Formation ukrainischer Soldaten in Militäruniformen bei der Straßenzeremonie zu Ehren des Asow-Regiments

Kiew am 13. November 2022: Formation ukrainischer Soldaten bei einer Straßenzeremonie zu Ehren des Asow-Regiments

(Bild: Oleksandr Polonskyi/Shutterstock.com)

Das Asow-Bataillon wirbt um Kämpfer. Die Neonazi-Truppe gilt als Eliteeinheit der Ukraine. Doch wie gefährlich ist ihr wachsender Einfluss?

Es klingt unfassbar: Ausgerechnet in der deutschen Hauptstadt sollte vergangenen Sommer eine Werbeveranstaltung für die 3. Sturmbrigade des ukrainischen Asow-Regiments abgehalten werden.

Nicht nur sollten front-erfahrene ukrainische Soldaten berichten, sondern es war auch angedacht, dass man sich vor Ort sich ihren „Reihen anschließen“ könne.

Die Brigade Asow ist nicht irgendeine Einheit, sondern eine immer stärker werdende, historisch gewachsene Neonazi-Truppe in den offiziellen ukrainischen Streitkräften. Proteste verhinderten dieses Schauspiel.

Trotzdem wachsen Einfluss und Freundeskreis: Der ehemalige Bundeswehrsoldat Peter R. konnte im Februar – angeblich ohne Kenntnis und Zuständigkeit der Bundesregierung – ungeniert auf Schloss Diedersdorf in Brandenburg für das Asow-Bataillon werben.

Was aber steckt hinter den Kriegern, deren Symbol die Wolfsangel ist, ein Emblem, das schon durch die 2. SS-Panzerdivision „Das Reich“ verwendet wurde?

Wessen Geistes Kind?

Im Zuge der militärischen Auseinandersetzungen um die Donbass-Region entstanden 2014 dutzende ukrainische Freiwilligenverbände. Eines davon ist Asow. Doch deren Gründung, durch Andrij Biletzki, Oleg Ljaschko und Dmytro Kortschynsky, fußte nicht auf Zufall: Ihre Gründer sind überzeugte langjährige Faschisten.

Insbesondere Biletsky ist kein Unbekannter: Er war Gründer und Führungsfigur der neonazistischen Gruppen „Social-National Assembly“ und „Patriot of Ukraine“, Abgeordneter der Rada und Kommandant von Asow. Auch Ljaschko saß im Parlament, zunächst für die Partei Timoschenkos, dann für seine eigene.

Er kandidierte 2014 gar für das Präsidentenamt und fiel mit extremen Aktionen auf: Er ließ einen prorussischen Politiker festnehmen und rechtfertigte einen gewalttätigen Sturm auf ein Verwaltungsgebäude, bei dem zwei Personen ums Leben kamen.

Kortschynskyj vertritt wiederrum die Verbindung zum orthodoxen Christentum: Er ist Leiter der Bewegung „Bratstwo“ („Bruderschaft“), die sich als christlich-orthodox-national versteht. Und hat Kampferfahrung: Er beteiligte sich im Tschetschenien-Krieg auf der Seite der Separatisten.

Zweck und Mittel

Folgt man der geopolitisch gefärbten Erzählung der bundesdeutschen Politik gibt es kein Problem.

Bundeskanzler Merz trieb es, aus Anlass des ukrainischen Unabhängigkeitstages letzte Woche, auf die Spitze: Die gesamte Ukraine kämpfe für „unsere Freiheitsordnung in Europa“.

In diesem Kampf scheinen alle Mittel Recht, sofern sie dem Zweck – der Ruinierung der Russischen Föderation – zuträglich sind. Schwerlich lassen sich Zweck und Mittel mit dem proklamierten Werte-Kanon in Einklang bringen.

Im Geiste der OUN

Doch damit nicht genug: im 2023 erschienenen Buch des heutigen Asow-Chefideologen Olexij Reins mit dem Titel „What Is Azov from Ukraine?“ nennt der Autor Jaroslaw Stezko als Vorbild der Einheiten. Laut der Publizistin Susanne Witt-Stahl war dieser „Stellvertreter von Stepan Bandera, Führer des radikalen Flügels der Organisation Ukrainischer Nationalisten und wurde (…) sein Nachfolger.“

Die OUN stand für einen mit dem faschistischen Deutschen Reich kollaborierenden ethnisch-ukrainischen Führerstaat. Der US-Historiker Per A. Rudling geht in seinen Forschungen davon aus, dass die OUN die „nationalsozialistische Weltanschauung“ und die Idee einer faschistischen Neuordnung Europas, der sklavischen Unterwerfung der übrigen Sowjetvölker sowie eines glühenden Antisemitismus geteilt habe.

