Die Initiative Lobbycontrol bietet Stadtführungen durch Berlins Regierungsviertel an. Zwischen Friedrichstraße und Spree begegnen Sie Lobbyisten in freier Wildbahn – von Bierpartys bis zum geheimnisvollen „China Club“. Kommen Sie mit!

Lebendiger Fisch darf in Deutschland eigentlich nicht in Restaurants verarbeitet werden – außer in einem bestimmten, wo Politik und Lobbyisten gerne auf Tuchfühlung gehen

Collage: der Freitag; Material: MidJourney

Sie wollten schon immer einen Lobbyisten in seinem natürlichen Habitat bestaunen? Dann sind Sie hier genau richtig – willkommen im Berliner Lobby-Dschungel! Tauchen Sie ein in die unsichtbare Welt der Interessenvertretung, welche sich hinter den grauen Mauern und gläsernen Fassaden zwischen dem Bahnhof Friedrichstraße und dem Bundespresseamt an der Spree erstreckt. Wo täglich über Politik gestritten wird, haben sie sich angesiedelt – die Lobbyisten. Mit etwas Glück bekommt man sie sogar beim Ein-und-aus-Gehen zu Gesicht.

Die Initiative Lobbycontrol bietet regelmäßig „lobbykritische Stadtführungen“ durch das Regierungsviertel der deutschen Hauptstadt an. An einem Samstag im August hat der Freitag an einer solchen Führung teilgenommen. Also lassen Sie sich mitreißen von einer Reise durchs Zentrum der Macht, begeben Sie sich auf die Spuren obskurer Plastik-Experimente und blicken Sie hinter die Mythen des sagenumwobenen „China-Clubs“ – einer Deal-Schmiede, deren Fahrstuhltüren der Öffentlichkeit gegenüber stets verschlossen bleiben.

Wo die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ für längere Arbeitszeiten trommelt

Unsere Reise beginnt in der Georgenstraße 22, dort hat sich die Initiative Neue soziale Marktwirtschaft (INSM) niedergelassen. Mit fünf Millionen Euro jährlich finanziert der Arbeitgeberverband Gesamtmetall nicht nur deren Miete, sondern zahlt auch für die Vertretung der Interessen der 7.100 Mitgliedsunternehmen, unter denen sich Schwergewichte der Elektro- und Metallindustrie wie Siemens, BMW, Bosch, Thyssenkrupp und Continental befinden. Ein Interesse der Konzerne: längere Arbeitszeiten.

Um die Bevölkerung von dieser Idee zu überzeugen, könnte man über bestimmte reichweitenstarke Medien verbreiten, dass wir uns eine Rente mit 63 wirtschaftlich nicht mehr leisten können. Genau darauf wiesen Jens Spahn (CDU) und der Geschäftsführer der INSM gemeinsam in der Bild hin. Ein echter Schulterschluss! Der heutige Bundeskanzler war gar Gründungsmitglied des Fördervereins der INSM, die zusammen mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung Friedrich Merz 2005 als „Reformer des Jahres“ auszeichnete.

Weiter geht es in die Neustädtische Kirchstraße 8, wo sich auf einem bronzefarbenen Klingelschild neben etlichen Verbands- und Unternehmensnamen auch noch der ausgekratzte Name von Plasticseurope erahnen lässt. Um schon die Jüngsten so früh wie möglich für Plastik zu begeistern, hat der Verband für Dritt- und Viertklässler „Kunos coole Kunststoffkiste“ samt Märchen mit einer „Kunststoff-Fee“ in petto. Eines der Experimente zeigt, wie sich verschiedene Kunststofffolien in Berührung mit Wasser verhalten. An einer perlt es ab, eine andere löst sich auf. Zauberhaft! Es gibt aber auch weit subtilere Wege, das gewünschte Produkt schon früh in den Alltag der Menschen zu integrieren. So stellt der Verband der Chemischen Industrie (VCI) in Kooperation mit dem Schulbuchverlag Cornelsen ganze Chemiebücher für fortgeschrittenere Klassen her.

