Im Buch schreiben Sie zum Beispiel, dass es immer noch eine unsichtbare Mauer gibt, wie niedrigere Löhne und Renten im Osten. Und Sie schreiben von mangelnder Anerkennung von Ostdeutschen und westdeutscher Hegemonie. Stimmen Sie da nicht ein in den Chor der „Jammer-Ossis“, über den man immer schimpft?
Ich denke, dass noch nicht jeder diese Zusammenhänge kennt. Ich habe in den letzten Jahren immer mal wieder Beiträge zum Osten gemacht und zum Thema dieser systematischen Unterschiede zwischen Ost und West. In der Kommentarspalte lese ich immer wieder: „Hallo, ich bin XY aus dem Westen. Ich habe noch nie davon gehört.“ Und auch auf der Medienmesse Re:publica fiel mir auf, dass das Thema noch nicht in den führenden Köpfen der deutschen Medienlandschaft angekommen ist.
Mir war die Tiefe dieses Unbewusstseins nicht bewusst und deswegen glaube ich, dass es wichtig ist, dieses Faktuale mit in diese Geschichte einzuweben.
Ich möchte helfen zu verstehen, was im Osten Phase ist.
Alexander Prinz, Autor
Dieses Buch ist genau für Jammer-Ossis geschrieben, denn dieses Buch führt zu einem anderen Ziel. Es geht mir in dem Buch nicht darum zu sagen, das ist alles schlecht am Osten, sondern es geht mir darum zu sagen, das Ost-West-Thema ist eigentlich eine mediale Nebelkerze.
Wir müssten uns eigentlich fragen, was passiert mit Räumen, die eine geringere Krisen-Resilienz haben, was ist mit Oben-Unten, was ist mit der Land-Stadt-Disparität? Denn was wir hier beobachten in vielen ländlichen Räumen, beobachten wir auch in vielen ländlichen Räumen im Westen: in den USA, in Nordfrankreich, in Nordengland.
Das ist im Grunde ein Symptom, dass man in deindustrialisierten Räumen sieht. Und wir tun immer so, als ob der Osten exotisch und etwas Besonderes und Problematisches wäre, sowohl im Osten als auch im Westen. Und dabei vergessen wir, die eigentlichen Diskurse zu führen und die Probleme zu bekämpfen, die dem zugrunde liegen.
Der Osten ist nichts Exotisches.
Alexander Prinz, Autor
Damit bringen Sie diese von Ihnen angesprochene Nebelkerze ja erst recht zum Leuchten, oder?
Auf Youtube würde man das Clickbait nennen. Ich habe versucht, so ein Experiment zu starten, ob man als Buch wie auf Youtube die Menschen mit einem Wort, einer These in die Erzählung hineinziehen kann, um sie dann an ihren Vorurteilen entlang zu der Conclusio zu leiten. Das Wort Oststolz ist gewollt so ein emotionalisierendes Wort.
Ich möchte, dass diese verhärteten Fronten aufeinandertreffen und im Laufe des Buches dann – und das habe ich schon gespiegelt bekommen – jemand aus dem Saarland sagt, was soll denn das für ein Ostbuch sein? Ich habe das ganz genauso erlebt.
Dann ist es möglich zu erkennen, wo die Gemeinsamkeiten liegen und dass es eben nichts Exotisches, etwas weit Entferntes hinter einer unsichtbaren Mauer verstecktes ist. Dass wenn wir hier Probleme lösen können, wir auch dieselben Probleme in anderen Teilen des Landes lösen können und sollten.
Es geht im Buch auch um Identitäten und die Suche nach einer Gruppenzugehörigkeit. Jetzt beschwören Sie ja so eine Art ostdeutsches „Wir“ mit dem, was Sie schreiben. Das bedeutet natürlich, wenn ich mich zu dieser Gruppe zugehörig fühle, das sagen sozialpsychologische Forschungen, heißt das auch, meine Gruppe aufzuwerten und andere Gruppen abzuwerten. Das ist ja aber nicht das, was Sie erreichen wollen, oder?
Ich glaube, dass wir für eine Zukunft in Ostdeutschland eine persönliche Aufwertung des Ostdeutschen brauchen. Wir brauchen einen Impuls, hierbleiben zu können und weiter daran zu arbeiten, unsere Heimat zu verbessern.
Dieser Impuls, der war in den älteren Generationen sehr stark. Ende der 90er-Jahre zum Beispiel auch in meiner Familie. Mein Vater hat sich zusammen mit meiner Mutter dagegen entschieden, den Osten zu verlassen und hat beschlossen, wir bauen jetzt hier was auf. Und es war damals ja schon klar, das wird mit weniger Einkommen zusammenhängen, das wird sehr viel schwieriger werden.
Aber man wollte sich aus emotionalen Gründen um seine Heimat kümmern. Und wir brauchen diesen Impuls als Grundlage für alles, was meine Generation jetzt hier aufbauen kann oder soll in Zukunft.
Das funktioniert nur, wenn man sagt, es ist gar nicht so scheiße hier, wie man uns in den Headlines großer westdeutscher Medienhäuser gerne unterstellt.