Wenn sich bei Jim Jarmusch so etwas wie ein Alterswerk entwickelt hat, dann zeigt es sich darin, dass die mittlerweile 72-jährige Independent-Ikone („Down By Law“, „Dead Man“) größere Ambitionen und den unbedingten Drang zur Coolness immer mehr abgestreift hat. Auch seinen Drehrhythmus hat er dem entschleunigten Modus seiner Filme angepasst: Sechs Jahre ist es bereits her, dass der Regisseur in „The Dead Don’t Die“ favorisierte Schauspieler*innen wie Bill Murray, Tilda Swinton und den seit „Paterson“ (2016) augenscheinlich unverzichtbar gewordenen Adam Driver einer Zombie-Invasion aussetzte – nicht zuletzt wegen der sich nur schwer mit seiner lakonischen Gangart vertragenden Nähe zur Genre-Parodie und zum satirischen Zeitgeist-Kommentar mit durchwachsenem Ergebnis.

Mit „Father Mother Sister Brother“ folgt Jarmusch nun einem noch weit schlichteren Konzept – und fast scheint es so, als habe sich der Autorenfilmer zwischenzeitlich Inspiration von einem anderen Regisseur geholt: dem hierzulande noch immer übersehenen Hong-Sang soo („Right Now, Wrong Then“), der nur deshalb so unglaublich produktiv sein kann, weil er für seine Filme kaum mehr braucht als sein Stamm-Ensemble, Tisch und Stühle sowie einen Vorrat an Reiswein. Die meisterliche Observierung sozialer Awkwardness, vor allem aber die von Wiederholungen bestimmte episodische Struktur von „Father Mother Sister Brother“ erinnern unweigerlich an das unverwechselbare Dialogkino des Südkoreaners.

Die Schwestern Timothea (Cate Blanchett) und Lilith (Vicky Krieps) haben sich nicht viel zu sagen – ebenso wenig wie ihrer Mutter (Charlotte Rampling).

Weltkino Filmverleih

Die Schwestern Timothea (Cate Blanchett) und Lilith (Vicky Krieps) haben sich nicht viel zu sagen – ebenso wenig wie ihrer Mutter (Charlotte Rampling).

In drei Kapiteln – „Vater“, „Mutter“ sowie „Schwester Bruder“ – entwirft Jarmusch kammerspielartige Variationen über innerfamiliäre Beziehungen und (Nicht-)Dynamiken. Das erste Segment stellt Jeff (Adam Driver) und Emily (Mayim Bialik) in den Mittelpunkt, die erstmals nach zwei Jahren ihren abgeschieden in den USA lebenden, entfremdeten Vater (Tom Waits) besuchen. Auch die grundverschiedenen Schwestern Timothea (Cate Blanchett) und Lilith (Vicky Krieps) sehen ihre Mutter (Charlotte Rampling) nur einmal im Jahr, obwohl sie alle in Dublin leben. Und dann sind da noch die Geschwister Skye (Indya Moore) und Billy (Luke Sabbat), die gerade ihre Eltern verloren haben und nun gemeinsam in der verlassenen Pariser Familienwohnung ihrer Vergangenheit nachspüren.

Während Jeff und Emily über gottverlassene, verschneite Landstraßen fahren, stimmt Dusty Springfields „Spooky“ auf der Tonspur auf den trotz zahlreicher zwischenmenschlicher Bruchstellen tiefenentspannten Groove ein, aus dem „Father Mother Sister Brother“ nicht mehr ausscheren wird. Vor allem für Emily scheint der Besuch eher eine unwillkommene Pflichtveranstaltung zu sein, während Jeff ihren offenbar regelmäßig an der Mittellosigkeit kratzenden Vater – beide wissen nicht, womit er überhaupt sein Geld verdient – über die Jahre immerhin dann und wann finanziell unterstützt hat. In seinem erwartungsgemäß unaufgeräumten Wohnzimmer angekommen, gerät das Gespräch ins Stocken, bevor es überhaupt wirklich begonnen hat – schon dann, wenn die von Tom Waits unnachahmlich brummig verkörperte, zugleich schelmisch-zerstreute Vaterfigur ihre Kinder mit denkbar unbeholfenen Komplimenten begrüßt.

Familie kann man sich nicht aussuchen

Nach etwa fünf Minuten gehen die Themen endgültig aus. Schnell landet man beim Bücherregal (Wilhelm Reich, Noam Chomsky), dem von Jeff mitgebrachten, unter anderem eine Nudelsoße mit Käse beinhaltenden Präsentkorb oder der (vermeintlichen) Fake-Rolex am Handgelenk des Vaters. Es wird mit Wasser auf die verstorbene Mutter angestoßen („Kann man wirklich mit Wasser anstoßen?“ – „Eure Mutter hat Wasser geliebt“), und Jeff scheitert daran, ein reparaturbedürftiges Rohr als Vorwand für einen kurzzeitigen Fluchtversuch zu nutzen. Bereits dieser erste Abschnitt enthält einige der lustigsten Momente in Jarmuschs gesamtem Schaffen, die trockenen Wortwechsel sorgen ebenso verlässlich für Pointen wie die zahlreichen Momente unangenehmer Stille, für deren Überwindung allen Anwesenden gleichermaßen der Werkzeugkasten fehlt.

