Der Fall der Kirchenmusikerin Mizuki Ikeya fand im Herbst letzten Jahres über Stuttgart hinaus Aufmerksamkeit. Der Japanerin drohte nach neun Jahren in Deutschland die Abschiebung – unter anderem ausgelöst durch die Kündigung ihrer Stelle als Organistin in der Kirchengemeinde Stuttgart-Neckar. Anderthalb Jahre danach stellt sich Mizuki Ikeya die Frage: Wären ihr all die Sorgen, die Verunsicherung und die Existenzangst erspart geblieben, hätte ihre Arbeitgeberin, die Kirchengemeinde, sich kundig gemacht und der Kirchenmusikerin nicht vorschnell gekündigt? Wolfgang Armbruster, ehemaliger Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Sigmaringen und bundesweit anerkannter Ausländer- und Aufenthaltsrechtsexperte sagt: „Man hätte jemanden zurate ziehen müssen, um nachzufragen, ob man die Musikerin weiterbeschäftigen darf“. Die Antwort wäre klar gewesen: Ja.

Umstrittene Fiktionsbescheinigung

Eine Bekannte Ikeyas tat schließlich, was deren Arbeitgeber nicht getan hat. Sie bekam im Februar 2024 von der zuständigen Sachbearbeiterin bei der Ausländerbehörde Stuttgart auf telefonische Nachfrage mündlich mitgeteilt, die junge Japanerin dürfe mit ihrer damals gültigen – immer wieder verlängerten – Fiktionsbescheinigung weiter arbeiten. Dass dort noch immer steht, dass die Bescheinigung auf Basis des Studiums erteilt sei, ist im Aufenthaltsgesetz bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die Ausländerbehörde endgültig entschieden hat, Usus in der Praxis, bestätigt Wolfgang Armbruster. Ein Wissen, über das offenbar nicht alle verfügen.

Denn die Begründung für die abrupte Trennung von Mizuki Ikeya nach fünf Jahren Zusammenarbeit lautete damals: die Fiktionsbescheinigung, also die Aufenthaltserlaubnis auf Basis ihres Studiums der Kirchenmusik, sei nicht mehr gültig, da Mizuki Ikeya keine Studentin mehr sei. Einen Abschluss hatte sie jedoch nicht machen können, weil das Abschlusskonzert wegen der Corona-Beschränkungen ausgefallen war und sie dann selbst erkrankte. Sie war ohne ihr Zutun exmatrikuliert worden, wie sie immer wieder erklärte.

War der ganze Ärger unnötig?

Inzwischen bestätigt das Regierungspräsidium Stuttgart auf Anfrage, dass es der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für die lungenkranke Japanerin aus humanitären Gründen zugestimmt habe. Das muss nun über die Ausländerbehörde Stuttgart noch umgesetzt werden. Die Frage Mizuki Ikeyas ist also durchaus berechtigt: War aller Ärger unnötig?

Im August 2025 sitzt die zierliche Japanerin auf den steinernen Stufen der Kirche St. Ottilia. Wohlgemerkt: vor der Kirche und nicht an der Orgel dort. In den Gottesdiensten darf sie seit ihrer fristlosen Kündigung im März 2024 nicht mehr spielen. Das tut sie in anderen Kirchengemeinden in Stuttgart unentgeltlich auf Anfrage. Und manchmal gibt sie auch ein Konzert. Als sie neulich spielte, saßen sogar drei ihrer behandelnden Ärzte im Publikum.

Auf Lob folgte die Kündigung

Die 35-jährige Japanerin hat eine anstrengende Zeit hinter sich. Ihre Lunge arbeitet nicht wie bei anderen Menschen – eine Spätfolge davon, dass sie als Frühchen zur Welt kam. Sie ist auf zusätzlichen Sauerstoff angewiesen. Einen Abschiebeflug hätte sie nicht überlebt. Es gab Phasen in den vergangenen Monaten, da ging es der Kirchenmusikerin so schlecht, dass sie innerlich mit ihrem Leben schon abgeschlossen hatte, erzählt sie. Immer wieder war sie im Krankenhaus. Aber immer wieder hat sie sich wieder berappelt. Wie schon in der Vergangenheit, als sie sich auf eigene Verantwortung selbst entlassen hatte, um gegen ärztlichen Rat pünktlich am Sonntagmorgen in St. Ottilia die Orgel im Gottesdienst zu spielen. All das galt im März vergangenen Jahres jedoch nichts mehr.

