Es war merkwürdig. Irgendwas stimmte nicht. Der Mann konnte unmöglich Miroslav Klose sein. Er stand zwar auf der Laufbahn des Max-Morlock-Stadions, dort also, wo sonst immer Miroslav Klose steht, wenn der 1. FC Nürnberg seine Heimspiele austrägt – doch der Mann, der dieses Mal Kloses Platz an der Seitenlinie eingenommen hatte, gab ein vollkommen anderes Bild ab als Klose. Er rannte von links nach rechts und von rechts nach links, er schrie und fuchtelte herum – und vor allem sprang er in die Luft, ohne dabei einen Salto zu schlagen.
Nein, der Mann war nicht Miroslav Klose. Eher erinnerte er an einen Urlaubsanimateur, einen Parkeinweiser oder an einen Polizisten, der mitten auf einer Kreuzung steht und den Verkehr regelt. Aber Klose? Gewiss nicht. Den würde man sich an der Seitenlinie ja eher noch im Schneidersitz mit gefalteten Händen vorstellen – aber doch nicht so.
Als der Mann später im Medienraum erschien und sich aus nächster Nähe zu erkennen gab, konnte man seinen eigenen Augen kaum trauen: Er sah Miroslav Klose nicht nur zum Verwechseln ähnlich, er wurde auch noch als Miroslav Klose vorgestellt. Und als er dann ein paar Sätze zu dem Spiel sagte, das gerade hinter ihm lag, wurde klar: Es ist tatsächlich Miroslav Klose. Zwar ein anderer als der, den Nürnberg bislang kannte – aber er ist es.
In den vergangenen Wochen habe er höchstens „zwei Hummeln im Hintern“ gehabt, nun, beim 0:0 gegen den SC Paderborn, seien es „zwanzig“ gewesen, sagte Klose nach dem Spiel und verriet, dass sein Auftritt an der Seitenlinie ganz bewusst einer Strategie gefolgt war: Er, Klose, wollte mit jeder Faser deutlich machen: Ich kämpfe. Ich kämpfe für den Sieg, für den Club und für meinen Arbeitsplatz.
„Am liebsten wäre ich selbst rein“, verrät Klose später, „aber das ging nicht.“
Die neue Saison ist zwar gerade einmal einen Monat alt, doch nach drei Niederlagen in den ersten drei Punktspielen und dem blamablen Pokal-Aus bei Viertligist Illertissen standen Klose und seine Mannschaft schon im fünften Pflichtspiel gehörig unter Druck. Der Club musste liefern – und so entschied sich der Trainer Miroslav Klose, es dem früheren Spieler Miroslav Klose gleichzutun: Er ging in die Offensive. Er griff an.
„Am liebsten wäre ich selbst rein“, verriet Klose später, „aber das ging nicht.“ Die Seitenlinie habe ihn gehindert, sagte Nürnbergs Coach. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als sein Möglichstes am Spielfeldrand zu tun. „Ich wollte es vorleben, damit die Jungs den einen oder anderen Sprint mehr machen, auch wenn sie das Gefühl haben, sie sind kaputt“, erklärte Klose. Und weil sich die Spieler tatsächlich ein Beispiel an ihm nahmen, gelang es dem Club am Freitagabend, die Fans mit ihrem hingebungsvollen Auftritt mitzunehmen. Eine Leistung, die zumindest für den Moment ebenso wichtig war wie der erste Punkt der Saison.
„Die Energie, die wir über die vollen 90 Minuten auf den Platz gebracht haben, war der Unterschied zu den letzten Wochen“, analysierte Torhüter Jan Reichert. Gerade Mohamed Ali Zoma, aus der dritten italienischen Liga verpflichtet, zeigte derart gute Ansätze, dass auch Paderborns Trainer Ralf Kettemann die Dynamik der Club-Offensive „schon beeindruckend“ nannte.
Zwar mangelte es der Mannschaft in den entscheidenden Momenten noch an Klarheit, Präzision und der Schneidersitz-Ruhe, die ihr Trainer sonst verkörpert – doch mit dem Schwung, der ein ums andere Mal Einzug ins Nürnberger Spiel hielt, erinnerte der FCN erstmals an die Frühphase der vergangenen Saison. Auch vor einem Jahr offenbarte der Club in den ersten Wochen etliche Mängel, weckte aber auch die Fantasie, mit seiner Mannschaft erfolgreich sein zu können, wenn Klose bloß ein paar Schrauben nachzieht. Das tat er – und im Herbst spielte sein Team auf einmal ziemlich aufregend, anstatt die Fans nur aufzuregen.
Aber jetzt, zwölf Monate später, provozierte der Club im Grunde bloß Fragen. Wie lange würde es dieses Mal wohl dauern, bis die Mannschaft in Gang kommt? Würde Klose die Schrauben wieder finden? Und wäre es überhaupt schon damit getan, sie nachzuziehen – oder müsste nicht besser der ganze Motor ausgetauscht werden, damit es wieder rund läuft?
Es waren drängende und grundlegende Fragen, die sich stellten, und sie sind auch nach diesem 0:0 gegen Paderborn längst noch nicht ausgeräumt. Zweifel sind nach wie vor angebracht, doch die 90 Minuten ließen erstmals auch mutmachende Ansätze erkennen – zumindest in der Offensive.
Rund 48 Stunden vor dem Spiel hatte Nürnberg Finn Ole Becker aus Hoffenheim verpflichtet und wenig später Caspar Jander nach Southampton ziehen lassen. Damit verlor der Club nach Jens Castrop, Stefanos Tzimas und einigen anderen zwar auch noch jenen Spieler, der das Herzstück der neuen Mannschaft hätte sein können – aber Becker ließ gegen Paderborn schon aus dem Stegreif erahnen, wie sehr er dem Team weiterhelfen kann.
Später sagte Klose: „Wir fangen mehr oder weniger erst jetzt richtig an.“ Die Saison läuft zwar bereits seit vier Wochen, aber wenn der Club zumindest jetzt am Spielbetrieb teilnimmt, ist das schon mal ein Anfang. Am Sonntag gab er dann noch die Rückkehr von Tim Drexler bekannt. Der Verteidiger kommt ein zweites Mal auf Leihbasis aus Hoffenheim. Jetzt muss sich die Mannschaft nur noch regelmäßig ein Beispiel an dem Mann nehmen, der am Freitag daherkam wie ein Urlaubsanimateur, ein Parkeinweiser oder ein Verkehrspolizist. Sein Name offenbar: Miroslav Klose.