Herzlich willkommen im Labor Berlin! Hier kann die große Bundespolitik hautnah betrachten, was die Landespolitik falsch oder richtig macht und daraus kluge Schlüsse ziehen. Wie günstig also, dass Berlin Hauptstadt ist und nicht eine unaufgeregte Kleinstadt, die wenig Anschauungsmaterial für wirklich wilde Experimente bietet.
Das allerwildeste Berliner Experiment war auch das längste, denn es dauerte 20 Jahre und bestand in der Nichtverbeamtung der Lehrkräfte. Das passt gut in die schwelende Bundesdebatte über eine Reduzierung der Beamtenstellen: Denn ebenso wie aktuell CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann und Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) erhoffte sich einst die rote-rote Berliner Landesregierung eine Entlastung des Haushalts durch eine Verringerung der Pensionslasten.
20
Jahre lang hat Berlin seine Lehrkräfte nicht verbeamtet.
Nun kann es sicher nicht schaden, die Beamtenpositionen in den Bundesministerien abzuschmelzen, was Linnemann vorrangig verkündet. Aber unterhalb der Bundesebene wird es schnell schwierig.
CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann
© dpa/Michael Kappeler
Denn Linnemann hat nicht ausschließlich die Bundesministerien im Sinn, sondern empfiehlt generell „nur noch dort zu verbeamten, wo es ein besonderes Treueverhältnis zum Staat gibt“, also etwa bei Polizei und Feuerwehr, wie er der Funke-Mediengruppe sagte.
Ausgerechnet der Bereich mit den meisten Staatsdienern, nämlich die Schulen, fehlte in seiner Aufzählung. Ohne Frage belastet ihr Personal die Pensionskassen am meisten. Dieses Dauerproblem ist auch in der Bundespolitik bekannt. Also wird nach Auswegen gesucht.
Berlins Schulen sind ausgeblutet
Womit man wieder im „Labor Berlin“ wäre. Denn hier wurde alles durchprobiert, um die Lehrerschaft auch ohne Verbeamtung zu halten: Die Gehälter für angestellten Berufsanfänger schossen mit rund 5700 Euro durch die Decke. Aber es half nichts: Die Berliner Schulen bluteten trotz der hohen Gehälter aus. Denn unterm Strich sind Zuschläge auf Angestelltengehälter Schall und Rauch im Vergleich zu den hohen Pensionszahlungen, auf die Beamte sich freuen können.
Die Fehleinschätzung des damals Regierenden SPD-Bürgermeisters Klaus Wowereit, dass Berlin zwar arm sei, aber „sexy“ genug, um die Junglehrer zu halten, brachte die Schulen der Hauptstadt ins Verderben. Und zwar ausgerechnet in den Brennpunkten, wo das Unterrichten am schwierigsten ist und die Lehrkräfte deshalb lieber wegbleiben. Seit Jahren schon dümpelt der Anteil der gelernten Lehrer an den Neueinstellungen berlinweit bei rund 20 Prozent. Die gut ausgebildeten Berliner Lehrkräfte wanderten zwischen 2003 und 2023 massenhaft ab.
Alle Verbeamtungs-Gegner mussten klein beigeben
Nun lässt sich natürlich einwenden, dass die Abwanderung nicht passierte, wenn kein Bundesland mehr verbeamten würde. Dies aber ist überhaupt nicht in Sicht, da das Schulwesen laut Grundgesetz Ländersache ist und sich erfahrungsgemäß immer genügend Länder gegen die Abkehr von der Verbeamtung aussprechen, um den Wettbewerb um die Fachkräfte für sich zu entscheiden.
Susanne Vieth-Entus schreibt als Berlin-Redakteurin für den Tagesspiegel. Ihre Schwerpunktthemen sind Schule und Bildungsfragen.
Man merke: Berlin und auch alle anderen langjährigen Verbeamtungs-Gegner mussten klein beigeben, weil sie im Konkurrenzkampf um die Lehrkräfte unterlagen: Sie kehrten zum Beamtenstatus zurück, da ihre jeweils nächste Landtagswahl wegen des Lehrkräftemangels verloren zu gehen drohte.
Das Beamtentum ist außerdem ein Bollwerk gegen Extremismus, weil alle Beamtinnen und Beamten einen Eid auf das Grundgesetz leisten und ihm verpflichtet sind.
Volker Geyer, Vorsitzender des Bundesbeamtenbundes
Berlin konnte das länger als alle anderen ignorieren, weil die hiesige rot-rote Wählerschaft den Lehrermangel nicht schlimm genug fand, um ihre Wahlentscheidung daran zu knüpfen. Nun hat Berlin das Resultat in Gestalt personell ausgehungerter Schulen und miserabler Schülerleistungen und muss sich zudem vor Streiks fürchten, solange noch genügend angestellte Lehrkräfte übrig sind. Mal ganz abgesehen davon, dass Beamte auf das Grundgesetz schwören müssen und daher eher als „Bollwerk gegen Extremismus“ taugen, wie es auch der Beamtenbund erwartet.
Was aber lehrt der Berliner Großversuch jenseits der Schulen? Er lehrt zum einen, dass der Dreiklang von hohen Beamtenpensionen, unbefristeter Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und privater Krankenversicherung durch nichts zu toppen ist. Er lehrt aber auch, dass für die öffentlichen Kassen nichts teurer ist, als das System umzustellen, denn in der Folge muss man sowohl in die Pensionskassen als auch in die Rentenkassen einzahlen, also beide Systeme füttern.
Debatte über Verbeamtung „Bollwerk gegen Extremismus“ Beamtenbund kritisiert CDU-Pläne für weniger Staatsdiener Kompliziert, langwierig, hochstrittig So könnte es klappen, Beamte in die gesetzliche Rente zu holen Berlins Bewerber zum neuen Schuljahr Nur ein Bruchteil der neu eingestellten Lehrer ist voll ausgebildet
Doch zurück zu den Bundesministerien, die der CDU-Generalsekretär beim Reduzieren von Beamtenstellen zuvörderst im Sinn hat: Berlins Senatsverwaltungen würden sich sicher über Neuzugänge freuen. Sie haben sich vom Einstellungsstopp der Sparjahre noch immer nicht erholt. Willkommen im Labor Berlin.