Es war im Dezember 2024, als eine Außenministerin namens Annalena Baerbock von den Grünen über einen Bundeswehreinsatz in der Ukraine sprach. Sie meinte nicht, dass Deutsche dort kämpfen, sondern dass sie den Frieden sichern sollten, sobald es ihn gibt. „Diesen Frieden können wir als Europäer nur gemeinsam schützen“, sagte sie.

Damals gab es einen Oppositionsführer namens Friedrich Merz, der echauffierte sich bei Maischberger: „Was Frau Baerbock da gesagt hat: Ich halte das – um’s mal offen zu sagen – für unverantwortlich zu einem jetzigen Zeitpunkt, so eine Spekulation in die Welt zu setzen.“ Seine Begründung: „Diese Frage stellt zur Zeit niemand. Der Krieg in der Ukra­ine dauert an mit unverminderter brutaler Härte.“ Es war Wahlkampf, da konnte man nicht über Bundeswehreinsätze spekulieren.

„Möglicherweise mandatspflichtige Beschlüsse“

Seit damals hat sich einiges verändert, wenn auch nicht alles. In der Ukraine dauert der Krieg immer noch mit unverminderter brutaler Härte an. Aber Donald Trump forciert Friedensgespräche, und der Oppositionsführer ist mittlerweile Bundeskanzler. Als der kürzlich aus Washington kam, sprach er über einen Bundeswehreinsatz in der Ukraine. Merz meinte nicht, dass Deutsche dort kämpfen sollen, sondern dass sie sich an Sicherheitsgarantien beteiligen werden, das sei „völlig klar“. Er wolle das in der Koalition besprechen – „bis hin zu der Frage, ob wir hier möglicherweise mandatspflichtige Beschlüsse zu fassen haben“. Das sollte bedeuten: einen Beschluss des Bundestages über die Entsendung von Bundeswehrsoldaten.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.



Auch im August 2025 gibt es einen Vorsitzenden der Unionsfraktion, und auch diesmal hält er wenig von einer Entsendungsdebatte. Der heißt jetzt Jens Spahn und schrieb an seine Abgeordneten: „Die aktuell medial vorangetriebene Frage, ob Sicherheitsgarantien den unmittelbaren Einsatz deutscher Soldaten in die Ukraine bedeuten würden, stellt sich so verkürzt nicht, schon gar nicht zum jetzigen Zeitpunkt.“ Dass Medien die Frage „vorangetrieben“ hatten, mochte sein, die Frage aufgebracht aber hatten sie nicht. Das war der Bundeskanzler.

Damit waren auch andere CDU-Politiker nicht zufrieden. Im nächsten Jahr wird in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern gewählt. Da ist eine deutsche Beteiligung an Friedenstruppen kein gutes Thema, schon gar nicht am Wahlkampfstand in der Fußgängerzone. Der CDU-Fraktionsvorsitzende in Sachsen-Anhalt, Guido Heuer, zum Beispiel sagt: „Ohne ein belastbares Friedensabkommen kann nicht seriös über die Absicherung eines Friedens diskutiert werden.“ Es gibt eben Debatten, die das Publikum verunsichern.

Militärisches ist „kein Gewinnerthema“

Diese Erfahrung hat auch Thomas Erndl von der CSU gemacht, der verteidigungspolitische Sprecher. Er sagt: „Militärische Aktivitäten sind im Wahlkampf kein Gewinnerthema. Trotzdem ist es richtig, wenn man sich in der Fachwelt und in der Fraktion mit dem Gedanken befasst.“ Also unter Professoren, Abgeordneten und Offizieren. Für die Öffentlichkeit sind die Bedingungen zu unklar. „Wenn es konkret wird, dann kann man es konkret erklären. Wenn es im Ungewissen liegt, hat es viel Verhetzungspotential“, sagt Erndl. Dann könnte eine Populistin sagen: Die Union schickt Soldaten in den Krieg. Was nicht stimmt. Es wäre ein Friedenseinsatz mit Zustimmung von Russland und der Ukra­ine. Aber das geht vielleicht unter.

Fallschirmjäger aus Niedersachsen steigen in Barth in ein Übungsflugzeug ein.Fallschirmjäger aus Niedersachsen steigen in Barth in ein Übungsflugzeug ein.dpa

Wenn es nach Andreas Stoch, dem baden-württembergischen SPD-Vorsitzenden ginge, dann gäbe es gar keine Debatte. Und wenn es irgendwann einen Einsatz gäbe, dann nur von Blauhelmen mit UN-Mandat und unter Beteiligung chinesischer Truppen. „Die Menschen an den Wahlkampfständen sind viel zögerlicher als manche in der Politik“, sagt Stoch.