Der Ton des Kündigungsschreibens war überraschend barsch gegenüber einer jungen Frau, die damals noch Mitglied des Kirchengemeinderats war und lange Jugendgottesdienste organisiert hatte, also aktiver Teil der Kirchengemeinde war. Ohne einen Zwischenton des Bedauerns stand dort: „Uns ist zur Kenntnis gekommen, dass sie nicht mehr als Studentin an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart eingeschrieben sind. … Sie dürfen aus diesem Grund nicht mehr für uns tätig sein.“ Der unausgesprochene, aber massive Vorwurf: Die junge Frau habe diese Tatsache bewusst verschwiegen. Fristlos, das bedeutete auch, dass die Musikerin von einen Tag auf den anderen kein Geld mehr bekam.

Im Zwischenzeugnis ein halbes Jahr zuvor hatte der unterzeichnende Pfarrer noch geschrieben, Ikeyas Gottesdienstgestaltung sei lebendige Glaubensverkündung. Von der außerordentlichen Dankbarkeit „für ihr musikalisches Engagement, ihre Begeisterung und Freude und Liebenswürdigkeit“ war ebenfalls die Rede. Diese Verbundenheit schien vergessen. Die Musikerin wurde mit der Aufforderung, den Kirchenschlüssel sofort zurückzugeben, förmlich abgewickelt. Es gab keinen irgendwie gestalteten Abschied von der Gemeinde.

Für Mizuki Ikeya ist damals eine Welt zusammengebrochen. Die Kirche war für die gläubige Katholikin in ihrem Gastland Deutschland immer eine Instanz gewesen, in die sie Vertrauen hatte. Auch in deren Vertreter. Und nun sah sie sich dem massiven Vorwurf ausgesetzt, vorsätzlich ihre Exmatrikulation verschwiegen zu haben. „Zum ersten Mal habe ich mit meinem Glauben gehadert“, sagt sie. Mit dem Wissen des ihr geschehenen Unrechts sagt sie: „Ich warte nur auf ein Wort, öffentlich vor der Gemeinde geäußert.“ Was geschehen ist, empfindet sie als Rufschädigung. Sie warte nur auf ein schlichtes aber deutliches „Es tut mir leid.“ Ausgesprochen vom Pfarrer ihrer Gemeinde, der sie gekündigt hat.

Der erklärt auf Anfrage: „Wir hatten als Arbeitgeber gar keine andere Möglichkeit. Wir dürfen niemanden beschäftigen, der keine Arbeitserlaubnis nachweisen kann.“ Natürlich wünsche sich die Gemeinde und wünsche auch er sich, dass Mizuki Ikeya ohne Sorge in Deutschland leben und arbeiten kann. Er habe in den letzten Monaten keinen Kontakt zu ihr gehabt.

Gemeinde erschüttert

Brigitte Jeglitzka, langjährige Kirchengemeinderätin und Mizuki Ikeyas „deutsche Mama“, ist bis heute „enttäuscht und sehr traurig“ über die Ereignisse. „Und nicht nur ich“. Das Geschehen erschütterte noch immer die Gemeinde. Denn eins gab das andere für Mizuki Ikeya. Ohne Arbeit keinen Aufenthaltstitel, so die Konsequenzen. Die Ausländerbehörde Stuttgart drohte nach der Kündigung mit der Abschiebung nach Japan. Begründung der Stadt: Die junge Frau habe keine Festanstellung. Dass sie für ihren Lebensunterhalt durch Online-Nachhilfe und Musik- und Klavierunterricht zum Teil in Japan als Freiberuflerin aufkommen konnte, wollte das Amt nicht gelten lassen – entgegen der Rechtsauslegung von Ausländerrechtsexperten. Die Unterlagen darüber hatte Ikeya zu diesem Zeitpunkt schon mehrmals postalisch an die Ausländerbehörde geschickt – ohne Einfluss auf die Haltung der Behörde.

Kirche: Kündigung war rechtens

Ikeya kämpfte gleich an mehreren Fronten. Von einer Bewerbung auf eine vakante 50-Prozent-Stelle als Kirchenmusikerin riet man ihr bei der Kirchenverwaltung ab. Mit Verweis auf ihr vermeintliches Arbeitsverbot. Auf die Nachfrage aus dem Freundeskreis Mizuki Ikeyas bei Stadtdekan Christian Hermes blieb die Personalstelle bei ihrer Rechtsauffassung. Danach habe wegen fehlender staatlicher Arbeitserlaubnis ein gesetzliches Beschäftigungsverbot bestanden. Auf Anfrage dieser Zeitung gibt die Personalstelle mit Verweis auf datenrechtliche Vorgaben bei Personalsachen keine Auskunft zur Grundlage der damaligen Kündigung.