Der lustige Titel ist Programm: „Edgar verschwindet um halb pink.“ Das hört sich ein wenig skurril an, doch das klärt sich nach einigen Seiten. Denn der Titelheld Edgar, ein alter Franzose, lebt nach einer Farbuhr.
Jedes Jahr kommt er zu einer deutschen Familie, zum „Edgarfest“ in den Sommerferien. Darüber freut sich Wilma, die Tochter des Hauses, am allermeisten. Es gibt dann komische Abenteuer mit dem französischen Urlauber zu erleben, der kein „H“ aussprechen kann, dafür aber beim jüngsten Besuch einen Korken auf seiner Nase balanciert.
Edgar hat ein ganz besonderes Geschenk im Kofferraum seines Wagens für Wilma mitgebracht: ein Flugobjekt in Gestalt eines Kranichs, das von dem Mädchen gleich ausprobiert wird. Ihre Eltern mögen manches gar nicht so gern, was die beiden anstellen, und staunen über den „Umdrehtag“, wo alles andersrum gesagt wird als es ist. Gestern heißt morgen und rot ist grün…
Ungewöhnliche Geschichte einer Freundschaft
Erzählt wird diese ungewöhnliche Geschichte einer Freundschaft über Generationen zwischen der achtjährigen Wilma und dem 80-jährigen Edgar von Wilmas Schutzkuckuck. Ja, Sie haben richtig gelesen. Der Kuckuck mit Namen Bo ist der gute Geist und Beschützer, der immer eingreift, wenn es kritisch wird. Er ist also ziemlich wichtig in Wilmas Leben, denn die Kleine ist ein wenig schusselig.
Cover des ersten Kinderbuchs von Björn Kern. Foto: Jürgen Scharf
Der Sommergast ist ein spleeniger Typ, zwar pflegeleicht und hilfsbereit, aber überhaupt nicht alltäglich, voller Flausen, fantastischer Einfälle und verrückter Ideen im Kopf, so dass es nie langweilig wird. Edgar braucht keine Witze, um witzig zu sein.
Die Eltern sind gestresst zwischen Beruf, Haushalt und Alltag. Eine ganz normale Familie, in der jeder seine Eigenheiten hat: Mutter Inge beobachtet Vögel, Papa Ole ist auch Vogelkundler und rettet die Vögel in den Flussauen. Inge ist fürs Reden zuständig, Ole fürs Schweigen, Wilma fürs Lachen und Edgar für Überraschungen.
Originelle Episoden sorgen für Abwechslung
Das Debüt von Björn Kern als Kinderbuchautor sorgt beim Lesen durch die originellen Episoden für Abwechslung und eignet sich mit seiner Sommerlaune bestens für die Sommerferien, zumal die Handlung in dieser besonderen Zeit spielt.
Der aus Schopfheim stammende Autor, der schon lange im Oderbruch in Brandenburg lebt, hat kreative Ideen und Abenteuer für junge Leseratten parat. Zu seinem Erstling im Jugendliteratur-Genre hat ihn seine eigene Tochter inspiriert, der das Buch gewidmet ist.
Allerdings seien Wilma und seine Tochter zwei völlig verschiedene Charaktere. Aber immerhin verbinde beide, dass sie ländlich und frei aufwachsen. Für Edgar gebe es ein Vorbild, einen alten Freund der Familie, der aus Frankreich zu Besuch kam und den Autor als Kind beeindruckte, weil er irgendwie anders war, verspielter, lockerer als die anderen Erwachsenen.
Beim Schreiben weniger an eigenen Kindheit gedacht
Björn Kern hat beim Schreiben wohl weniger an seine eigene Kindheit gedacht als an das Sommerferiengefühl, das alle Kinder kennen. Das fängt er stimmungsvoll ein, wenn draußen zum Dessert Grashalme gegrillt werden, Wilma mit ihrer Freundin an den Baggersee geht, mit dem Kranichmodell den Deich hinabsegelt oder mit Edgar auf dem Trampolin in den Sternenhimmel guckt.
Familien-, Freundschafts- und Feriengeschichten vermischen sich in diesem neuen Edgar-Roman, in dem der Titelheld plötzlich wie vom Erdboden verschluckt ist.
Zuvor hat sich Björn Kern mit Erwachsenenromanen und Sachbüchern über existentielle Erfahrungen in der Natur und Blicken in Gesellschaftsmilieus in der Schriftstellerszene etabliert. Für sein literarisches Werk erhielt er viele Auszeichnungen, darunter den Brüder-Grimm-Preis. 1978 in Lörrach geboren und in Schopfheim aufgewachsen, landete er vor fast 25 Jahren mit seinem Erstling „KiPPpunkt“ ein beachtliches Debüt. Die Kritiken überschlugen sich 2001: „Ein ungemein intensives Buch, packend, ehrlich, schockierend, unter die Haus gehend“.
Autor wurde es in Berlin zu eng
Seither ist der Schriftsteller, der zehn Jahre in Berlin gelebt hat, dem es aber in der Hauptstadt zu eng wurde und der dann in eine abgelegene Gegend auf einen Hof im Oderbruch gezogen ist, erfolgreich.
Sein Ratgeber „Das Beste, was wir tun können, ist nichts“ über Entschleunigung und den Ausstieg aus dem Konsumwahn ist zum Bestseller geworden und erlebt inzwischen die achte Auflage. „Die Erlöser AG“, eine Zukunftsvision über das heikle Thema Sterbehilfe, wurde sogar fürs Fernsehen verfilmt. Auch im Bereich „Nature Writing“, in dem es um konkrete und subjektive Naturbeschreibung geht, ist Björn Kern mit seinem Buch „Im Freien – Abenteuer vor der Tür“ hervorgetreten. Für seinen jüngsten Roman „Solikante Solo“, eine Beziehungsgeschichte, in der er ein Gesellschaftsbild zwischen Metropole und Provinz entwirft, bekam er ein Literaturstipendium des Landes Brandenburg. Und in „Wo die wilden Väter wohnen“ hat Kern als „Landvater“ schon einmal eine Stadtfamilie auf dem Land humorvoll beschrieben.
Lesungen in der Heimat
Öfter kam der 47-jährige Schopfheimer zu Lesungen in seine Heimat zurück, einmal ins Theodor-Heuss-Gymnasium, wo er sein Abitur gemacht hat, in die Stadtbibliothek, aber auch in die Kapelle in Ried.
Die flüssig und geistreich zu lesende Junior-Geschichte über Freundschaft und Selbstvertrauen ist Kerns zehntes Buch. Das Schreiben für ein anderes Zielpublikum, junge Leser ab acht Jahren, hat ihm offensichtlich so viel Spaß gemacht, dass es sicher nicht sein erstes und letztes Kinderbuch bleibt.
Björn Kern „Edgar verschwindet um halb pink“, mit Illustrationen von Franziska Ludwig, Tulipan Verlag, 142 Seiten, 15 Euro.