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Wäre lieber „nicht vom Jobcenter abhängig“: Tamara Bohatyrova (Mitte) lebt mit Sohn Oleksandr und Tochter Yelizaveta vom Bürgergeld. Ihr Teilzeitverdienst in einem Kasseler Restaurant reiche nicht bis zum Monatsende. © Foto: privat
In der Ukraine BWL studiert, in Kassel Aushilfsjob: Hier berichten Ukrainer, wie sie vom Bürgergeld leben und was das Fußfassen auf dem Arbeitsmarkt so schwierig macht.
Für den obersten Vertreter der Ukraine in Deutschland ist die Sache klar: Die Forderung, Ukrainern das Bürgergeld zu streichen, sei „nicht nachvollziehbar“, sagte der Botschafter Kiews in Berlin, Oleksii Makeiev. Seine Landsleute dürften nicht zum „Sündenbock“ gemacht werden, so der Diplomat.
Erstaunlich ist: Wer sich unter in Kassel lebenden Ukrainern zum Thema Bürgergeld umhört, begegnet diesem Argument nicht. Auch die Solidarität Deutschlands mit dem von Putin angegriffenen Land wird nicht genannt. Dafür jedoch Frust über fehlende Deutschkenntnisse und nicht anerkannte Berufsabschlüsse – sowie Dankbarkeit für die staatliche Unterstützung. Wieviele Ukraine in der Region vom Bürgergeld leben und wie die Lokalpolitik auf die Debatte schaut, lesen Sie hier.
Tamara Bohatyrova
In ihrer Heimatstadt Charkiw hat Tamara Bohatyrova Betriebswirtschaftslehre studiert und 15 Jahre als Kauffrau gearbeitet. Jetzt hilft sie in einem Kasseler Restaurant beim Frühstücks- und Abendservice aus. „Ich konnte nur diese Arbeit finden, weil ich nicht genug Deutschkenntnisse hatte“, sagt die 39-Jährige. Den Job macht sie seit zwei Jahren. Gern würde sie Vollzeit arbeiten und „nicht vom Jobcenter abhängig sein“. Eine Erkrankung und das fehlende Deutsch verhinderten dies. Sie lebt mit ihren beiden Kindern in Kassel, der Mann blieb in der Ukraine. Über das Bürgergeld sagt sie, es sei „nicht genug für das Leben mit zwei Teenagern“. Aber das Geld helfe ihr. „Und ich bin Deutschland sehr dankbar dafür.“
Hanna Miroshnichenko
Auf die Frage, was sie vom Bürgergeld halte, antwortet auch Hanna Oleksandrivna Miroshnichenko mit Dankbarkeit „für alles, was Deutschland uns gegeben hat: Fürsorge, Aufmerksamkeit, Unterkunft, Essen.“ Die 49-Jährige stammt aus Saporischschja im Südosten der Ukraine und lebt mit ihren zwei Kindern in Hofgeismar. Ihren Lebensunterhalt bestreitet sie ebenfalls mit dem Bürgergeld. Das größte Hindernis, eine reguläre Stelle anzunehmen, sei die Sprachbarriere, sagt Miroshnichenko. „Ukrainer sind gut ausgebildet und haben viele berufliche Erfahrungen.“
Andrii Katrych
Am Willen zum Arbeiten, sagt Andrii Katrych, habe es ihm nie gefehlt. Schon bevor er 2022 mit seiner Frau und vier Kindern nach Kassel kam, habe er im Zug Deutsch gelernt, das er mittlerweile fließend spricht. „Das Jobcenter wollte meine Ausbildung erst übersetzen und anerkennen lassen, wenn ich B2 bestanden habe“, sagt der 39-Jährige. Mittlerweile hat er die Prüfung, die fortgeschrittene Deutschkenntnisse bescheinigt, bestanden. Doch während der ganzen Zeit bis dahin habe er nur Minijobs machen können. „Eine richtige Stelle habe ich erst gefunden, als meine Diplome anerkannt waren.“ Im September, also drei Jahre nach seiner Ankunft in Deutschland, tritt er eine Vollzeitstelle an.
Andrii Katrich, 39, hat den deutsch-ukrainischen Verein in Kassel gegründet © Foto: Franz Viohl
In der Zwischenzeit hat Katrych den deutsch-ukrainischen Verein „Der Kreis – Kassel“ gegründet und steht mit seinen Mitstreitern auf dem Opernplatz, um Gebäck zu verkaufen oder Fotos aus seiner Heimat zu zeigen. In der Ukraine, wo zwei weitere erwachsene Kinder von ihm geblieben sind, habe er mit seiner insgesamt achtköpfigen Familie „keine staatliche Hilfe in Anspruch genommen“.
Alina Zakharchuk
Geht es nach Alina Zakharchuk, dann würde sie eine Arbeit machen, „der ich mich voll widmen kann und die mir Freude bereitet“. Seit ihrem 20. Lebensjahr hat sie verschiedene Berufe ausprobiert. Doch die 38-Jährige klingt wenig optimistisch: „Am Ende wird es eine einfache, schlecht bezahlte Arbeit sein, für die keine hohen Sprachkenntnisse oder besonderen Qualifikationen erforderlich sind.“
Manche Ukrainer würden liebe ohne Bürgergeld auskommen. Das Foto zeigt ein Jobcenter in Berlin. © Jürgen Ritter/Imago
Das Bürgergeld sieht die Mutter zweier Jungen als „vorübergehende Unterstützung, jedoch nicht als dauerhafte Lösung“. Es reiche „gerade so“, um das Nötigste zu bezahlen. „Wir kaufen einfache Lebensmittel, ich kann meine Kinder kleiden, aber für Urlaub oder Ersparnisse bleibt nichts übrig.“ Lieber hätte sie eine Stelle „mit obligatorischer Krankenversicherung“.
Zudem verweist sie auf die fehlende familiäre Unterstützung. Alle Verwandten seien noch in der Ukraine. Ihr ältester Sohn Denis (15) besuche in Kassel die Schule, spreche inzwischen gut Deutsch, vermisse aber seine Freunde, sei „viel Zeit allein in seinem Zimmer“. Wenn sie sich etwas wünschen könnte, dann wäre es ein Leben ohne Bürgergeld: „Jeder sollte die Möglichkeit haben, entsprechend seiner Fähigkeiten zu arbeiten, statt nur Lücken im staatlichen System zu füllen.“