Im „Restaurant Il Punto“ gehen Politik und Lobby auf Tuchfühlung

Ein paar Meter weiter residiert eine der ältesten Interessenvertretungen des Landes, der 1871 gegründete Deutsche Brauer-Bund. Bei dessen exklusiven Partys für Parteivertreter fließt nicht nur jede Menge Bier, die ausgewählten und einflussreichen Gäste können auch einen Ehrentitel verliehen bekommen. „Botschafter des Bieres“ war 2024 CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann, seine Nachfolgerin ist die Ministerpräsidentin des Saarlandes, Anke Rehlinger (SPD). Der Grüne Cem Özdemir war 2014 Bier-Botschafter, Winfried Kretschmann 2017 – ihm will Özdemir 2026 als Ministerpräsident Baden-Württembergs nachfolgen. Dafür lud der Ex-Bundesernährungsminister potenzielle Wähler zuletzt etwa zum (Frei-) „Bier mit Cem“. An günstigen Preisen, der niedrig angesetzten Altersgrenze und dem liberalen Umgang mit Bier lässt sich die erfolgreiche Lobbyarbeit der Branche gut erkennen.

Für alle Unternehmerinnen unter Ihnen, die immer schon einmal einen Sozialdemokraten mieten wollten, um Ihre Interessen in der Politik unterzubringen, könnte das von außen doch recht unscheinbare Restaurant Il Punto interessant sein. Hier lässt es sich zu gehobenen Preisen bei hochwertiger italienischer Küche in exklusiver Gesellschaft speisen. Wie schon in den 2010er Jahren, in denen der sogenannte „Rent a Sozi“-Skandal für Furore sorgte, nachdem ein investigatives Team des ZDF den SPD-Politiker Heiko Maas hier beim Abendessen mit einem Unternehmer gefilmt hatte. Zwischen 2.000 und 4.000 Euro musste man damals für ein Essen mit Maas oder Parteifreundin Andrea Nahles hinblättern. Das Restaurant war nach der Wende samt Regierung von Bonn nach Berlin gezogen und schon immer ein Ort, an dem Politik und Lobby auf Tuchfühlung gehen konnten.

Auch am Brandenburger Tor verbirgt sich ein Ort, an dem Politik und Wirtschaft auf ganz eigene Weise zusammenfinden. Versteckt auf der Südseite des Hotels Adlon befindet sich ein exklusiver Society-Club, dessen Zugang streng über Mitgliedschaften reguliert ist. Deutsche Mitglieder zahlen einmalig 15.000 Euro, ausländische hingegen nur 10.000 Euro, denn diese sind in dem internationalen Club gern gesehen. Doch selbst wenn Sie das nötige Geld tatsächlich zur Hand hätten, würde das keineswegs bedeuten, dass man Ihnen auch Zutritt gewährt. Erst einmal würde eine Jury bestimmen, ob bei Ihnen eine ausreichende gesellschaftliche Relevanz besteht.

Diskretion ist im China-Club eines der höchsten Gebote

Hier über den Dächern Berlins hat laut Table Media 2023 ein erstes Gespräch über eine Kooperation zwischen dem IT-Unternehmer und Nius-Finanzier Frank Gotthardt und der CDU-Spitze um die damalige Schatzmeisterin Julia Klöckner und Parteichef Merz stattgefunden, über eine „CDU App GmbH“, zu der es dann nicht kam.

Vor einer Fahrstuhltür ist ein roter Teppich mit Logo des China-Clubs ausgerollt und über einer goldenen Klingel erfasst eine Kamera, wer ganz nach oben will. Diskretion ist im China-Club eines der höchsten Gebote. Hat man es doch geschafft, erwartet einen die feinste chinesische Küche, die jener Koch zubereitet, der im wahrsten Sinne des Wortes eine Lizenz zum Töten besitzt. Denn lebendiger Fisch darf, anders als im China-Club, in Deutschland eigentlich nicht in Restaurants verarbeitet werden. Neben dem exklusiven Restaurant gibt es eine Bibliothek, ein Spa und edelste private Räumlichkeiten.