Bei Stoch wird im März gewählt, bei dem CDU-Vorsitzenden von Rheinland-Pfalz, Gordon Schnieder, auch. Schnieder will mit dem Thema gar nicht erst anfangen: „Wer jetzt drauf anspringt, der fährt eine Debatte hoch, die überhaupt noch nicht ansteht.“ Er hätte sich gewünscht, dass dem Kanzler mehr vertraut wird, „statt sofort dagegen aufzutreten. Da hätte ich mir mehr Ruhe gewünscht.“

„Wir müssen jetzt nicht eine Debatte führen“, heißt es im Umfeld des Kanzlers

Man könnte das eine Breitseite nennen. Eine Debatte über „mandatspflichtige Beschlüsse“, wie Merz sie anregt, wird von Ost bis West, von Union bis SPD als falsch bezeichnet. Im Umfeld des Kanzlers heißt es inzwischen, die Äußerung sei nur der winzige Ausschnitt einer Großstrategie gewesen, die von Diplomatie, Finanzierung und Waffenlieferungen handelt. Man sei „meilenweit“ entfernt davon, über eine Entsendung zu reden. „Wir müssen jetzt nicht eine Debatte führen, die möglicherweise nie virulent wird“, heißt es gegenüber der F.A.S.

Der Bundeskanzler an Bord der Fregatte „Bayern“ im August 2025Der Bundeskanzler an Bord der Fregatte „Bayern“ im August 2025EPA

Auch erfahrene Diplomaten wenden ein: Eine mögliche Beteiligung deutscher Soldaten an einem möglichen Einsatz zur Absicherung eines möglichen Friedens ist bisher eben genau das – eine reine Möglichkeit. Momentan ist völlig unklar, auf welcher Grundlage Russland einer Waffenruhe zustimmen oder einen Friedensvertrag unterzeichnen würde. Der Kreml will von NATO-Truppen in der Ukraine nichts wissen. Wolfgang Ischinger, viele Jahre Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, sprach im Deutschlandfunk deshalb von einer „Geisterdebatte“.

Das sehen aber nicht alle so. Manche finden die Diskussion nicht verfrüht, unklug, unverantwortlich oder unseriös. Sie halten sie sogar für unvermeidbar, notwendig und dringend geboten. Zum Beispiel der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Thomas Röwekamp von der CDU. Der sagt: „Ich glaube, wir müssen diese Diskussion führen.“ Zu groß, zu wichtig sei sie: „Die Debatte hat eine solche Tragweite, dass ich nicht glaube, dass sie in kleinen Zirkeln geführt werden darf.“ Und weil die AfD längst gegen Merz polemisiert, findet Röwekamp es wichtig, Haltung zu zeigen. „Wir müssen der AfD-Kampagne offensiv begegnen.“ Auch der baden-württembergische CDU-Abgeordnete August Schuler, ein Oberst der Reserve, sieht das so: „Wir müssen jetzt beginnen, darüber zu diskutieren.“

Carlo Masala plädiert für gute Vorbereitung

Auch in der Fachwelt gibt es viele, die so denken – und irritiert sind, wie das Si­gnal des Kanzlers zerredet wird. Carlo Masala von der Universität der Bundeswehr etwa sagt: „Wenn das gerade wirklich so entscheidende Tage für die Sicherheit Europas sind, wie man in der Bundesregierung sagt, dann muss das Si­gnal selbstverständlich lauten: An so einer Mission werden wir uns beteiligen!“ Die Frage, wie viele deutsche Soldaten was genau in der Ukraine tun sollen, stelle sich natürlich erst am Ende eines langen Prozesses. Aber: „Es ist ein gutes Prinzip von Sicherheits- und Verteidigungspolitik, vorbereitet zu sein.“

Der Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte, Oleksandr Syrskyj, bei einem Treffen in KiewDer Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte, Oleksandr Syrskyj, bei einem Treffen in Kiewdpa

Ähnlich argumentiert Erhard Bühler, Bundeswehrgeneral außer Dienst und Vorsitzender der Clausewitz-Gesellschaft. Auch wenn so schnell keine deutschen Soldaten in die Ukraine entsendet würden: Die Möglichkeit müsse man als „funktionierendes Werkzeug im Kasten haben“. Dazu gehört für Bühler auch, dass eine Debatte stattgefunden hat, wenn die Entscheidung ansteht. Allerdings soll es jetzt noch nicht um Truppenstärken und Fähigkeiten gehen: „Wir müssen diese Debatte etwas systematischer führen.“

Am Anfang steht die Frage, welche Art von Einsatz das wäre: eine Beobachtermission oder Friedenstruppen mit einem robusten Mandat? Sollen diese direkt an der Grenze stehen oder im Hinterland? Auch muss geklärt werden, auf welcher rechtlichen Grundlage eine Friedensmission stünde: mit UN-Mandat? Oder auf Einladung von Moskau und Kiew? Schließlich muss die Politik festlegen, welche Aufgaben und Befugnisse die Soldaten genau haben: Sollen sie nur den Luftraum überwachen oder auch die See und den Boden? Wann sollen sie schießen dürfen? „Erst nach diesen politischen Entscheidungen kann man definieren, welche Fähigkeiten in welchem Umfang erforderlich sind und welches Land was stellen kann“, sagt Bühler. „Zum jetzigen Zeitpunkt muss man aber die unterschiedlichen Optionen ausplanen.“

