Möglich wird das durch die SAW-Technologie. SAW steht für „Surface Acoustic Waves“, also akustische Oberflächenwellen. Diese Technologie gibt es schon lange, in Farbfernsehern und Smartphones sind SAW-Filter enthalten. Aber Frequenzfilter waren nur die erste Generation von SAW-Anwendungen. Die zweite Generation sind SAW-Sensoren.

Piezoelektrische Eigenschaften machen es möglich

Die SAW-Sensoren sind meist kleiner als ein Fingernagel, aber können unheimlich viel detektieren – und das allein anhand von Oberflächen-Ultraschallwellen, die man sich vorstellen kann wie Nanometer große Erdbeben, nur in einem viel höheren Frequenzbereich. Möglich wird die Detektion durch einen sogenannten Einkristall auf dem Sensor, der piezoelektrisch ist, also bei mechanischer Verformung elektrische Spannung erzeugt – und umgekehrt durch elektrische Spannung mechanisch verformt wird.

„Wir bringen auf unserem Piezokristall eine Interdigitalwandler-Struktur auf“, erklärt Philipp Schulmeyer. Damit können akustische Wellen über den inversen piezoelektrischen Effekt angeregt werden „Und wenn sich durch Umwelteinflüsse diese akustischen Wellen verändern, dann kann man diese Veränderungen messen.“ Der Wissenschaftler demonstriert das im Labor, indem er eine Aluminium-Platte, auf der ein solcher Sensor klebt, leicht biegt. Sofort verschiebt sich am angeschlossenen Bildschirm die Kennlinie des SAW-Sensors.

SAW-Sensoren erkennen vereiste Rotorblätter an Windkraftanlagen

Verformung ist nur eine von vielen Zustandsänderungen, die SAW-Sensoren registrieren können. Ein anderes bei Windkraftanlagen auftretendes Problem ist starke Kälte mit Bildung von Eis: „Vereiste Rotorblätter führen zu einer Verschlechterung der Aerodynamik, dadurch zu Leistungseinbußen“, weiß Philipp Schulmeyer aus seiner Zusammenarbeit mit einer Instandhaltungsfirma für Windkraftanlagen. Eis könne auch zu Unwuchten führen, wodurch mechanische Komponenten der Anlage leiden. „Oder Eis kann tatsächlich auch weggeschleudert werden vom Rotorblatt und stellt dadurch ein Sicherheitsrisiko dar.“

Schulmeyers SAW-Sensor erkennt Eis, wenn er am Rotorblatt angebracht ist. Wie schnell die Montage geht, hat der Wissenschaftler schon selbst in luftiger Höhe an einem Windrad in Ostsachsen probiert: Es dauert im Optimalfall etwa eine Stunde. Anlagen müssen dafür also nicht lange stillstehen. Und es gibt weitere Vorteile, die die Technologie markttauglich machen dürften: In Massenherstellung aus Wafern würden die kleinen Sensor-Chips sehr preiswert. Sie liefern ihre Daten kabellos über Funk und brauchen keine zusätzliche Stromversorgung, weil die Energie aus der Funkabfrage zum Betrieb des Sensors ausreicht. Außerdem kann man alte wie neue Anlagen damit bestücken.

Optimierung der Lebensdauer von Rotorblättern

Für die Zukunft schwebt Philipp Schulmeyer aber nicht nur die Detektion von Eis an Rotorblättern vor. Auch Materialermüdung soll mit Hilfe der SAW-Sensoren erkannt werden. Wenn diese genügend Daten gesammelt haben, kann man ablesen, wie sich ein Rotorblatt im Laufe seiner Lebensdauer verhält und verändert, „so dass man mögliche Schwachstellen frühzeitig erkennt und dann im Designprozess für neue Rotorblätter das Wissen anwenden kann, um diese Schwachstellen zu minimieren“, wie Schulmeyer erklärt. Dadurch könnte die Lebensdauer von zukünftigen Rotorblättern optimiert werden.

Seine Vision für die Zukunft, sagt der Dresdner Wissenschaftler, sei, dass man sich branchenweit einigt, welche Messgrößen und Betriebsparameter einer Windkraftanlage dauerhaft überwacht werden müssen, damit bestehende Anlagen möglichst lange und zuverlässig betrieben werden können. „Und dass man sich dann darauf einigt, dass neue Standards gesetzt werden in der Zustandsüberwachung.“ Mit den so gesammelten Erkenntnissen sei es dann möglich – ganz im Sinne einer Kreislaufwirtschaft – Windkraftanlagen vorausschauend instand zu halten und Neuanlagen so zu gestalten, dass sie in Zukunft mit einem geringeren Ressourcenaufwand hergestellt werden können.

Dabei will er mit seinen Kollegen am Leibniz IFW gern mithelfen. Ihm ist klar, dass die Technologie dafür nicht nur wissenschaftlich ausgereift, sondern auch markttauglich sein muss, sprich: preislich attraktiv. „Markttauglichkeit wird tatsächlich immer mitgedacht“, sagt er. Wenn man Förderanträge schreibe, müsse man auch darlegen, wo das hinführen soll und was man letztlich in der Praxis beabsichtigt. „Das Ziel ist, für die Gesellschaft einen Mehrwert zu schaffen.“

Eine Patentanmeldung für die neue Technologie ist jedenfalls schon eingereicht. Bald sollen Feldversuche starten. Wie lange es bei Erfolg dann noch dauert, bis die Sensoren möglichst flächendeckend eingesetzt werden, entscheiden aber eben nicht nur Wissenschaftler, sondern vor allem die Industrie.