Nicht nur, dass das Regiment selten mit faschistischer Emblematik geizt, auch dessen Gründer äußerte sich 2010 eindeutig: die Ukraine solle „die weißen Rassen der Welt in einem letzten Kreuzzug gegen semitisch geführte Untermenschen“ führen.

Der dritte Weg führt nach Kiew

Neben dem Weißen Haus fällt die Verbindung zu anderen nicht-ukrainischen faschistischen Gruppen ins Auge.

In Deutschland gibt es offenkundig Kontakte zur neonazistischen Partei „Der Dritte Weg“. Während die deutsche extreme Rechte in manchen Teilen zu Russland steht, ist die Kleinstpartei „Dritter Weg“ konsequent solidarisch mit Kiew. So wird beim „Dritten Weg“ für Asow geworben und das faschistische Musikfestival „Asgardsrei“ in der Ukraine unterstützt.

Laut dem Combating Terrorism Center wurde Ausrüstung an asow-bewegte Kräfte im Osten der Ukraine geliefert und zudem wurden Flüchtlingsfamilien von Kämpfern untergebracht. Zudem versuchten dutzende Neonazis mit dem Ziel, sich der Asow-Bewegung anzuschließen, in die Ukraine auszureisen.

Auf Nato-Standard

Doch spätestens ab 2015 wurden, insbesondere im Westen, die ideologischen Bedenken über Bord geworfen. Das Asow-Bataillon erfuhr eine Phase der Professionalisierung. Zwar verbot ein Gesetz ab 2016 politische Agitation unter Soldaten, löste jedoch nur einen enormen militärischen Fokus aus.

Die Jahre wurden genutzt, 2022 schlug die große Stunde. Die Asow-Männer errangen einen Heldenstatus aufgrund ihrer militärisch starken Verteidigung der Stadt Mariupol, ihrer erbitterten und teilweise den anderen Teilen der ukrainischen Armee deutlich überlegenen militärischen Erfolge und schließlich mit der medial ausgeschlachteten Episode um das Asow-Stahlwerk.

Unter dem Kommando von Denys Prokopenko (seit 2017) lag der Fokus auf Militarisierung: Training, Waffenbeschaffung, moderne Einsatzführung. Eine vermeintliche Loslösung von faschistischer Rhetorik machte auch die Kooperation mit US-Militärausbildern möglich. Laut Le Monde orientiert sich das Regiment in Taktik, Strategie, Waffentechnik und Motivation an Nato-Anforderungen

Dies treibt aktuell immer wildere Blüten: Ehemalige Azov-Einheiten bilden eine neue Special-Operations-Forces-(SSO)-Brigade.

Diese wurde im Januar 2023 zu einer hochmobilen Kampfeinheit innerhalb der regulären ukrainischen Landstreitkräfte zusammengeführt. Für das Jahr 2025 strebt man die Rekrutierung internationaler, englischsprachiger Kämpfer mit militärischer Erfahrung auf Basis eines strengen Auswahlverfahrens an.

Nutzen und Gefahr

Sicher, die hochmotivierten und leistungsstarken Asow-Krieger stellen in manchen Teilen das Rückgrat der ukrainischen Armee dar. Kiew kann, will und wollte nie auf diese braune Elite verzichten. Angeblich seien die Asow-Krieger „entideologisiert“ worden: eine Elitekampfeinheit mit hohem nationalen Ehrgefühl, jedoch ohne den aus westlicher Sicht störenden „Braunstich“.

Vorsicht ist geboten: Die Gründungsväter und ihre Ideen sind keineswegs marginalisiert. Wie die neuesten Publikationen belegen, scheut man sich inzwischen nicht einmal mehr, sich öffentlich zu ihnen zu bekennen.

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Nie saßen die braunen Spielgesellen fester im Sattel als heute. Das militärische Kiew und durch die Asow-Bewegung auch die Selenskyj-Administration erscheinen als schwache Getriebene. Ihre Frontsoldaten werden Mitsprache und Pfründe fordern.

Eine brandgefährliche Situation: Ist ein Waffenstillstand mit den hochideologisierten und mittlerweile professionalisierten Asow-Kämpfern erreichbar? Der Staat im Staate könnte, wie die letzten Angriffe auf russische AKW-Anlagen belegen, über ein massives Eskalationspotenzial verfügen.

Berlin und Washington machen sich, entgegen der Betonung angeblicher Wertmaßstäbe, mitschuldig am Erstarken der faschistischen Rechten in der Ukraine.