Es dürfte der bislang größte Flop in der sowieso schon zweifelhaften Polit-Karriere von Ferhat Sentürk sein: Keine Teilnehmer, nur eine Handvoll Journalisten und Streamer haben sich in Berlin vor dem S-Bahnhof Neukölln eingefunden, wo der Ex-AfD-Politiker aus Aachen vorgeblich für Gaza demonstrieren will. Die Polizei ist mit einem Großaufgebot vor Ort: Mehr als 30 Einsatzwagen sind angerückt, um die Demo zu begleiten. Später werden es knapp 20 Menschen sein, die sich dem Protest anschließen.
Für die Polizei ist es ein Tag der Großveranstaltungen: Neben dem Protest in Neukölln begleiten Einsatzkräfte auch die Technoparade „Zug der Liebe“ mit Tausenden Teilnehmenden, ein Hochrisikofußballspiel des BFC Dynamo und des SV Babelsberg 03 in Hohenschönhausen und eine weitere Palästina-Demo am Potsdamer Platz. Knapp 1000 Polizistinnen und Polizisten sind an diesem Sonnabend in Berlin im Einsatz, davon 500 bei den Palästina-Protesten.
600 Teilnehmende hat Sentürk für seine Demo in Neukölln angemeldet. Der Ex-AfD-Mann hat mehrfach Neonazi-Demonstrationen in Berlin organisiert. Schon da fiel er mit israelfeindlichen Sprüchen auf, zudem veröffentlichte er auf Tiktok einen holprig gerappten Gewaltaufruf gegen Juden. Nachdem er seinen Rückzug aus der rechten Szene verkündet hatte, erhielt Unterstützung von zwei Streamern aus der propalästinensischen Szene. Die Medienaktivisten luden ihn zu einem gemeinsamen Stream ein.
Zwei junge Männer verlesen um 15 Uhr die Versammlungsauflagen, eine Frau mit Kinderwagen huscht schnell und desinteressiert an den Kameras vorbei.
Verdammt bizarr
ein Passant über die Demo in Neukölln
Wie um diese Tageszeit üblich, strömen zahlreiche Passanten aus dem S-Bahnhof Neukölln. Viele verstehen nicht, was das Polizeiaufgebot soll, da keine Versammlung wahrnehmbar ist. Lediglich die arabische Musik aus einer Lautsprecherbox deutet darauf hin, dass hier etwas stattfinden soll. Seit 15 Uhr läuft dasselbe Lied.
Zwei junge Männer lesen und 15 Uhr die Versammlungsauflagen vor.
© Dominik Lenze
Als eine Fotografin einem Passanten erklärt, dass hier ein Ex-Rechter für Gaza demonstrieren will, aber niemand gekommen ist, staunt dieser nicht schlecht: „Verdammt bizarr“, sagt der junge Mann und widmet sich wieder seinem Radler.
Sentürk läuft derweil durch die Gegend und gibt rechten Streamern Interviews, dann wechselt er die Straßenseite und streitet mit einer kleinen Gegendemo, einer Handvoll Menschen mit Israel-Fahnen. Gegen 15.30 Uhr ruft Sentürk dazu auf, dass alle, die mit ihm demonstrieren wollen, auf seine Straßenseite kommen sollen. Es kommen etwa zehn Personen.
Begleitet von der Polizei zieht die Demo los.
© Dominik Lenze
Als es gegen 16 Uhr zu regnen beginnt, zieht Sentürks Demo los. Nachdem sich noch ein paar Frauen nach dem Einkauf im nahegelegenen Supermarkt angeschlossen haben, sind es schließlich knapp 20 Teilnehmer, inklusive Sentürk.
Sentürk fordert Soli für Sentürk
Am Freitag distanzierte sich der Neuköllner Ortsverband der Linken von der Palästina-Demo des früheren AfD-Politikers. „Faschisten wie Sentürk haben keinen Platz bei uns in Neukölln“, hieß es in einem Social-Media-Beitrag. Auch andere propalästinensische Gruppen distanzierten sich auf Social-Media: „Das ist keine Palästinasolidarität. Das ist eine Neonazi-Demo“, schrieb ein linker Account auf X.
