In Sachsen haben die Beschäftigten im vergangenen Jahr mehr als 53 Millionen Überstunden geleistet. Experten warnen vor Überlastung. Die Bundesregierung will hingegen sogar noch mehr Extra-Stunden ermöglichen.
Chemnitz.
Viele Sachsen machen häufig Überstunden – und zwar zum Nulltarif. Von den rund 53,5 Millionen Stunden Mehrarbeit, die sie 2024 geleistet haben, war mehr als jede zweite unentgeltlich. Das geht aus dem „Arbeitszeit-Monitor“ hervor, den das Pestel-Institut im Auftrag der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) erstellt hat. Grundlage dafür waren Daten der Arbeitsagentur und aus dem Mikrozensus 2024, die hochgerechnet worden sind. Ungenauigkeiten von bis zu zehn Prozent sind daher laut Autoren möglich.
Lehrer und Erzieher machen die meisten Überstunden
Die meisten unbezahlten Überstunden leisten demnach Lehrer, Erzieher, Dozenten, wissenschaftliche und technische Dienstleister, Freiberufler und Beschäftigte in der Informations-, Kommunikations-, Versicherungs- und Finanzbranche ab. „Meist weil die Leute in ihrem Job ambitioniert sind“, erklärt Studienautor Matthias Günther. Hinzu kommt: Generell wird in vielen Arbeitsverträgen ein bestimmtes Mehrarbeitskontingent pauschal mit dem Gehalt abgegolten. Bei den bezahlten Überstunden rangieren indes Lkw- und Busfahrer sowie Lagerfachkräfte ganz vorn. Der Hauptgrund: Viele Terminaufträge, die sie trotz Staus einhalten müssen.
Studie: Bundesweite Überstunden entsprechen 750.000 Vollzeitstellen
Insgesamt hat sich laut Studie die Anzahl der Überstunden in Deutschland seit den 1990er-Jahren um fast 1,7 Milliarden verringert. Ursächlich dafür seien flexible Arbeitszeitmodelle, die viele Unternehmen eingeführt hätten, erklärt Günther. Dadurch werde Mehrarbeit nicht mehr automatisch als Überstunden verbucht. Das habe Vor- und Nachteile: Arbeitgeber sparen Zuschläge, Beschäftigte können im Gegenzug ihre Stunden ausgleichen und abbauen. Tatsächlich haben die Beschäftigten im vergangenen Jahr aber laut Studie immer noch 1,2 Milliarden Überstunden geschoben. Das entspricht rund 750.000 Vollzeitstellen.
Bundesregierung will Arbeitszeiten ausdehnen
Die Gewerkschaft NGG warnt. Die Anzahl der Überstunden könnte demnächst sogar wieder deutlich steigen. Die Bundesregierung plant, die Arbeitszeit neu zu regeln – um international wettbewerbsfähiger zu werden, wie sie sagt. Zuletzt forderte auch der sächsische Hotel- und Gaststättenverband Dehoga eine weitere Flexibilisierung und Ausweitung der möglichen täglichen Arbeitszeiten, um den Wünschen der Gäste überhaupt noch entsprechen zu können.
Gewerkschaft warnt vor Burnouts
Die Gewerkschaft NGG warnt hingegen: „Schwarz-Rot will eine wöchentliche Höchstarbeitszeit und den 8-Stunden-Tag abschaffen“, sagt Thomas Lißner von der NGG Dresden-Chemnitz. „Betriebe könnten von ihren Beschäftigten dann verlangen, auch zehn, elf oder in der Spitze sogar 12 Stunden und 15 Minuten pro Tag zu arbeiten.“ Der Gewerkschaft zufolge wären dann „73,5-Stunden-Wochen möglich. Die Gefahr von Arbeitsunfällen nähme dann rasant zu. „XXL-Arbeitstage bedeuten auf Dauer eine Belastung für den Körper und für die Psyche: von Herz-Kreislauf- und Stoffwechsel-Erkrankungen bis zum Burnout“, so Lißner. Aktuell beträgt die maximale Arbeitszeit 48 Stunden pro Woche. In der Spitze sind auch 60-Stunden-Wochen möglich. „Das sind schon jetzt Extrem-Arbeitswochen, selbst wenn so ‚Hammer-Wochen‘ innerhalb eines Vierteljahres ausgeglichen werden müssen“, sagt Lißner. (juerg)