Von Ditte Clemens ist ein neues Buch erschienen. Die Güstrowerin, Jahrgang 1952, wählte „Gott, die Welt, Rammstein und ein Kind“ als Titel. Im Mittelpunkt steht Julia, eine junge Frau, die in einer Krise ist. Ein „Rammstein“-Konzert holt sie da raus. Sie wird Fan des „Rammstein“-Sängers Till Lindemann. Mit ihrer Tante spricht sie über Gott und die Welt und eben die Metallband „Rammstein“. Zu dieser Band hat auch die Tante eine Beziehung. Sie war in den Vater von Till Lindemann verliebt. Am Ende gibt es noch eine Überraschung. Julia will ein Kind. Aber sie will auf ungewöhnliche Art Mutter werden. Hans-Jürgen Kowalzik sprach mit Ditte Clemens.
Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens
Seit Anfang August ist Ihr neuer Roman im Buchhandel und online auf mehreren Portalen zu bestellen, sogar bei einem polnischen Online-Händler. Wie ist bisher die Resonanz?
Das Buch ist bei allen großen und renommierten Buchhändlern in Deutschland, in Polen, Dänemark und in der Schweiz sowie online zu haben. Die Reaktionen sind bisher sehr gut. Der Roman wird als humorvoll, interessant, spannend und berührend gelobt. Gefreut hat mich, das ist nicht immer üblich, dass mich der Verleger für das Buch beglückwünscht hat.
Wie in Ihrem ersten Roman, „Der zweite Tag“, geht es bei Julia wieder um eine junge Frau, die ihren Weg durchs Leben sucht. Warum ist Ihnen dieses Thema so wichtig?
Wir sind doch alle irgendwo auf der Suche nach dem Sinn des Lebens. Besonders im Alter stellt man sich die Frage. Jungen Leuten geht das ebenso, sie formulieren es nur nicht so. Das eint uns daher alle und die Fragen ähneln sich: Haben wir alles richtig gemacht, sind wir auf dem richtigen Weg, was kommt noch in der Zukunft? So geht es auch Julia in meinem neuen Roman.
Eigene Erfahrungen fließen in die Geschichte ein
Inwieweit lassen Sie als Autorin persönliche Erlebnisse und Erfahrungen – Sie sind Mutter und Oma – in dem Buch zu?
Ich habe schon autofiktional geschrieben als es in Deutschland noch gar nicht modern war. Zu meinen ersten Büchern in den 1990er-Jahren gehörten Biografien von Lilo Herrmann und Marga Böhmer, der Lebensgefährtin von Ernst Barlach. Da waren die Verleger damals verwundert, dass ich mich mit eigenen Gedanken und Gefühlen einbrachte. Aber ich habe mich durchgesetzt. Aus Reaktionen auch zu meinen Erzählungen und Kolumnen weiß ich, dass es gut angenommen wird, wenn man sich persönlich einbringt.
Nackig gemacht habe ich mich in meiner Biografie. Für mich ist es wichtig, gegenüber dem Leser aufrichtig zu sein und über Dinge zu schreiben, die einen berührt haben oder aber auch nicht so schön waren. Erst kürzlich habe ich eine Mail von Peter Wawerzinek bekommen. Er lobte mich für eine Kolumne. Darüber habe ich mich sehr gefreut. Er schreibt ja auch autofiktional und ist im Wettbewerb um den besten deutschsprachigen Roman 2025 nominiert.
Idee zum neuen Buch entstand spontan
Auch wenn die Geschichte von Julia fiktiv ist, hat sie einen Auslöser, der alles andere als frei erfunden ist. Welcher war das?
Im Dezember ist bei mir Weihnachtskuschelzeit. Da schaue ich gern in meine dicken Aktenordner mit Briefen von Eva Strittmatter, Fred Wanderer, Paul Maar und anderen bewundernswerte Menschen. Und ich las auch wieder die tollen Briefe von Werner Lindemann. Dann kam Silvester. Wir waren bei einer Feier und wurden mit einem Acht-Gänge-Menü verwöhnt. Das dauerte und mein Mann und ich redeten viel. Er sprach über sein Buch und fragte mich nach meinen literarischen Vorhaben, die es in der Silvesternacht noch gar nicht gab. Da ich ihm von Werner Lindemann erzählte, schlug er mir vor, eine Biografie zu schreiben.
Drei Tage war ich himmelhochjauchzend, dann zu Tode betrübt. Nein, bloß keine Biografie mehr. An den letzten Biografien arbeitete ich jeweils vier Jahre und am Roman zwei Jahre. Das war eine sehr lange und äußerst anstrengende Zeit. Aber Werner Lindemann ging mir nicht mehr aus dem Kopf, weil wir zu seinen Lebzeiten auch viel über seinen Sohn und ich über meine Tochter gesprochen hatten. Darüber könntest du schreiben.
Dann tauchte bei meinen inneren Gesprächen mit Werner eine junge Frau in meinem Kopf auf. Ich versuchte, sie mir optisch vorzustellen. Da war plötzlich das Gesicht von Julia Roberts aus „Pretty Woman“. Meine Julia, und so sollte sie in meinem Buch auch heißen. Ich habe mit Julia gesprochen, ihr viel erzählt und alles aufgeschrieben. Sie war mir sehr nah. Das Schreiben ging so flüssig. Es war wunderbar. Noch nie habe ich in so kurzer Zeit ein Buch geschrieben.
