Wie viel Verachtung für die Kompetenz eines Umweltverbandes, der sich seit 35 Jahren für die Leipziger Stadtpolitik engagiert, muss man haben, um zu beantragen: „Der Ökolöwe ist unserer Kenntnis nach nicht wirtschaftlich aktiv und hat damit auch keine tieferen Erkenntnisse über die Bedarfe des Wirtschaftsverkehrs und sollte an dessen Planung nicht teilhaben.“? Genau das tat die CDU-Fraktion zur Ratsversammlung am 26. August. Und musste sich von FDP-Stadtrat Sven Morlok die Frage gefallen lassen, in welcher Gesellschaft wir eigentlich leben wollen?
In einer, in der man andere Meinungen einfach ausblendet und auslädt? Oder einfach plattmacht, wie das Donald Trump gerade in den USA vorexerziert? Sollte der Stadtrat Beratungsgremien wirklich nur noch mit Leuten besetzen, die dieselbe Meinung haben wie die Ratsfraktionen? Nur um dann in einer Blase zu landen, in der es nur noch eine Meinung gibt?
Berechtige Fragen. Und es ist einfach so: Wenn Sven Morlok zur nächsten Stadtratswahl nicht mehr antreten würde, würde er fehlen. Weil er auf seine ruhige, aber deutliche Art immer wieder daran erinnert, dass Demokratie eben darauf beruht, dass wir unterschiedliche Meinungen zulassen und wahrnehmen. Und auf richtige Argumente auch reagieren.
Marcus Mündlein (CDU). Foto: Benjamin Weinkauf
Aber was passiert da gerade in der Leipziger CDU-Fraktion? Hat sie keine anderen Themen mehr, als gegen Tempo 30 zu schimpfen, obwohl es in der Informationsvorlage der Stadt gar nicht um Tempo 30 geht, sondern schlicht um den Auftakt zum Wirtschaftsverkehrsentwicklungsplan.
Zu dem sich die Stadt ein Beratungsgremium eingeladen hat, das aus verschiedenen Perspektiven Kompetenzen einbringt. Eingeladen sind – neben dem Amt für Wirtschaftsförderung, dem Mobilitäts- und Tiefbauamt und dem Ordnungsamt – die Industrie- und Handelskammer zu Leipzig, die Handwerkskammer Leipzig, das Netzwerk Logistik Mitteldeutschland, der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband e. V., der City Leipzig Marketing e. V. , der DGB, der ADAC, aber auch der ADFC, der VCD und die Leipziger Gruppe (LVB, Stadtwerke, Wasserwerke). Und dazu eben auch der Ökolöwe.
Zu welchen Ergebnissen die Runde kommt, ist völlig offen. Aber sowohl die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Kristina Weyh, als auch die Fraktionsvorsitzende der Linken, Franziska Riekewald, wurden in Antwort auf die letztlich seltsame Rede von CDU-Stadtrat Markus Mündlein (der inzwischen genauso seltsame Rechenversuche unternimmt wie sein Fraktionskollege Falk Dossin) deutlich. Populistisch und dreist nannte Kristina Weyh Mündleins Rede, Franziska Riekewald sprach von Schwachsinn.
Franziska Riekewald (Die Linke). Foto: Benjamin Weinkauf
Raus aus der Blase!
Und SPD-Stadtrat Andreas Geisler wies auf etwas hin, was die aktuellen CDU-Stadträte ganz offensichtlich vergessen haben: Als Stadtrat muss man lernen, seine eigene Lebenswirklichkeit zu verlassen und die Sichtweisen der anderen Stadtbewohner wahrzunehmen. Denn man sitzt nicht für seine kleine Klitsche im Stadtrat, sondern für alle Bürger.
Und das hat der Stadtrat auch bei der Besetzung anderer Beratungsgremien immer berücksichtigt – etwa beim Klimaschutzbeirat, wo ebenfalls IHK und Handwerkskammer einen Sitz haben. Aus gutem Grund: Auch ihre Sichtweise ist gefragt, wenn es um den klimaneutralen Umbau der Stadt geht. Ohne Wirtschaft geht es nicht. Eine Binsenweisheit.
Aber es geht eben auch in Sachen Wirtschaftsverkehr nicht ohne den Blick von außen. Und auch wenn Marcus Mündlein seine geballte Verachtung für Lastenradtransporte deutlich machte, wird auch Lastenradtransport im Leipziger Wirtschaftsverkehr eine Rolle spielen – und spielt es sogar heute schon. Auch wenn man mit dem Lastenrad natürlich keinen Beton und keine Steine transportieren will.
