Europa hat sich von Donald Trump an die Wand spielen lassen. Doch solange die Arbeitsanreize fehlen, wird der wirtschaftliche Abstieg weitergehen. Selbst die Streichung von Feiertagen darf jetzt kein Tabu bleiben.

Illustration Simon Tanner / NZZ

Donald Trump ist ein Feigling: Der Spott tat den Europäern gut. «Trump always chickens out», oder kurz Taco, hiess es noch im Frühling. Der US-Präsident prahle zwar lauthals mit seinen Zöllen. Doch dann mache er stets einen Rückzieher.

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Das Taco-Narrativ entstand nach den Zollverhandlungen mit China. Die harte Gegenwehr der Chinesen hatte Trump auf dem falschen Fuss erwischt – letztlich ging er als Verlierer vom Platz. Im Duell mit Europa jedoch hat seine Drohkulisse bestens funktioniert. Die EU schluckt die Kröte mit einem Basiszoll von 15 Prozent und verpflichtet sich erst noch, Hunderte Milliarden Dollar in den USA zu investieren.

Die EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen habe sich Trump unterworfen, kritisierten selbst europäische Staatschefs. Von einer Demütigung und einem Kniefall war die Rede. Immerhin kann sich die EU damit trösten, dass es der Schweiz noch schlechter ergangen ist. Sie erhält einen Zolltarif von 39 Prozent aufgebrummt.

Das Kräftemessen hat es gnadenlos offengelegt: Der europäische Kontinent ist den USA ökonomisch und geopolitisch weit unterlegen. Im Fall der Schweiz kann man dies noch mit den Grössenverhältnissen erklären: 9 Millionen Einwohner stehen 340 Millionen gegenüber. Bei der EU aber ist es umgekehrt: Mit ihren 450 Millionen Konsumenten müsste sie die USA im Prinzip dominieren.

Warum also ist Europa so schwach? An Analysen, wie die Wirtschaft an Konkurrenzfähigkeit und an Innovationskraft zulegen könnte, mangelt es keineswegs. Vor Jahresfrist etwa verfasste Mario Draghi, der frühere Präsident der Europäischen Zentralbank, einen dicken Bericht für die EU-Kommission. Dieser schlummert seither in den Schubladen der Amtsstuben. Viele der gutgemeinten Ratschläge hätten ohnehin zu mehr Bürokratie geführt.

Es gibt aber auch einen einfachen, unbürokratischen Weg zu mehr Wachstum und damit zu machtpolitischem Gewicht. Er wirkt sofort – und dies ohne komplexe Regelwerke. Zugegeben, die Methode ist nicht gerade beliebt: Die Europäer könnten mehr arbeiten.

Für die Deutschen endet das Jahr im September

Die Differenz zu den Amerikanern ist riesig. Diese leisten pro Jahr 1805 Arbeitsstunden. In der Schweiz dagegen liegt der Schnitt bei 1530 Stunden, während die Franzosen auf 1489 Stunden kommen und die Deutschen auf lediglich 1335 Stunden im Jahr. Anders formuliert: Während der Amerikaner bis Ende Dezember arbeitet, ist für den Deutschen bereits im September Schluss.

Einzelne unerschrockene Politiker haben daher vorgeschlagen, einen oder gar zwei Feiertage zu streichen. Der französische Premierminister empfahl dafür den Ostermontag sowie den 8. Mai, Gedenktag für das Ende des Zweiten Weltkriegs. Prompt hagelte es Proteste, von den Gewerkschaften und aus kirchlichen Kreisen.

Dasselbe gilt für Deutschland, wo Wirtschaftsvertreter den freien Pfingstmontag abschaffen wollen. Dabei kennen manche Bundesländer bis zu 14 gesetzliche Feiertage – genauso wie diverse Kantone in der Schweiz. Zudem werden isolierte Feiertage unter der Woche oft durch Brückentage ergänzt, insbesondere bei den öffentlichen Diensten.

Fleissige Amerikaner – faule Europäer: Zwar greift diese Formel zu kurz. Denn in vielen europäischen Ländern ist die Erwerbsbeteiligung höher als in den USA. Folglich wird die Arbeit auf mehr Schultern verteilt. In der Schweiz etwa scheiden weniger Mütter aus dem Erwerbsleben aus, dafür arbeiten sie meistens Teilzeit.

Trotzdem: Die Statistiken zeigen klar, dass die Europäer in Sachen Freizeit die unbestrittenen Weltmeister sind. Noch in den 1970er Jahren war die Jahresarbeitszeit ähnlich hoch wie in den USA. Doch dann begannen mehr und mehr Länder, die gesetzliche Normarbeitszeit auf unter 40 Stunden oder gar auf 35 Stunden zu senken, etwa in Frankreich.

Die Begründung lautete, damit liesse sich die Arbeitslosigkeit senken. Das Argument war schon damals umstritten, heute überzeugt es erst recht nicht mehr. Denn Europa leidet unter einem akuten Mangel an Arbeitskräften, welcher durch die Pensionierungswelle der Babyboomer noch zunimmt. Das wird immer mehr zu einem gravierenden Bremsfaktor für die Wirtschaft.