Hier endet unsere Reise nun. Da, wo Politik und Wirtschaft sich unseres Blickes entziehen, um mal die Füße hochzulegen oder eben Dinge zu besprechen, die uns am Ende dann doch alle betreffen.

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Wie viel Einfluss haben Business-Interessen auf die Politik? Diese Frage ist seit der Übernahme der Regierungsgeschäfte von Schwarz-Rot noch virulenter. Immerhin war Bundeskanzler Friedrich Merz bis 2020 als Blackrock-Lobbyist tätig – und in den USA sitzt gleich ein Milliardär im Weißen Haus.

In unserer mehrteiligen Serie „Regiert uns die Wirtschaft? schauen wir auf die Situation in Deutschland, den Vereinigten Staaten und anderen Teilen der Welt. Was hilft wirklich gegen die „stille Übermacht“ des Lobbyismus?

en“ durch das Regierungsviertel der deutschen Hauptstadt an. An einem Samstag im August hat der Freitag an einer solchen Führung teilgenommen. Also lassen Sie sich mitreißen von einer Reise durchs Zentrum der Macht, begeben Sie sich auf die Spuren obskurer Plastik-Experimente und blicken Sie hinter die Mythen des sagenumwobenen „China-Clubs“ – einer Deal-Schmiede, deren Fahrstuhltüren der Öffentlichkeit gegenüber stets verschlossen bleiben.Wo die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ für längere Arbeitszeiten trommeltUnsere Reise beginnt in der Georgenstraße 22, dort hat sich die Initiative Neue soziale Marktwirtschaft (INSM) niedergelassen. Mit fünf Millionen Euro jährlich finanziert der Arbeitgeberverband Gesamtmetall nicht nur deren Miete, sondern zahlt auch für die Vertretung der Interessen der 7.100 Mitgliedsunternehmen, unter denen sich Schwergewichte der Elektro- und Metallindustrie wie Siemens, BMW, Bosch, Thyssenkrupp und Continental befinden. Ein Interesse der Konzerne: längere Arbeitszeiten.Um die Bevölkerung von dieser Idee zu überzeugen, könnte man über bestimmte reichweitenstarke Medien verbreiten, dass wir uns eine Rente mit 63 wirtschaftlich nicht mehr leisten können. Genau darauf wiesen Jens Spahn (CDU) und der Geschäftsführer der INSM gemeinsam in der Bild hin. Ein echter Schulterschluss! Der heutige Bundeskanzler war gar Gründungsmitglied des Fördervereins der INSM, die zusammen mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung Friedrich Merz 2005 als „Reformer des Jahres“ auszeichnete.Weiter geht es in die Neustädtische Kirchstraße 8, wo sich auf einem bronzefarbenen Klingelschild neben etlichen Verbands- und Unternehmensnamen auch noch der ausgekratzte Name von Plasticseurope erahnen lässt. Um schon die Jüngsten so früh wie möglich für Plastik zu begeistern, hat der Verband für Dritt- und Viertklässler „Kunos coole Kunststoffkiste“ samt Märchen mit einer „Kunststoff-Fee“ in petto. Eines der Experimente zeigt, wie sich verschiedene Kunststofffolien in Berührung mit Wasser verhalten. An einer perlt es ab, eine andere löst sich auf. Zauberhaft! Es gibt aber auch weit subtilere Wege, das gewünschte Produkt schon früh in den Alltag der Menschen zu integrieren. So stellt der Verband der Chemischen Industrie (VCI) in Kooperation mit dem Schulbuchverlag Cornelsen ganze Chemiebücher für fortgeschrittenere Klassen her.Im „Restaurant Il Punto“ gehen Politik und Lobby auf TuchfühlungEin paar Meter weiter residiert eine der ältesten Interessenvertretungen des Landes, der 1871 gegründete Deutsche Brauer-Bund. Bei dessen exklusiven Partys für