Abschied geht auf viele Arten. Dieser hier vollzieht sich ganz leise. Bevor er geht, steht ein Besucher der Franziskusstube in sich gekehrt vor dem großen Kreuz, das dort an der Wand hängt. Still und mit Tränen in den Augen verabschiedet er sich von den Kreuz und dem Ort, packt seinen Rucksack – und geht. Es ist der letzte Tag der Stube in der Paulinenstraße 18. Und alles ist wie immer. Das soll es jedenfalls sein, sagt Schwester Margret.
Besinnung zum Beginn
Aber das ist er natürlich nicht. Auch wenn es bei der kurzen Besinnung um 7.30 Uhr wie immer ganz still im Raum war. „Herr, du willst, dass ich meinen Weg finde. Du willst, dass ich glücklich bin und an ein Ziel gelange. Ich möchte wollen, wie du willst,“ hat Schwester Margret da wahrscheinlich nicht ganz zufällig vorgelesen. Die Ehrenamtlichen haben wie immer Kaffee und Tee ausgeschenkt, Käse, Wurst, panierte Schnitzel und Schokoladenkuchen angeboten – und die Ordensschwester der Franziskanerinnen hat wie in all den Jahren inmitten ihrer Gäste gesessen. Und auch heute hat sie alle im Blick gehabt. Hat genau gesehen, wer am letzten Tag noch ein Teil aus der Kleiderkammer braucht.
Schwester Margret im Gespräch mit Sabine Constabel, die bei La Strada Prostituierte betreut. Foto: StZN
An diesem Samstag hat die Franziskusstube zum letzten Mal geöffnet. Am Montag soll die Sanierung der Räumlichkeiten beginnen (wir haben darüber berichtet). Wenn sie im neuen Jahr, wie vom katholischen Stadtdekanat angekündigt, wieder öffnen, sollen sie als Multifunktionsraum im Rahmen der Kirchensanierung der Kirchengemeinde St. Maria und der Initiative Maria plus genutzt werden. Das Kreuz wird mit dem Mobiliar verschwinden. Und damit auch ein besonderer Ort, den Schwester Margret in den vergangenen 28 Jahren geprägt hat und der für wohnungslose Menschen und andere Menschen in Not eine verlässliche Anlaufstelle war. „Ohne Schwester Margret gäbe es das La Strada, die Anlaufstelle für Prostituierte der Caritas, nicht“, sagt die Sozialarbeiterin Sabine Constabel. Die Ordensfrau hatte viele Ideen, wie man den Menschen helfen kann. Von Anfang an war Sabine Constabel bei La Strada dabei. Auch sie ist gekommen an diesem denkwürdigen Samstagmorgen.
Die Franziskusstube und die damit verwobenen Projekte, das ist das Lebenswerk der knapp 79-jährigen Schwester Margret. Mit zunehmenden Alter schwinden ihre Kräfte, wie sie sagt. Die Nachfolgerinnensuche war jedoch vergeblich. 1993 hat sie mit ihrer Arbeit für Menschen am Rand der Gesellschaft begonnen. In der Franziskusstube gab es jeden Tag bis auf den Sonntag Frühstück, Ansprache und Kleidung. Niederschwellig war das.
Struktur für den Tag
Dennoch habe er ein paar Anläufe gebraucht, sagt Nedelko (64), der gekommen ist, weil heute eben doch ein besonderer Tag ist. Ihm habe das frühe Frühstück hier nach einem Schicksalsschlag vor ein paar Jahren nach einer Trauerphase geholfen, wieder zur Ruhe zu kommen. „Das war schon mal ein guter Start in den Tag“, sagt er. Schnell hat er geholfen beim Aufräumen und hatte dann das Gefühl „mir mein Frühstück verdient zu haben“. Er wollte sich nicht auf Dauer in der sozialen Hängematte einrichten. Das wollte auch Schwester Margret für viele ihrer Gäste nicht. „Es ging mir immer ums Fördern und Fordern“.
Eduardo (59), der an einem Zweiertisch sitzt, schätzt an der Franziskusstube, „dass einem mit Respekt begegnet wird“. Ein Teil seiner Sommergarderobe, die kurze Hose und die Sneakers, sei aus der hiesigen Kleiderkammer. Er werde Schwester Margret vermissen, sagt er.
Kritik an Ende der Franziskusstube
Viele ehrenamtliche Helfer kommen vorbei, bringen Blumen oder ganz persönliche Geschenke mit Erinnerungen an gemeinsame Erlebnisse und Erfolge. Einer formuliert, was alle hier bewegt: Wenn die Kirche zur Serviceagentur für Dienstleistungen werde, dann sei sie verloren. Dann verliere sie ihren Markenkern. Für viele hier ist die Schließung der Franziskusstube ein Schritt in diese Richtung. Auch wenn, wie sie sagen, dass dadurch in Stuttgart nicht die Versorgung wohnsitzloser Menschen gefährdet sei. Dennoch sind sie sich einig mit Schwester Margret, die sagt: „Es ist eben eine schöne Sache, die nicht sterben sollte“.