Debakel gegen Elversberg
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So spielt Hertha gegen den Abstieg
Sa 30.08.25 | 07:46 Uhr | Von Marc Schwitzky
IMAGO / Jan Huebner
Audio: rbb24 Inforadio | 30.08.2025 | Jens-Christian Gußmann | Bild: IMAGO / Jan Huebner
Hertha BSC leistet gegen die SV Elversberg den nächsten Offenbarungseid. Die Berliner wollten um den Aufstieg mitspielen, die Realität heißt nun aber Abstiegskampf. Es stellen sich grundsätzliche Fragen zur Leistungskultur im Verein. Ein Kommentar von Marc Schwitzky
Wer ein Symbolbild für den desaströsen Auftritt von Hertha BSC gegen die SV Elversberg suchte, wurde spätestens in der 72. Minute fündig. Kapitän Fabian Reese jagt einem viel zu lang geratenen Pass von Deyovaisio Zeefuik erfolgslos hinterher, streift dabei der Eckstange die Fahne mit dem Vereinslogo drauf ab. Reese schaut mit leerem Blick auf das Stück Hertha-Stoff und wirft es lieblos hinter sich. Hertha BSC 2025/26 – eine Saison nach fünf Pflichtspielen schon zum Wegwerfen.
Oder aber man nimmt die 77. Minute, in der Linus Gechter maximal unglücklich die gelb-rote Karte sieht und somit den allerletzten Pflock in die Niederlage der Hauptstädter schlägt. Aber eigentlich steht Marton Dardai in der fünften Minute stellvertretend für Herthas so katastrophalen Saisonstart, als er erst einen vermeidbaren Fehlpass spielt und sich im anschließenden Zweikampf so tölpelhaft anstellt, dass sein Gegenspieler irritierend leichtes Spiel für den Treffer zum 1:0 hat.
Diese und so viele weitere Momente am Freitagabend markieren einen weiteren dramatisch schwachen Auftritt der Blau-Weißen in der noch jungen Spielzeit. Sie sind wie Abziehbilder so vieler weiterer Momente all der vergangenen Jahre, in denen es mit der „alten Dame“ stetig weiter bergab geht.
Was ist in dieser Vorbereitung passiert?
Dabei erwischen sich Fans, Beobachter und Experten jedes Jahr dabei, zu sagen: „Es kann nun wirklich nicht noch schlechter werden!“ Eine regelrecht naive Sicht nach den vergangenen Jahren. Regelrecht töricht wurde es, als Hertha vor Saisonbeginn sogar große Chancen auf Aufstieg eingeräumt wurden. Man hätte es besser wissen müssen.
Mit Stefan Leitl ein Trainer, der es schon einmal geschafft hatte, der die 2. Bundesliga bestens kennt und nun schon Monate bei Hertha im Amt war, seine Ideen also schon länger etablieren konnte. Dazu ein Kader, der seine Achse aus Spielern wie Fabian Reese oder Michael Cuisance halten konnte und der mit Maurice Krattenmacher oder Dawid Kownacki Transfers tätigen konnte, auf die andere Zweitligisten nahezu neidisch blicken.
Die Voraussetzungen für Erfolg waren so gut wie lange nicht mehr. Doch Pustekuchen. Seit den Anfangsminuten beim Saisonauftakt gegen den FC Schalke 04, den Hertha beispiellos in den Sand setzte, steht eine riesige Frage im Raum: Was um Himmels Willen ist in der Saisonvorbereitung passiert? Wie kann es sein, dass die Mannschaft wirkt, als habe sie zuvor noch nie zusammen Fußball gespielt? Warum stimmt nicht ein Aspekt? Warum greift nichts ineinander? Und warum wirken die Beine so früh so schwer?
Leitl ist nicht das Problem, bislang aber auch nicht die Lösung
In solchen Situationen richten sich die Blicke meist sofort auf den Cheftrainer. Stefan Leitl steht bei vielen Hertha-Fans schon arg in der Kritik. Ob Formation, Spielansatz oder Personalpolitik – bislang scheint jeder Handgriff des 48-Jährigen zielsicher danebenzugehen. Die Dreierkette will nicht funktionieren, die eher passive und sehr vertikal angelegte Spielweise scheint die Spieler zu verunsichern und das diffuse Leistungsprinzip noch viel mehr.
Sicherlich, Leitl gibt derzeit keine gute Figur ab. Er ist derzeit nicht Teil der Lösung. Doch reicht es bei Hertha noch, nur auf den Trainer zu blicken? Schon lange nicht mehr. Bereits seit der Trainerentlassung von Vorgänger Cristian Fiél ist klar: Hertha hat tieferliegende Probleme.
