapfel für Gastronomen
„Je später der Abend, desto größer die Erinnerungslücken“, sagt Sarah Mohamaden vom Stuttgarter Ratskeller. Auch sie kennt also das Phänomen, dass bei Einzelzahlungen einige Posten übrigbleiben, aber: „Häufig übernimmt das dann einfach jemand.“ Einen großen Unterschied zwischen dem Ablauf im regulären Betrieb im Restaurant und dem in der Weindorflaube sehe sie nicht.
Nach kurzer Rückversicherung bei den Mitarbeitern schätzt die Betriebsleiterin, dass erstaunliche 70 Prozent der Weindorfgäste gemeinsam und 30 Prozent getrennt zahlen. Die schönsten Gruppenerlebnisse seien: Rechnung in die Mitte, und jeder schmeißt was rein.
Am schwierigsten sei das Handling bei Bussen. „Wenn bei 60 Personen jeder einzeln zahlt, und man eine Minute pro Bezahlvorgang rechnet …“ – ja, dann müssten die Gäste eigentlich schon bei der Bestellung anfangen zu bezahlen. Wenn aber schon der Fahrer auf die Gruppe wartet, dann komme es vor, dass einer die Rechnung übernimmt und alles Weitere eben im Bus geklärt werden muss.
Weindorf-Urgesteine: „Wir gängeln unsere Gäste nicht“
Bei unserem Rundgang übers Stuttgarter Weindorf merken wir: Jeder Gast ist anders. Pauschal lässt sich höchstens sagen: Je größer die Gruppe, desto häufiger wird getrennt gezahlt, ab sechs bis acht Personen etwa. Helli Schmieg ist als Zur-Weindorfwirtin von Anfang im Einsatz, seit 49 Jahren also. Und es bleibt dabei: Sie möchte „die Gäste nicht gängeln“. Weder beim Konsum- noch beim Bezahlverhalten habe sie in all den Jahren einen großen Unterschied festgestellt – auch nicht zu ihrer Besenwirtschaft im Remstal. Außer, dass eben „alles teurer geworden“ ist, womit sie auch die Umlagen auf dem Weindorf meint. Natürlich sei getrenntes Bezahlen zeitaufwendiger, „aber sogar große Gruppen machen die mit links“, sagt sie über ihre Serviceleute, die zum Teil auch schon seit 20, 30 Jahren dabei sind.
Das Servicepersonal auf dem Weindorf ist flink – auch einzelne Bezahlvorgänge werden schnell abgefrühstückt, sagt Helli Schmieg. Foto: Ferdinando Iannone/Lichtgut/Ferdinando Iannone
Und doch gibt es Veränderungen, etwa bei Firmengruppen, wo man früher großzügiger gewesen sei, heute mehr mit Gutscheinen arbeite – und häufiger einzeln zahle. Und noch eine allgemeine Erkenntnis kann man aus den Aussagen von Matthias Knobloch, Personalchef im Roten Hirsch, ableiten: In der Regel bedeute getrennt zahlen zwar mehr Aufwand, aber eben auch mehr Trinkgeld – wobei man nicht nur von ihm hört, „die zehn Prozent gelten schon lange nicht mehr“. Er könne verstehen, dass Gruppenzahlungen bequemer sind, aber moderne Kassensysteme wie Orderman machten das Rechnung-Splitten erheblich einfacher, obwohl er „ein Fan vom guten alten Block“ ist.
Bargeld, Karte oder Tap-to-Pay?
Auch Tap-to-Pay und ein inzwischen stabiles Netz auf dem Stuttgarter Weindorf (dank Starlink) erleichtern die Abwicklung, sagt Holger Köckritz, Mitinhaber von Currles Culinarium im Dreimädelhaus. Aber der Anteil an Barzahlungen sei in der Traditionslaube mit 70 Prozent weiterhin sehr hoch, was vor allem bei der Vorhaltung von Münzgeld mühsam und auch teurer sei als Kartengebühren. Das Verhältnis von gemeinsam und getrennt zahlen beziffert er auf 50 zu 50. Er kenne aber viele gesellige Runden, „da zahlt der Gruppenfürst, auch bei Firmen“.
Köckritz, der „die abschwingende Konjunktur, in der alles sehr genau kalkuliert wird“, schon spüre, hat viele Jahre in Asien gearbeitet und stellt einen großen kulturellen Unterschied fest. Im Gegensatz zu den Schwaben zahlten asiatische Gruppen zu 95 Prozent zusammen, was an der Sharing-Kultur liege, die schon beim Teilen von großen Platten beginne.
Am Ende zählt die Zufriedenheit
Aber das Gruppenverhalten ändert sich langsam. Der Oberkellner der Zaißerei gibt an, dass man gerade jüngere Leute besser steuern könne, gemeinsam zu zahlen, zumal sie sich unkompliziert über Paypal wieder ausgleichen könnten. Margret Zaiß, die wie Helli Schmieg seit 49 Jahren auf dem Weindorf ist, findet „die italienische Art“ gar nicht unsympathisch, zumal beim Getrennt-Zahlen auch in der Zaißerei oft was übrigbleibe: „Ein Sprudel, ein Kaffee, ein Schnaps – meist zahlt derjenige, der den Tisch bestellt hat, dann den Rest“, so die Seniorchefin. Aber Vorschriften machen? „Es ist doch wichtig, dass alle Leute zufrieden sind“, gerade auf „der schönsten Veranstaltung in Stuttgart“, findet Margret Zaiß, die auch schon 32 Jahre auf dem Volksfest präsent war.