Über Jahre hat ein Assistenzarzt an einer Bielefelder Klinik Dutzende Patientinnen betäubt und vergewaltigt. Gegen drei leitende Mitarbeiter aus dem Umfeld des Arztes wurde nun Anklage erhoben.
Seit mehreren Jahren laufen Ermittlungen wegen einer Vergewaltigungsserie am Evangelischen Klinikum Bethel in Bielefeld. Wegen tateinheitlicher fahrlässiger Körperverletzung durch Unterlassen wurde jetzt gegen einen Chefarzt, einen zur Tatzeit angestellten Oberarzt und einen Pflegedienstleiter der Klinik Anklage erhoben. Den Angeschuldigten wird vorgeworfen, deutliche Hinweise darauf gehabt zu haben, dass der Assistenzarzt ohne medizinische Indikation regelmäßig sedierende Medikamente verabreichte.
Die Staatsanwaltschaft Duisburg stützt ihre Anklage unter anderem auf den Vorwurf, die Angeschuldigten hätten das auffällige Verhalten des Assistenzarztes erkennen, zusammentragen und entsprechend bewerten müssen. Darüber hinaus wird dem Chefarzt und Pflegedienstleiter vorgeworfen, ihnen bekannte Vorkommnisse gar nicht oder nicht vollständig an die Geschäftsführung gemeldet zu haben. Auch der Oberarzt habe wesentliche Informationen nicht an seinen Vorgesetzten weitergeleitet.
Vergewaltigungsserie im Krankenhaus
Zwischen 2018 und 2020 betäubte der Assistenzarzt Philipp G. insgesamt 34 Patientinnen ohne medizinische Indikation mit dem Narkosemittel Propofol. Anschließend vergewaltigte er die Frauen, zum Teil mehrfach. Nach seiner Festnahme im Herbst 2020 beging er Suizid. In seiner Wohnung hatte die Polizei Festplatten mit Videos seiner Taten gefunden, außerdem eine Liste mit 80 Namen von Frauen.
Die Staatsanwaltschaft Duisburg wertete folgend rund 15 Terabyte Material aus, vernahm über 100 Zeugen und holte zwei Sachverständigengutachten ein. Das ARD-Magazin Kontraste berichtete mehrfach zu diesem Fall.
25 Patientinnen vergewaltigte Philipp G. bereits zwischen 2018 bis Ende 2019. Seit Herbst 2019 sollen sich dann die Hinweise von Betroffenen und Mitarbeitenden im Krankenhaus an die Angeklagten gemehrt haben, so die Staatsanwaltschaft. Entsprechend hätten sie spätestens zu diesem Zeitpunkt reagieren können und müssen, beispielsweise durch verstärkte Kontrollen, um den Assistenzarzt aufzuhalten. Neun weitere Frauen, die Philipp G. dann zwischen Herbst 2019 bis 2020 missbrauchte, hätten so möglicherweise durch den Chefarzt, Oberarzt und Pflegedienstleiter geschützt werden können.
Teilerfolg für die Opfer
Doch auch wenn es bei der Anklage nur um neun von 34 Frauen geht, bleibt sie ein Teilerfolg für die Missbrauchsopfer, erklärt Anwältin Stefanie Höke dem rbb. Sie vertritt 12 der insgesamt 34 Patientinnen, die im Krankenhaus vergewaltigt wurden.
„Die Frauen, von denen einige direkt mit dem Chefarzt gesprochen und ihn auf das nächtliche Zugangslegen des Assistenzarztes Philipp G. hingewiesen haben, fühlen sich endlich ernst genommen und insbesondere von der Justiz gesehen“, so Höke. „Meine Mandantinnen müssen diese Information auch erst einmal verarbeiten.“
Frauen fühlten sich nicht ernst genommen
Über die Eröffnung des Hauptverfahrens wird nun das Landgericht entscheiden. Nahezu alle ihre Mandantinnen wollen in diesem Verfahren angehört werden, erklärt Anwältin Stefanie Höke, „damit sie aussagen können, was Ihnen in dem Klinikum von dem Assistenzarzt angetan wurde und wie wenig sie von dem Chefarzt und Oberarzt ernst genommen wurden beziehungsweise sie teilweise behandelt wurden, als ob sie sich alles nur eingebildet hätten.“
Dass die drei Angeschuldigten Kenntnis von den sexuellen Übergriffen durch den Assistenzarzt hatten, ließ sich nicht nachweisen.
Ursprünglich lag der Fall bei der Staatsanwaltschaft Bielefeld. Diese stellte das Verfahren nach dem Suizid des Assistenzartes ein. Danach übertrug das Justizministerium NRW den Fall an die Staatsanwaltschaft Duisburg, die dann die Ermittlungen wieder aufgenommen hat.