Parteivertreter fließt nicht nur jede Menge Bier, die ausgewählten und einflussreichen Gäste können auch einen Ehrentitel verliehen bekommen. „Botschafter des Bieres“ war 2024 CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann, seine Nachfolgerin ist die Ministerpräsidentin des Saarlandes, Anke Rehlinger (SPD). Der Grüne Cem Özdemir war 2014 Bier-Botschafter, Winfried Kretschmann 2017 – ihm will Özdemir 2026 als Ministerpräsident Baden-Württembergs nachfolgen. Dafür lud der Ex-Bundesernährungsminister potenzielle Wähler zuletzt etwa zum (Frei-) „Bier mit Cem“. An günstigen Preisen, der niedrig angesetzten Altersgrenze und dem liberalen Umgang mit Bier lässt sich die erfolgreiche Lobbyarbeit der Branche gut erkennen.Für alle Unternehmerinnen unter Ihnen, die immer schon einmal einen Sozialdemokraten mieten wollten, um Ihre Interessen in der Politik unterzubringen, könnte das von außen doch recht unscheinbare Restaurant Il Punto interessant sein. Hier lässt es sich zu gehobenen Preisen bei hochwertiger italienischer Küche in exklusiver Gesellschaft speisen. Wie schon in den 2010er Jahren, in denen der sogenannte „Rent a Sozi“-Skandal für Furore sorgte, nachdem ein investigatives Team des ZDF den SPD-Politiker Heiko Maas hier beim Abendessen mit einem Unternehmer gefilmt hatte. Zwischen 2.000 und 4.000 Euro musste man damals für ein Essen mit Maas oder Parteifreundin Andrea Nahles hinblättern. Das Restaurant war nach der Wende samt Regierung von Bonn nach Berlin gezogen und schon immer ein Ort, an dem Politik und Lobby auf Tuchfühlung gehen konnten.Auch am Brandenburger Tor verbirgt sich ein Ort, an dem Politik und Wirtschaft auf ganz eigene Weise zusammenfinden. Versteckt auf der Südseite des Hotels Adlon befindet sich ein exklusiver Society-Club, dessen Zugang streng über Mitgliedschaften reguliert ist. Deutsche Mitglieder zahlen einmalig 15.000 Euro, ausländische hingegen nur 10.000 Euro, denn diese sind in dem internationalen Club gern gesehen. Doch selbst wenn Sie das nötige Geld tatsächlich zur Hand hätten, würde das keineswegs bedeuten, dass man Ihnen auch Zutritt gewährt. Erst einmal würde eine Jury bestimmen, ob bei Ihnen eine ausreichende gesellschaftliche Relevanz besteht.Diskretion ist im China-Club eines der höchsten GeboteHier über den Dächern Berlins hat laut Table Media 2023 ein erstes Gespräch über eine Kooperation zwischen dem IT-Unternehmer und Nius-Finanzier Frank Gotthardt und der CDU-Spitze um die damalige Schatzmeisterin Julia Klöckner und Parteichef Merz stattgefunden, über eine „CDU App GmbH“, zu der es dann nicht kam.Vor einer Fahrstuhltür ist ein roter Teppich mit Logo des China-Clubs ausgerollt und über einer goldenen Klingel erfasst eine Kamera, wer ganz nach oben will. Diskretion ist im China-Club eines der höchsten Gebote. Hat man es doch geschafft, erwartet einen die feinste chinesische Küche, die jener Koch zubereitet, der im wahrsten Sinne des Wortes eine Lizenz zum Töten besitzt. Denn lebendiger Fisch darf, anders als im China-Club, in Deutschland eigentlich nicht in Restaurants verarbeitet werden. Neben dem exklusiven Restaurant gibt es eine Bibliothek, ein Spa und edelste private Räumlichkeiten.Hier endet unsere Reise nun. Da, wo Politik und Wirtschaft sich unseres Blickes entziehen, um mal die Füße hochzulegen oder eben Dinge zu besprechen, die uns am Ende dann doch alle betreffen.