Britische Gesundheitsexperten warnen vor einem möglichen Anstieg der Masern-Fälle in London, wenn die Schule in der ersten Septemberwoche wieder beginnt. Der Grund ist die gefährlich tiefe Impfquote in der britischen Hauptstadt: Laut den neusten Zahlen sind nur knapp 81 Prozent der 2-jährigen Londonerinnen und Londoner gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR) immunisiert, wie die UK Health Security Agency am Donnerstag meldete. Das sind ein Prozent weniger als letztes Jahr – und deutlich weniger als die 95 Prozent, die es laut Weltgesundheitsorganisation braucht, um Herdenimmunität zu erreichen. In manchen Stadtbezirken sind bloß 65 Prozent der Kinder geimpft.
„Ein Rückgang von einem Prozent klingt nach wenig, aber wenn wir uns den gesamten Rückgang [der Impfquote] seit 2013 anschauen, ist es sehr bedeutsam“, sagte Ben Kasstan-Dabush, Gesundheitsexperte an der London School of Hygiene and Tropical Medicine, gegenüber der „Financial Times“. Auch der Rest Englands hinkt bei den MMR-Impfungen hinterher: Insgesamt sind nur knapp 89 Prozent der Menschen geimpft.
Schlechte Masern-Impfquote kann Kindern gefährlich werden
Wenig überraschend hat die schwindende Immunisierung dramatische Folgen: Masern-Erkrankungen haben in Großbritannien den vergangenen Jahren stark zugenommen. Im Jahr 2024 meldeten die Gesundheitsbehörden allein in England fast 3000 Fälle – die höchste Zahl seit 2012. In diesem Jahr haben die Gesundheitsbehörden bislang 742 Masern-Erkrankungen registriert, die Hälfte davon in London. Ein Brennpunkt ist mit fast 100 Fällen der östliche Stadtbezirk Hackney, wo auch die MMR-Impfquote am tiefsten ist. „Wenn die Schule nächste Woche wieder beginnt, dann könnten die Fälle wieder zunehmen“, sagte Kasstan-Dabush.
Masern ist eine hochansteckende Infektionskrankheit mit typischen Symptomen wie Fieber, Schnupfen, Husten und einem charakteristischen Hautausschlag am ganzen Körper. In den meisten Fällen verläuft die Infektion harmlos, sie kann aber auch zu gefährlichen Hirnhaut- und Lungenentzündungen führen. In seltenen Fällen verläuft die Krankheit tödlich – im Juli starb ein Kind in Liverpool an den Folgen einer Masern-Infektion. Besonders Babys und Kleinkinder sind gefährdet.
Masernimpfung in England: Vulnerable Gruppen fallen durchs Raster
Dass sich in London so wenige Leute impfen lassen, hat verschiedene Gründe. Entscheidend sind laut Experten die Reformen und Sparmaßnahmen im staatlichen Gesundheitsdienst NHS, die vor rund fünfzehn Jahren eingeführt wurden. Sie hätten zu einer Fragmentierung der Immunisierungsdienste geführt, dadurch seien viele Leute durchs Raster gefallen, schrieb das Fachjournal British Medical Journal Ende August. Zudem sind massenhaft Kinderzentren geschlossen worden, in denen Eltern früher über die Bedeutung von Impfungen aufgeklärt wurden.
Auf Erkältungssymptome folgt der charakteristische Hautausschlag: Masern sind hochansteckend.
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Auch gebe es viel weniger Gesundheitsfachleute, die gezielt mit benachteiligten und vulnerablen Bevölkerungsgruppen Kontakt aufnehmen und ihnen die Immunisierung ihrer Kinder nahelegen. Besonders tief ist die Impfquote unter bestimmten Bevölkerungsgruppen, vornehmlich jene afro-karibischer Herkunft; das sei weniger auf Impfskepsis zurückzuführen, sagen Experten, sondern eine Folge von sozio-ökonomischen Verhältnissen oder Sprachbarrieren.
In London kommt noch ein Faktor hinzu: Die hohen Mieten in der Hauptstadt zwingen viele Leute, immer wieder umzuziehen, „und das macht es schwieriger, beim selben Hausarzt registriert zu bleiben und an die erforderlichen Impfungen erinnert zu werden“, sagte Bea Taylor vom Gesundheits-Thinktank Nuffield Trust, gegenüber dem „Independent“. Eine Rolle spielt auch „Anti-Vax“-Desinformation, wie sie etwa der US-Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr. verbreitet; allerdings ist dies laut Fachleuten in Großbritannien ein weniger entscheidender Grund für die Impf-Flaute.
Kitas in England ergreifen Schutzmaßnahmen
Angesichts der steigenden Fälle in diesem Jahr haben manche Kindertagesstätten bereits Maßnahmen ergriffen: Sie haben Gesundheitsprotokolle wie zur Zeit der Corona-Pandemie eingeführt – sie trennen etwa die Kinder in unterschiedliche Altersgruppen, um die Ansteckungsgefahr zu mindern, und reinigen die Räumlichkeiten häufiger.
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England ist indes nicht das einzige Land, in dem sich Masern schnell ausbreiten: Anfang Juni meldete die Weltgesundheitsorganisation (WHO), dass im Jahr 2024 in Europa über 127‘000 Masern-Fälle gemeldet wurden – doppelt so viele wie im Jahr zuvor, und die höchste Zahl seit 1997.