32-Stunden-Woche ohne Lohnkürzung

Die Viertagewoche würde diese Knappheit noch verstärken. Dennoch fordern deutsche Gewerkschaften, das wöchentliche Pensum auf 32 Stunden zu senken – selbstredend ohne Abstriche beim Lohn. Dabei ist es schon heute vielerorts üblich, das Wochenende am frühen Freitagnachmittag einzuläuten.

Die grösste Differenz zur Arbeitskultur der Amerikaner aber zeigt sich bei den Ferien. In Paris, München oder Zürich dauern normale Sommerferien mindestens zwei Wochen. Während sich die Franzosen ganze 40 Ferien- und Feiertage im Jahr gönnen, existiert in den USA kein nationales Gesetz, welches eine Mindestzahl vorschreibt. In der Regel erhalten Angestellte 10 bis 20 bezahlte Freitage im Jahr.

Natürlich lässt sich argumentieren, dass Arbeitskräfte, die sich ausreichend erholen können, motivierter sind und eine bessere Leistung erbringen. Der Leitsatz, wonach wir nicht länger, dafür aber effizienter arbeiten sollten, ergibt in der Theorie durchaus Sinn. Doch die Realität präsentiert sich auch hier wenig schmeichelhaft für Europa: Bei der Arbeitsproduktivität verliert der alte Kontinent gegenüber den USA ebenfalls ständig an Boden. Selbst die einstige Wirtschaftslokomotive Deutschland liegt inzwischen zurück.

Mit gezielten Massnahmen wie einem besseren Investitionsklima lässt sich die Produktivität zwar steigern, so wie es Draghi vorschlägt. Schnelle Wunder aber darf man nicht erwarten. Umso dringlicher wäre es, den zweiten Hebel zu nutzen, um das Bruttoinlandprodukt und damit den Wohlstand endlich voranzubringen: nämlich das Arbeitsvolumen.

Wenn die Erwerbstätigen mehr arbeiten, so wächst dadurch nicht nur die eigene Lohntüte. Auch der Staat profitiert in Form von höheren Steuereinnahmen. Das gilt nicht nur für die Arbeitsdauer unter dem Jahr, sondern ebenso für das Rentenalter. Obwohl die Lebenserwartung ständig zunimmt, gilt das Pensionsalter in vielen europäischen Ländern als heilige Kuh.

Geradezu symptomatisch ist der Streit in Frankreich: Die geplante Anhebung von 62 auf 64 Jahre hat das Land politisch blockiert. «Bloquons tout!» lautet das Motto des Generalstreiks, der für den 10. September ausgerufen ist. Die Parole könnte den Zustand Europas kaum treffender beschreiben: Der Kontinent ist paralysiert durch den krampfhaften Drang zur Besitzstandswahrung. Dabei müsste die demütigende Niederlage im Wettstreit mit den USA vielmehr zu einem Weckruf führen.

Die Hälfte geht weg für den Staat

Dass es für die Europäer dermassen unattraktiv wirkt, die Arbeitszeit zu verlängern, ist nicht primär eine Frage der Mentalität. Vielmehr entspringt dieser Widerwille einem strukturellen Malaise: Es sind die fehlenden Arbeitsanreize. Dies wiederum hängt stark mit den hohen Steuern und Sozialabgaben zusammen.

Ganze 48 Prozent des Gehalts muss in Deutschland ein Single mit durchschnittlichem Lohn abgeben. Dies hat die Industriestaaten-Organisation OECD errechnet. Für ein Ehepaar mit zwei Kindern erreicht die entsprechende Abgabenlast bis zu 41 Prozent. In anderen europäischen Ländern sind die Verhältnisse ähnlich, und selbst in der Schweiz ist die Fiskalquote stark am Steigen.

Wer aber einen so grossen Teil seines Lohnes abliefern muss, verzichtet eher darauf, Überstunden zu leisten. Ebenso arbeitet man lieber Teilzeit oder lässt sich frühpensionieren, um die gewonnene Freizeit zu geniessen. Sobald jedoch zu viele Erwerbstätige auf diese Weise reagieren, reisst dies eine Lücke in den Sozialstaat. Die Steuereinnahmen versiegen, und der Rentenversicherung fehlen die Lohnbeiträge – während die Zahl der Pensionierten steigt. Ein Teufelskreis.

Wenn sich qualifizierte Arbeitskräfte zurückziehen, heizt dies ausserdem die Zuwanderung an – was sich in der Schweiz gut beobachten lässt. Ohne die vielen ausländischen Ingenieure oder Pflegekräfte würden zahlreiche Branchen nur noch schlecht funktionieren.

Europa steht damit an einem Scheideweg: In der neuen globalen Wirtschaftsordnung zählt das Recht des Stärkeren. Gemeinsame Regeln dagegen verlieren an Bedeutung. Das gilt nicht nur für die USA unter Donald Trump, der schwächere Partner genussvoll an die Wand spielt. Auch China nutzt seine neue Potenz gnadenlos zum eigenen Vorteil. Das selbstbewusste Auftreten hat selbst Trump überrumpelt.

Will Europa in diesem globalen Konkurrenzkampf mithalten können, so muss es zusätzliche Kräfte mobilisieren. Der freie Pfingstmontag in Ehren: Doch im Wettlauf mit den Amerikanern und Chinesen lässt sich damit nur schlecht punkten.