Autorin mit Verbindung zur Familie Lindemann
Über Gott und die Welt zu reden, heißt, über alles Mögliche zu sprechen, ohne immer ein bestimmtes Thema im Blick zu haben. Für Julia sind diese Gespräche mit ihrer Tante sehr wichtig. Als es ihr nach einem „Rammstein“-Konzert gelingt aus dem Krisen-Modus auszuscheren, erfährt sie in einem solchen Gespräch, dass ihre Tante die Familie Lindemann kannte und in Till Lindemanns Vater verliebt war. Inwieweit wird das fiktive Leben Julias da in gewisser Weise zur erlebten Realität der Autorin Ditte Clemens, die mit Werner Lindemann befreundet war?
Ja, ich bin in meinem Roman die Tante, die Schriftstellerin. So konnte ich im Buch die Brücke zur tatsächlichen Bekanntschaft mit beiden Lindemanns schlagen. Ich wollte da nichts konstruieren. Ich war Briefpartnerin und Freundin von Werner Lindemann und verliebt in ihn. Mit Gitta Lindemann habe ich gearbeitet. Es war mir wichtig, über beide zu schreiben und nichts zu verstecken.
Warum haben Sie sich entschieden, dass Julia ein Kind auf eher ungewöhnliche Weise bekommen wird, mit einer Samenspende?
Ich habe mehrere Monate mit Julia gelebt und mich gefragt, wird sie Mutter oder nicht? Sie war einmal glücklich verliebt. Von dem Mann, der sich jedoch von ihr getrennt hat, hatte sie sich so sehr ein Kind gewünscht. Will sie überhaupt noch ein Kind? Das alles ging mir im Kopf herum.
Dann kam mir der Zufall zur Hilfe. Ich lernte in einer Kneipe, man kommt dort ja ins Gespräch, einen Mann kennen, der Samenspender war. Natürlich wusste ich, dass es so etwas gibt, aber ich hatte so etwas immer abgelehnt und fand es sogar empörend. Abends zu Hause stellte ich für mich fest, wie wenig tolerant ich doch bin. Daraufhin informierte ich mich. Und ich suchte und fand eine Frau in Güstrow, die auf diesem Weg ein Kind bekommen hat. Es war für mich ein aufschlussreiches Gespräch. Ja, eine Samenspende ist eine Möglichkeit für eine Frau, die sich so sehr ein Kind wünscht, aber nicht den Mann dazu findet oder es ohne Partner aufziehen will. Dann habe ich mir die Frage gestellt: Will Julia das? Ja, sie will. Aber der Tante gefällt das nicht und ihre Ablehnung wurde Teil meines Buches.
Werner Lindemann starb 1993. Mit Gitta Lindemann, Tills Mutter, hatten Sie als Kolleginnen oft Kontakt. Rammstein gibt es seit 1995. Warum entstand der Roman erst jetzt?
Ich hatte einem Kollegen, der Gitta und Werner Lindemann kannte, das Manuskript geschickt. Der schrieb mir daraufhin, warum ich jetzt auf das „Rammstein“-Pferd springe. Ich antwortete ihm, dass ich auf kein Pferd springe, sondern immer nur über Themen geschrieben habe, die mich anspringen. Alles braucht auch irgendwo seine Zeit.
Werner war raus aus meinem Kopf. Durch die Briefe und den Silvesterabend war er wieder da. Da müsstest du was machen, sagte ich mir. Dann ging es schrittweise. Gitta kam mit dazu, Till ebenfalls. Wenn man über Till schreibt, kann man „Rammstein“ nicht weglassen.
Ich bin mit dem fertigen Manuskript zu Gitta Lindemann gefahren. Der Besuch war sehr schön, ein tolles Haus, ganz verwunschen, viele Bilder von ihrem Sohn Till an den Wänden. Später teilte sie mir mit, dass die Julia-Geschichte ihr gefallen hat. Sie meinte, dass sie es oft peinlich findet, wenn man über sie etwas notiert. Das, was ich über Werner geschrieben habe, hat sie sehr berührt.
Aber „Rammstein“ sollte raus, weil ich nichts Neues berichte. Ich habe auch einige Fans der Band vorab lesen lassen. Die haben mir gesagt, dass sie vieles nicht wussten, zum Beispiel das Verhältnis von Till zum Vater. Professor Carsten Gansel, Autor und Literaturwissenschaftler, der gerade einen literarischen Schatz von Werner Lindemann geborgen hat, las das Manuskript. Er machte mir aber den Vorwurf, dass ich gesellschaftliche Probleme nur kurz anspreche, zum Beispiel wie Faschismus in der DDR aufbereitet wurde und wie man jetzt darüber in der Schule redet. Das müsse umfangreicher sein. Aber ich habe entgegnet, dass es Nachtgespräche sind, die die Tante mit Julia führt. Vieles wird angesprochen, aber mit Rücksicht auf den Fluss der Geschichte, habe ich mich da oft auch kurzgefasst.
Hintergrund: Ditte Clemens und „Rammstein“
Ein Konzert hat Ditte Clemens von Rammstein nicht besucht. Laute Konzerte konnte sie noch nie gut ertragen. Weihnachten besucht sie eher kleine Handwerker-Märkte als die großen Weihnachtsmärkte. Sie hat sich intensiv mit der Band „Rammstein“ und Texten von Till Lindemann beschäftigt. Einige Texte gefallen ihr, andere findet sie abstoßend. Von Gitta Lindemann weiß sie, dass Till oft nach Hause kommt. Er fühlt sich mit der Natur sehr verbunden. Getroffen hat Ditte Clemens Till Lindemann bisher nicht. Seinem Management hat sie das Manuskript geschickt. Eine Antwort gab es nicht.