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Letzter Feinschliff: Der Künstler „Mr. Gum“ hat Berta Pöschko aus Pulling ihren Wunsch von der Graffiti-Wand erfüllt. © Lehmann
Sprayereien an Hauswänden sind nur was für die Jugend? Von wegen, findet Berta Pöschko aus Pulling. Ihre Einfahrt ziert nun ein großes Graffiti – dem die 85-Jährige einen besonderen Spitznamen verdankt.
Pulling – Berta Pöschko aus Pulling sitzt gern an dem runden Tisch in ihrem Wintergarten. Morgens liest die 85-Jährige dort das Tagblatt, nachmittags löst sie Rätselhefte. Zwischendurch fällt ihr Blick durch die bodentiefen Fenster immer wieder auf die Mauer, die die Einfahrt zu ihrem Haus vom Nachbargrundstück trennt – und die ihr schon seit Jahren nicht gefällt. Mit Hilfe eines Münchner Graffitikünstlers ist dort nun ein Kunstwerk entstanden, das der Nachbarschaft einen Hingucker und Berta Pöschko einen außergewöhnlichen Spitznamen beschert hat.
Weiße Wand war ihr zu langweilig
Weil die zwölf Meter lange Wand ohnehin in die Jahre gekommen und von Rissen durchzogen war, machte sich Sohn Alfred vor einiger Zeit daran, die Schäden auszubessern, das Mauerwerk zu verputzen und der Fassade einen frischen Anstrich zu verleihen. Nach getaner Arbeit freuten sich neben Alfred auch Pöschkos fünf Töchter, der Mutter eine neue blütenweiße Mauer zu präsentieren. Doch sie hatten die Rechnung ohne das Familienoberhaupt gemacht. Berta Pöschko hatte sich nämlich etwas ganz anderes in den Kopf gesetzt. „Mir war die weiße Wand zu trist und zu langweilig. Schon seit Jahren wollte ich ein Graffiti“, sagt die Seniorin, die im September ihren 86. Geburtstag feiert.
Kunstwerk, das an Urlaub erinnert
Pöschkos Kinder waren irritiert, doch sie ließ sich nicht beirren und beharrte auf ihrem Wunsch, vom Wintergarten aus künftig auf eine bunte, mit Leben gefüllte Wand blicken zu wollen. Also machte sich die Familie auf die Suche nach einem Graffiti-Künstler. Fündig wurde sie in der Landeshauptstadt. Der Lebensgefährte von Christine, Berta Pöschkos jüngste Tochter, hat einen Bekannten, der sich als „Mr. Gum“ in der Münchner Graffitiszene seit Jahren einen Namen gemacht hat – und der sich auch bereit erklärte, die Wünsche der Pullinger Seniorin zu erfüllen. In mehreren Sitzungen entstand an Pöschkos weißer Mauer ein Landschaftspanorama mit sattgrünen Wiesen, leuchtenden Blumen, Wald und einem eisblauen See vor einer Bergkulisse. „Wir waren früher viel in den Bergen. Wenn ich das Graffiti sehe, denke ich gerne daran zurück – und fühle mich ein bisschen wie im Urlaub“, sagt Berta Pöschko.
Model-Miezi: Auch Katze „Minka“ wurde auf der Wand verewigt – genauso wie Berta Pöschko selbst und ihr verstorbener Mann Josef (rechts im Bild). © LehamnnBesonderer Mensch in Farbe verewigt
Am linken Rand, direkt am Anfang der Einfahrt, werden Besucher künftig von einer überlebensgroßen Katze begrüßt, deren lebendiges Vorbild „Minka“ durch Pöschkos Haus und Garten spaziert. Sie zog ein, als ihr Mann Josef im Jahr 2020 starb. „Natürlich musste sie auch auf die Wand“, sagt die Seniorin und lächelt. Gleiches gilt für ihren Gatten: Auf dem Kunstwerk sitzt sie mit ihm gemeinsam auf einer Bank und genießt das Bergpa㈠norama. „Es ist schön, unseren Papa dort verewigt zu sehen“, sagt Tochter Christine.
Liebevoller Spitzname für Seniorin
Wie ihre Geschwister ist die 53-Jährige glücklich darüber, ihrer Mama den lange gehegten Graffiti-Wunsch trotz anfänglicher Skepsis erfüllt zu haben. „Sie ist mega stolz darauf und freut sich riesig darüber.“ Inzwischen habe die Seniorin sogar einen Spitznamen weg: „Graffiti-Berta“ werde sie liebevoll genannt. In der Nachbarschaft sei die bunte Wand der letzte Schrei: „Die Nachbarin von gegenüber hat schon nach der Telefonnummer des Künstlers gefragt.“ Doch auch Tochter Christine selbst ist inzwischen sehr froh darüber, dass sich ihre Mutter durchgesetzt hat: „Wenn man zur Mama kommt und als Erstes auf die bunte Wand schaut, hat man gleich ein Grinsen im Gesicht.“
Dabei braucht es eigentlich kein Graffiti, um die Familie bei Berta Pöschko zu versammeln. „Sie ist der Fixpunkt, zu dem alle gerne kommen“, sagt Christine. Und alle sind viele: Neben den sechs Kindern samt Partnern gehören neun Enkel und sechs Urenkel zur Familie, dazu zahlreiche Nichten und Neffen, die nicht nur an Geburts- und Feiertagen gerne kommen. „Alle helfen auch mit, wenn was ist“, sagt Christine. Berta Pöschko ergänzt: „Ich bin sehr stolz auf unseren Familienzusammenhalt.“
Familienurlaub am Gardasee
Damit sie mit allen Kontakt halten kann, haben sie ihr vor zwei Jahren ein Tablet eingerichtet, das die 85-Jährige fleißig nutzt. Oft ist sie aber gar nicht direkt erreichbar, denn Berta Pöschko ist viel unterwegs. „Wir witzeln immer, dass wir wie in der Behörde eine Nummer ziehen müssen, um einen Termin bei unserer Mama zu kriegen“, sagt Tochter Christine.
Mit ihrem Elektrodreirad fährt Berta Pöschko beinahe täglich nach Freising zum Einkaufen, sie verpasst fast keinen Seniorennachmittag und macht mit ihrer Freundin Hilde regelmäßig Ausflüge – mit Busgruppen oder auch mit der Bahn, bei der die Pullingerin früher angestellt war. „Erst kürzlich waren wir am Bodensee“, erzählt sie. Diesen Sommer stand mit der Familie auch ein großer Urlaub auf dem Plan, das Ziel: ein Campingplatz am Gardasee. „Da ist schon was los, denn wir sind an die 30 Leute“, erzählt Berta Pöschko und macht keinen Hehl daraus, wie sehr sie sich darauf freut.
Fragt man Berta Pöschko nach dem Geheimnis, auch mit fast 86 noch so beschwingt und unternehmungslustig zu sein, wird sie nachdenklich. Dann sagt sie: „Da gibt‘s keinen Trick. Ich glaube, da habe ich einfach viel Glück.“ Sie selbst, Tochter Christine und die anderen Familienmitglieder hoffen, dass das noch lange so bleibt. Letztlich sei sie jeden Morgen froh, aufstehen zu können. „Dann geht‘s dahi“, sagt die „Graffiti-Berta“, und ihre wachen blauen Augen blicken leuchtend auf die bunte Mauer in ihrer Einfahrt.