Der Gegenwind sei „absolut verwerflich“, erklärte Sentürk. In einem Interview, das er selbst in sozialen Netzwerken veröffentlichte, betonte er, das Thema Gaza sei zu groß für politische Instrumentalisierung. Er rufe deshalb zu Solidarität auf – „nicht nur mit Palästina, sondern auch mit meiner Person“.
Wenige hundert Teilnehmer bei Palästina-Demo am Potsdamer Platz
Auch die Palästina-Demo am Potsdamer Platz in Mitte bleibt zunächst überschaubar: Weniger als hundert Teilnehmende haben sich kurz nach 17 Uhr versammelt, die Stimmung ist ruhig. Ein Grund für den geringen Andrang dürfte sein, dass heute eine Palästina-Demo in Frankfurt am Main stattfindet, zu der die Szene deutschlandweit mobilisiert.
Eine Rednerin bei der Palästina-Demo am Potsdamer Platz.
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Nach einem Redebeitrag auf Arabisch setzen am Potsdamer Platz Sprechchöre und Trommeln ein. Skandiert werden Parolen wie „Deutsche Waffen, deutsches Geld, morden mit in aller Welt“ oder „Kindermörder Israel“.
Der erste deutschsprachige Redebeitrag macht deutlich, dass es bei der Kundgebung nicht um Frieden in Gaza geht, sondern um die Vernichtung Israels: Eine junge Frau fordert, dass Deutschland israelische Universitäten boykottieren soll. Beim Boykottaufruf belässt sie es nicht: „Wir kämpfen weiter, bis der zionistische Apartheidstaat unter dem weltweiten Druck zusammen bricht“, fährt sie fort. Der Kampf ende erst, „wenn Tel Aviv wieder in der Hand von Palästina liegt“.
Wenige hundert Menschen hatten sich versammelt.
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Zu der Demo hatte das vom Verfassungsschutz beobachtete „Vereinigte Palästinensische Nationalkomitee“ mobilisiert, angemeldet wurde die Versammlung von einer Privatperson. Nach Angaben des Berliner Verfassungsschutzes handelt es sich hierbei um eine Dachorganisation, unter der sich auch Anhänger der Terrororganisation Hamas versammeln. Angemeldet für diese Versammlung sind laut Polizei 250 Personen.
Anders als bei Sentürk hält die Linke hier Distanz bislang nicht für nötig: Der Ortsverband Neukölln hatte das „Nationalkomitee“ Anfang August zu einem Sommerfest eingeladen, ein Vertreter hielt dort eine Rede.
Polizei schickt Beamte in den Feierabend
Die Palästina-Versammlungen liefen aus polizeilicher Sicht ohne größere Vorkommnisse. Lediglich bei der „Bürgersteig-Demo“ von Ferhat Sentürk seien teils verbotene Parolen gerufen worden, sagte Polizeisprecher Florian Nath am Abend. Einsatzkräfte nahmen mehrere Personen fest.
Nachdem sich herausgestellt hatte, dass die Demos kleiner ausfallen als erwartet, habe man zahlreiche Beamte in den Feierabend geschickt. „Wir waren auf vieles vorbereitet, aber nichts davon ist eingetreten“, sagte Nath.
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Beim Fußballspiel des BFC Dynamo gegen Babelsberg 03 waren 180 Polizeikräfte im Einsatz. Das Aufeinandertreffen der verfeindeten Fangruppen galt im Vorfeld als möglicherweise brisant, verlief nach Polizeiangaben aber ebenfalls ohne Zwischenfälle.
„Die aktuellen Versammlungslagen bringen die Einsatzkräfte ans Limit“, hatte Stephan Weh, Landesbezirksvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) Berlin, im Vorfeld geklagt. Die Situation sei belastend, die Polizei schiebe „Überstunden ohne Ende“. Auch Beamte aus Brandenburg, Sachsen-Anhalt und von der Bundespolizei waren im Einsatz.