Es geht um künftige Herausforderungen
Aber der CDU-Änderungsantrag erzählt eben auch davon, dass diese Fraktion tatsächlich in ihrer Blase lebt und überall nur Tempobeschränkungen sehen will, wenn mal intensiv über die Gestaltung des Wirtschaftsverkehrs gesprochen werden soll.
Und da spielen nicht nur Radkuriere und Fahrradwerkstätten eine Rolle, wie Franziska Riekewald andeutete, die nun einmal auch zur Wirtschaft gehören. Da geht es um Stellplätze für Lieferdienste, Pflegedienste, Paketzusteller, um Platz für die Werkstattwagen der Handwerker, um Umzugsfirmen und Baufahrzeuge, um Warenanlieferung und entsprechende Ladezonen und was der wirtschaftlichen Transporte mehr sind.
Dass es nicht nur um die von Mündlein angedeuteten Lkw und Baufahrzeuge geht, machte auch die Stellungnahme aus dem Mobilitäts- und Tiefbauamnt (MTA) deutlich, in der es hieß:
„Im Wirtschaftsverkehrsentwicklungsplan (WVEP) sollen künftige Herausforderungen für den Wirtschaftsverkehr in Leipzig und Maßnahme zu deren Bewältigung erarbeitet werden. Dem WVEP und somit den Zielen für den Wirtschaftsverkehr sind die Ziele der Mobilitätsstrategie übergeordnet. Die Verlagerung des Wachstums im Verkehrsaufkommen auf den Umweltverbund soll ermöglichen, dass auch der Wirtschaftsverkehr weiterhin sicher und flüssig erfolgen kann.
Zudem sollen Flächen zum sicheren und effizienten Liefern, Laden und Leisten vorgesehen werden, damit die Versorgung in der Stadt weiterhin möglich ist und somit die Stadt der kurzen Wege realisiert wird. Ziel ist zudem die Erhöhung des Anteils emissionsfreier Verkehre, auch durch eine Verlagerung des Wirtschaftsverkehrs auf alternative Verkehrsmittel und die Integration neuer Logistikkonzepte.“
Der Verkehr in Leipzig ändert sich längst. Und moderne, umweltfreundliche Verkehrskonzepte müssen darin eben auch ihren Platz finden. Konzepte, mit denen sich die CDU ganz offensichtlich nicht beschäftigt, der Leipziger Ökolöwe sehr wohl.
Und so betont das MTA: „Durch die Beteiligung unterschiedlicher, z. T. auch divergierender Interessenvertreter soll eine Übereinstimmung im Sinnes eines ‚Konsents‘ zu den Zielen für den Wirtschaftsverkehr sowie den zu erarbeitenden Maßnahmen erlangt werden. Der Begriff ‚Konsent‘ entstammt einer speziellen Moderationsmethode. Dabei wird eine Lösung gesucht, gegen die es keine schwerwiegenden Einwände gibt, mit der also alle leben können (d. h. kein ‚nein‘). Somit soll eine nachhaltige und konsequente Umsetzung erreicht werden (vgl. Abschnitt 2. 1. Vorgehensweise/Grobkonzept, 2.1.1 Ziele der Workshops der Auftaktvorlage). Der Antrag, nachträglich einzelne Akteure aus dem abgestimmten Teilnehmerkreis zu streichen, wird daher abgelehnt.“
Das Thema ist viel größer, als es Marcus Mündlein mit seinen seltsamen Rechenkünsten darzustellen versuchte. Und auch CDU-Stadträtin Sabine Heymann verfehlte das Thema völlig, als sie abschließend noch dafür plädierte, dass so ein Thema nur mit den üblichen Verdächtigen diskutiert werden sollte. Da hatte sie eindeutig nicht zugehört, als Sven Morlok von Blasenbildung sprach.
Da hat Sven Morlok nun einmal recht: In was für einer Welt wollen wir eigentlich leben? In einer, in der uns unliebsame Gesprächsteilnehmer einfach ausgeladen werden, damit wir nur unsere eigene Meinung bestätigt sehen? Mit Demokratie hat das nichts mehr zu tun.
Aber das Abstimmungsergebnis zeigte eben auch deutlich, dass es inzwischen drei komplette Fraktionen im Leipziger Stadtrat sind, die so ticken. Der Populismus steckt irgendwie an. Der Antrag der CDU-Fraktion wurde dann entsprechend knapp mit 30:35 Stimmen abgelehnt.