Ein schiefer, aber kein schlechter Kader
Es wäre geradezu polemisch, Leitl nach dem Saisonstart grundsätzlich die Qualität abzusprechen, konkurrenzfähigen Fußball in der 2. Liga spielen zu lassen. Dasselbe gilt für die Mannschaft. Zwar mag sie unvollständig zusammengestellt zu sein, was den Blick auf Sportdirektor Benjamin Weber lenkt, doch bislang hat jeder Startelf der laufenden Saison dem Zweitliganiveau mindestens entsprochen, ihn teils übertroffen.
Nahezu jeder eingesetzte Spieler hat seine Qualität bereits nachgewiesen. Nahezu jeder würde bei der Konkurrenz in der Startelf stehen. Einzelne Kadermakel können die bislang so miesen Auftritte so nicht ausreichend erklären. Die Startelf am Freitagabend ließ sich nicht von Elversberg, das gefühlt nur 60 Prozent für einen regelrechten Klassenunterschied investieren musste, vorführen, weil die Spieler so schlecht sind.
Fabian Reese (l.) und Dawid Kownacki sollen das neue Traumduo in Herthas Sturm bilden.
Hertha hat keine Leistungskultur
Doch woran liegt es, wenn Trainer nach Trainer und Spieler nach Spieler bei Hertha scheitert, obwohl sie individuell gesehen oftmals mindestens gar nicht verkehrt sind? Woran liegt, dass Hertha seit Jahren kontinuierlich schlechter wird? Die Antwort ist unbefriedigend, weil so schwer zu greifen: Hertha hat keine gesunde Leistungskultur. Sie wurde in den vergangenen Jahren des Chaos nie entwickelt.
Verantwortliche, Staff und Spieler werden bei Hertha zu selten am Ergebnis gemessen. Hertha hat seit Jahren eklatante Defizite in solch elementaren Bereichen des Fußballs. Darunter leiden Scouting, Trainingsqualität, Fitness, Spielanalyse, mentale Aspekte und vieles mehr. Fehlende Kompetenz und Führungsstärke haben zur Folge, dass Hertha bis heute keine klare sportliche Identität und nicht den Willen entwickelt hat, jeden Tag besser werden zu wollen.
Viele bei Hertha dürfen oder durften seit Jahren unzureichende Arbeit machen, ohne dafür Konsequenzen zu spüren oder anständig an die Hand genommen zu werden. Der Verein ist ja nicht verflucht. Also wahrscheinlich. Er arbeitet einfach nicht gut genug und kriegt die Konsequenzen nun Jahr für Jahr schmerzhafter auf dem Feld zu spüren. Die Probleme bei Hertha fühlen sich so unerklärlich an, weil der Glaube an einfache, gute sportliche Arbeit erloschen ist. Es muss was anderes sein!
Aber nein, es ist genau das. Es sind diese entscheidenden Prozentpunkte, die im Hochleistungssport den Unterschied machen. Hertha kratzt nie an den 100 Prozent, sondern stolpert schon über die ersten 30. Deshalb knicken Herthas Spieler seit Jahren unter Druck ein. Deshalb ist nie längerfristig eine klare Handschrift zu erkennen. Deshalb ist die „alte Dame“ immer der traurige Clown der Liga. Es fehlt die gesunde Basis. Wenn die Pfanne zu heiß ist, wird alles auf ihr verbrennen – egal wie gut die Qualitäten der Zutaten sind.
Hertha spielt nun vor allem gegen den Abstieg
Mit Ralf Huschen und nun auch Peter Görlich als Geschäftsführer-Gespann besteht die große Chance, jenen so dringend benötigten Kulturwandel zu vollziehen. Doch ihr Einfluss wird sich nicht direkt zeigen können, neue Strukturen entfalten erst nach einer gewissen Zeit ihre Wirkung.
Bis dahin wird Hertha weiter panisch den eigenen Fehlern hinterherlaufen und Flickschusterei betreiben müssen. Das Debakel gegen Elversberg hat wie der gesamte Saisonbeginn eindrücklich gezeigt: Herthas Aufstiegsambitionen entwickeln sich zur Farce.
Eine offensichtlich verkorkste Vorbereitung, zahlreiche Spieler im Formtief Marke Marianengraben, das endgültige Ende der Dreierkette, zahlreiche Verletzte und ein falsch zusammengestellter Kader ergeben einen Cocktail, der nach bitterem Abstiegskampf schmeckt. Der gesamte Verein wird die anstehende Länderspielpause nutzen müssen, um grundlegende Kursanpassungen vorzunehmen. Passiert das nicht, wird kein Kulturwandel dieser Welt noch etwas retten können.
Sendung: rbb24 Inforadio, 30.08.2025, 8:15 Uhr
Beitrag von Marc Schwitzky