Miteinander sprechen können braucht Übung, miteinander schweigen können setzt Vertrauen voraus. Doch was, wenn es an beidem mangelt? „Familie kann man sich nicht aussuchen“, sagt Jeff einmal im Auto und trifft damit einen Kern des Films – das familiäre Band ist längst kein Garant für Nähe oder dafür, dass man sich überhaupt kennt. So gilt es in den ersten beiden Episoden schlicht, einen Umgang mit dem Gegebenen zu finden. Auch die Visite von Timothea und Lilith bei ihrer von Charlotte Rampling mit charakteristisch kontrollierter Strenge gespielten Mutter hält eine Vielzahl von kommunikativen Fallstricken bereit, die nicht zuletzt aus der Unfähigkeit resultieren, einander offen und ehrlich zu begegnen. Bereits vor ihrer Ankunft degradiert Lilith ihre Freundin zur Uber-Fahrerin, um ihrer Mutter vorzugaukeln, dass sie ihr Leben im Griff habe.

Sänger Tom Waits gehört schon seit den 1980er-Jahren zur Stammbesetzung von Jim Jarmusch.

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Sänger Tom Waits gehört schon seit den 1980er-Jahren zur Stammbesetzung von Jim Jarmusch.

Jarmusch verrät hier mit dem penibel angerichteten, immer wieder in der Draufsicht gefilmten Kaffeetisch mehr über die Beziehung seiner Figuren, als es so manch anderem Film mit verbalen Mitteln gelingt. Wer „Father Mother Sister Brother“ zu diesem Zeitpunkt eine gewisse Theaterhaftigkeit vorwerfen möchte, dem kontert der „Ghost Dog“-Macher mit einer so nur im Kino möglichen Szene, in der sich ein ungeschickt platzierter und zudem viel zu großer Blumenstrauß vor die Gesichter der Figuren schiebt. Hier wird neben der Kaffeekanne und allerlei Süßgebäck auch mal die eine oder andere harsche Spitze über die Tischplatte gereicht, doch Boshaftigkeit geht Jarmuschs Beobachtungen ansonsten gänzlich ab. „Father Mother Sister Brother“ blickt mit viel Sympathie auf die ungelenken bis hilflosen Interaktionen, wodurch sie etwas Rührendes erhalten.

Mit der dritten Episode ändert der Film dann noch mal seinen Tonfall, schließlich sind Skye und ihr Zwillingsbruder Billy einander tatsächlich extrem nah – auch so was soll es geben. Selbst ihre Bewegungen sind teilweise simultan. Wenn die Geschwister nach dem Unfalltod ihrer Eltern ein letztes Mal ihre bereits ausgeräumte Kindheitswohnung in Paris besuchen, in alten Fotos stöbern und Erinnerungen austauschen, übernehmen Wehmut und Zärtlichkeit den Film, und in der Chemie zwischen Indya Moore und Luka Sabbat spiegelt sich die tröstende Erkenntnis, dass man sich Familie nicht aussuchen können mag, man aber eben doch manchmal die Richtigen erwischt.

Wiederholung als Erzählprinzip

Die Universalität familiärer Erfahrung betont „Father Mother Sister Brother“ – und da schließt sich der Kreis zu Hong Sang-soo – durch sich in jeder Episode wiederholende Spleens, Sprichwörter und Geschehnisse. Irgendwer benutzt immer die Wortschöpfung „Nowheresville“, auch die britische Phrase „Bob’s your uncle“ (die so viel bedeutet wie „Und fertig“) spielt eine große Rolle. Jedes Mal taucht eine Gruppe von Skatern auf, und Wasser bleibt ein beständiger Konversationsfüller. Dass die erste Episode mit einer Pointe endet, Jarmusch sich das im folgenden Verlauf aber nicht als Regel auferlegt, spricht für ein ansonsten zwangloses Verhältnis zu seinem Material. Nichts daran ist spektakulär – der Regisseur selbst spricht sogar von einem „Anti-Actionfilm“. Manches ist banal, manches klug, wobei sich das in Wahrheit gar nicht ausschließt. In jedem Fall ist Jarmusch nach „The Dead Don’t Die“ wieder ganz bei sich.

Fazit: In seinem jüngsten Film widmet sich die lebende Independent-Kino-Legende Jim Jarmusch familiären Beziehungen – und erinnert dabei nicht nur mitunter an den südkoreanischen Dialogfilm-Meister Hong Sang-soo. Wohl auch deshalb ist „Father Mother Sister Brother“ einer der lustigsten Filme seiner Karriere.

Wir haben „Father Mother Sister Brother“ beim Venedig Filmfestival 2025 gesehen, wo er als Teil des offiziellen Wettbewerbs seine Weltpremiere gefeiert hat.