Die Ukrainer sprechen längst mit deutschen Militärs darüber

Das sehen die Ukrainer auch so. Der stellvertretende Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im ukrainischen Parlament, Jehor Tschernjew, warnt vor Zögerlichkeit. Schließlich müsste die Stationierung westlicher Truppen im Friedensabkommen vereinbart werden. Während verhandelt wird, muss der Westen also schon wissen, was er will, nicht erst danach. „Wenn der Westen nach einem Friedensabkommen über Truppenentsendungen diskutiert, kann Russland das als Provokation werten und als Vorwand für eine neue Invasion“, sagte Tschernjew der F.A.S. Also muss jetzt geplant werden. Und das wird es auch.

Präsident Selenskyj mit dem Oberbefehlshaber der Streitkräfte Syrskyi und der stellvertretenden Ministerin für strategische Industrien, Anna Gvozdiar, zwischen RaketendrohnenPräsident Selenskyj mit dem Oberbefehlshaber der Streitkräfte Syrskyi und der stellvertretenden Ministerin für strategische Industrien, Anna Gvozdiar, zwischen Raketendrohnendpa

Der Oberkommandierende der ukrainischen Streitkräfte, Oleksandr Syrskyj, berichtete vergangene Woche auf Telegram, dass er genau darüber Mitte August in Washington mit westlichen Militärs gesprochen habe. Es ging darum, wie westliche Truppen den Frieden sichern könnten. Mit dabei war auch ein deutscher Vertreter. Die Amerikaner bestätigten den Termin und die Teilnahme eines Deutschen. Aber wer? Das deutsche Verteidigungsministerium dazu: „Zu genauen Details dieser vertraulichen Formate können wir grundsätzlich keine Aussagen tätigen.“

Mittlerweile sickern Details durch, wie der Westen sich einen Friedenseinsatz vorstellt. Die „Financial Times“ berichtet von einem „groben Plan“ für eine Nachkriegsordnung. Amerika könnte Geheimdienstinformationen bereitstellen und an einem von Europa geführten Luftabwehrschirm mitwirken. Das Angebot soll an Zusagen europäischer Staaten geknüpft sein, „Zehntausende Truppen“ zu stellen. Es soll eine entmilitarisierte Zone geben, in der neutrale Truppen patrouillieren, entsandt von einem „dritten Land, das die Ukraine und Russland akzeptieren“. Dahinter sollen Ukrainer stehen, ausgerüstet und ausgebildet von NATO-Staaten. Und tiefer im Land eine von Europa gestellte Abschreckungstruppe. Andrij Yermak, der Leiter des ukrainischen Präsidialamtes, sprach von „vier bis fünf europäischen Brigaden“. Das passt zu älteren Rechnungen von Großbritannien und Frankreich, die für ein solches Szenario mit 20.000 bis 25.000 Soldaten kalkulieren.

Der Wehrbeauftragte hat Zweifel, ob die Bundeswehr das schafft

Manche sagen, die Bundeswehr könnte keinen Beitrag leisten, selbst wenn die Regierung es wollte. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretsch­mer redet so, und Sachsen-Anhalts CDU-Chef Sven Schulze. Auch aus der Truppe kommen Mahnungen, nicht zu viel zu versprechen. Der Wehrbeauftragte Henning Otte sagte im Deutschlandfunk, bevor man über neue Aufgaben für die Bundeswehr rede, müsse erst mal das nötige Personal sichergestellt werden. Ob der vom Kabinett beschlossene Wehrdienst ausreicht, weiß Otte nicht.

Fachleute halten das Argument, Deutschland könne es nicht, für vorgeschoben. „Das ist Unsinn“, sagt der frühere General Bühler. Und Fachmann Masala sagt: „Das ist Quatsch.“ Ausgehend vom Szenario, das die „Financial Times“ verbreitet hat, rechnet Masala vor, dass Deutschland am Ende vielleicht eine Brigade mit 5000 Mann stellen müsste. So eine baut die Bundeswehr gerade in Litauen auf. Käme eine zweite in der Ukra­ine dazu, müssten an der NATO-Ostflanke womöglich Abstriche gemacht werden, damit Personal und Material reichen. Masala sagt: „Es ist nicht einfach, aber es ist zu schaffen.“ Deutschland müsse sich mehr zutrauen: „Ich kann nicht für mich reklamieren, Führungsmacht in Europa sein zu wollen, dann aber in so einer entscheidenden Situation sagen: Ich bin nur mit Sanitätern dabei oder sichere nur den Luftraum.“