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Wirtschaftsweise Veronika Grimm stellt die Mindestlohn-Erhöhung in Frage und will den Kündigungsschutz lockern. Gewerkschaften und Sozialverbande kontern.

Berlin – Drei Millionen Arbeitslose gibt es im August in Deutschland – so viel, wie seit zehn Jahren nicht mehr. Die Meldung selbst war keine Überraschung, Fachleute sind bereits vor der Pressekonferenz der Bundesagentur für Arbeit vom Anstieg ausgegangen. Doch seitdem sind zahlreiche Forderungen laut geworden, wie die deutsche Wirtschaft wieder in Gang kommen könnte – und Stellen für die drei Millionen Erwerbslosen schafft.

Ein Vorstoß von Veronika Grimm, Mitglied im Sachverständigenrat Wirtschaft, hat nun für Kritik gesorgt. „Allem voran gilt es, Regulierung abzubauen und die Marktkräfte zu stärken“, erklärte die sogenannte „Wirtschaftsweise“ den Zeitungen der Funke-Mediengruppe am Samstag, 30. August. „Die Arbeitslosigkeit sinkt natürlich, wenn es wirtschaftlich wieder bergauf geht.“

Wirtschaftsweise Grimm attackiert Kündigungsschutz und kritisiert Mindestlohn

Grimm forderte dabei auch Eingriffe ins Arbeitsrecht. „Dazu ist es auch wichtig, auch die Flexibilität der Arbeitsmärkte zu stärken, etwa über einen weniger strikten Kündigungsschutz, wie es zum Beispiel in Dänemark oder anderen europäischen Ländern gehandhabt wird“, erklärte die Ökonomin.

Veronika Grimm spricht bei der Pressekonferenz zum Jahresgutachten der Wirtschaftsweisen.Veronika Grimm plädiert für eine Lockerung des Kündigungsschutzes. (Archivfoto) © IPON/Imago

Auch die bereits vereinbarte Erhöhung des Mindestlohns, der in zwei Schritten von derzeit 12,82 Euro auf 14,60 Euro steigt, sei laut Grimm „keine gute Idee“. Sie fürchtet: „Wir werden in einen Bereich kommen, wo der Mindestlohn zu mehr Arbeitslosigkeit führt.“

Kündigungsschutz-Vorstoß von Grimm bekommt Gegenwind

Widerstand kommt von Gewerkschaften und Sozialverbänden. Michaela Engelmeier, Vorstandsvorsitzende des Sozialverbands Deutschland (SoVD), nannte drei Millionen Arbeitslose ein „deutliches Alarmsignal“. Sie stellte dabei aber klar: „Wer in dieser Lage den Kündigungsschutz infrage stellt und den Mindestlohn kritisiert, wie Frau Grimm es tut, trifft die völlig falschen Entscheidungen.“

„Wohin genau sollen Grimms Forderungen zum Kündigungsschutz führen? Es sind die Beschäftigten, die mit ihrer Arbeit das Land am Laufen halten“, sagte Anja Piel, Vorstandsmitglied im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), gegenüber IPPEN.MEDIA. „Und dafür soll es jetzt weniger Schutz geben?“

DGB-Vorständin Piel kritisiert Mindestlohn-Aussage als „widerlegtes Weltuntergangsmärchen“

„Auch Grimms Behauptung, der Mindestlohn vernichte Arbeitsplätze, ist ein lange schon widerlegtes Weltuntergangsmärchen“, sagte Piel. „Der Mindestlohn hat zu mehr sozialversicherungspflichtigen Jobs und weniger prekärer Beschäftigung geführt.“ In unsicheren Zeiten würden „gute Arbeit und soziale Sicherheit“ helfen. Dazu brauche es einen neuen „gesellschaftlichen Konsens für ein Wohlstandsversprechen für alle in der sozialen Marktwirtschaft“. Dabei wurde Piel der Wirtschaftsweisen gegenüber deutlich: „

Engpässe belasten Wirtschaft: In diesen 15 Berufen ist der Fachkräftemangel am größtenEin Koch steht an einer Arbeitspfläche in einer Küche und richtet seine Zutaten, darunter sind Tomaten.Fotostrecke ansehen

„Die Preise sind durch die Inflation der letzten Jahre nach wie vor hoch, viele Menschen wissen nicht, wie sie über den Monat kommen sollen“, erklärte Engelmeier. „Jetzt braucht es Sicherheit, faire Löhne und gezielte Unterstützung“, so die Sozialverbandschefin. „Besonders bei jungen Menschen müssen wir alles dafür tun, dass sie erfolgreich einen Schulabschluss machen und eine Ausbildung beginnen.“ Wer ohne Abschluss dastehe, habe kaum Perspektiven. „Bildung ist der Schlüssel zu echter Teilhabe am Arbeitsmarkt“, erkläre Engelmeier. „Was wir jetzt brauchen, ist Solidarität statt Druck, Förderung statt Angst vor Jobverlust.“

Bildung als Schlüssel zu weniger Arbeitslosigkeit

Bildung ist laut Fachleuten tatsächlich ein Schlüssel, wie Arbeitslosigkeit begegnet werden kann. In vielen Branchen werden Fachkräfte nach wie vor gesucht. Ein Großteil der Stellen richtetet sich dabei an Beschäftigte mit abgeschlossener Berufsausbildung. Doch gerade unter den derzeit Arbeitssuchenden fehlt vielen diese Qualifikation. „Die meisten Arbeitslosen streben eine Beschäftigung im Segment der Einfacharbeit an“, sagte Holger Schäfer vom Institut der deutschen Wirtschaft der Bild. „Die meisten Stellenangebote hingegen richten sich an Fachkräfte.“

„Nach erfolgreichen Arbeitsmarktreformen vor mehr als zwanzig Jahren funktioniert der Arbeitsmarkt in Deutschland nun zunehmend wieder schlechter“, hatte Deka-Chefvolkswirt Ulrich Kater angesichts dieser Entwicklung unlängst erklärt.