Pünktlich zum Start des neuen Ausbildungsjahres, das am 1. September beginnt, hat die Industrie- und Handelskammer (IHK) Berlin am Montag eine repräsentative Umfrage zur Ausbildungssituation in der Hauptstadt vorgestellt – und die von Arbeitssenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) geplante Ausbildungsplatzumlage erneut scharf kritisiert.

Neben guten Beliebtheitswerten für die Berliner Unternehmen stellte IHK-Hauptgeschäftsführerin Manja Schreiner den hohen Wert nicht besetzter Ausbildungsplätze als zentrales Ergebnis der Umfrage heraus. „Das Matching“, also die Vermittlung eines Bewerbers auf einen offenen Ausbildungsplatz, sei „das größte Problem auf dem Arbeitsmarkt“, sagte sie. 39 Prozent der Ausbildungsplätze in Berlin sind aktuell unbesetzt. In der Regel – bei knapp zwei Drittel der befragten Unternehmen – liegt das laut der IHK-Umfrage daran, dass keine geeigneten Bewerbungen vorlagen.

Berliner Unternehmer berichtet aus der Praxis: Zehn Ausbildungsplätze unbesetzt

Einer, der dieses Problem aus der Praxis kennt, ist Dieter Nießen, Prokurist beim Tiefbauunternehmen Frisch und Faust. In seinem Unternehmen mit 150 Mitarbeitenden sind aktuell zehn Ausbildungsplätze frei – trotz zahlreicher Bemühungen, sie zu besetzen.

Dieter Nießen und Manja Schreiner

Dieter Nießen, Berliner Unternehmer, berichtet aus der Praxis: In seinem Unternehmen sind aktuell zehn Ausbildungsplatzplätze unbesetzt.
© IHK // Oliver Lang | IHK // Oliver Lang

Auch die Arbeitsagentur habe in dieser Situation wiederholt nicht helfen können, kritisierte er. Zuletzt etwa Anfang August, als auf seine Initiative hin 47 Menschen durch die Agentur angeschrieben worden seien. „Bei uns angekommen ist daraus keine einzige Bewerbung“, berichtete Nießen. Wegen Erfahrungen wie dieser habe sein Unternehmen jahrelang keine offenen Stellen an die Agentur gemeldet. Er kenne zahlreiche Unternehmen, die das ähnlich gehandhabt haben, sagte er.

Streit um geplante Ausbildungsplatzumlage in Berlin

Seit einem halben Jahr meldet Nießen die Stellen nun aber wieder – damit sie in die Statistik der Arbeitsagentur eingehen. Denn die Statistik ist die Grundlage für die Pläne zur Einführung einer Arbeitsplatzumlage, wie IHK-Chefin Schreiner hinzufügte. Die Idee der Umlage aus der Verwaltung von Senatorin Kiziltepe ist: Alle Unternehmen zahlen in einen gemeinsamen Topf ein, die Gelder daraus bekommen aber nur diejenigen Unternehmen, die tatsächlich auch ausbilden. Ihnen sollen dadurch die Ausbildungsvergütungen erstattet werden. Gerade für kleinere und mittlere Unternehmen soll so ein Anreiz geschaffen werden, nicht aus finanziellen Gründen auf die Berufsausbildung zu verzichten. Unternehmer weisen die Pläne als unnötige Strafzahlung zurück und kritisieren insbesondere die zusätzliche Bürokratie, die mit der Umlage einhergehen solle.

Cansel Kiziltepe / SPD

Will eine Ausbildungsplatzumlage in Berlin einführen: Arbeitssenatorin Cansel Kiziltepe (SPD).
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Eingeführt werden soll die Umlage bis zum Sommer 2026, wenn die 2000 zusätzlichen Ausbildungsplätze, die CDU und SPD als Zielmarke bis 2025 ausgegeben haben, nicht geschaffen werden. Auf Morgenpost-Nachfrage sagte eine Sprecherin der IHK, dass zum jetzigen Zeitpunkt keine seriöse Tendenz angegeben werden könne, ob diese Marke erreicht werden könne. Es gebe zwar „positive Tendenzen“, genaue Zahlen könnten aber erst Ende des Jahres genannt werden. Hintergrund sei, dass in einigen Berufen rund 40 Prozent der Verträge erfahrungsgemäß erst in der jetzt beginnenden sogenannten Nachvermittlungsphase geschlossen werden. Andere Verträge müssten erst noch registriert und geprüft werden. Ein Zwischenstand wäre deshalb nicht valide.

Ausbildungsplatzumlage: komplexe Datenlage und erklärungsbedürftige Statistik

Sicher ist hingegen: Laut einer aktuellen Statistik der Arbeitsagentur sind in Berlin zum einen 4548 Ausbildungsplätze unbesetzt, zum anderen sind 7800 Jugendliche als suchend gemeldet. Der Statistik nach gibt es also weniger freie Ausbildungsplätze als Jugendliche, die einen Platz suchen. Es ist dieses Missverhältnis, auf das Befürworter einer Ausbildungsplatzumlage verweisen.

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So sicher wie diese Zahlen daherkommen, sind sie dann aber doch wieder nicht: IHK-Chefin Schreiner meldet jedenfalls Zweifel an. Denn zum einen würden – so wie Nießen – über 40 Prozent der Ausbildungsbetriebe ihre freien Plätze nicht oder nur unregelmäßig bei der Agentur für Arbeit melden. Statt der 4500 dort gemeldeten freien Stellen, geht Schreiner aktuell von rund 7000 möglichen Angeboten in Berlin aus. Und auch die Zahl der Suchenden sei zweifelhaft. Fast die Hälfte derjenigen, die in der Agentur-Statistik genannt werden, seien Alt-Bewerber, die möglicherweise gar nicht mehr auf der Suche seien, sagte Schreiner. Die Senatsverwaltung für Arbeit weist hingegen darauf hin, dass nicht alle, die tatsächlich suchen, bei der Arbeitsagentur gemeldet seien. Sowohl Angebot als auch Nachfrage würden also nicht vollständig erfasst – und sich somit die Waage halten.

Berlin: Unternehmer beklagen Mängel an Ausbildungsfähigkeit

Schreiner blieb dennoch bei ihrer Ablehnung: „Wir sind im dritten Jahr der Rezession, viele Unternehmen stehen mit dem Rücken zur Wand“, mahnte sie. Die Diskussion um die Umlage kommt nach Ansicht der Wirtschaftsvertreter zur Unzeit. Auch Nießen lehnte sie ab. Denn auch ohne die Umlage hätten die Unternehmen „ein ureigenes Interesse“ an der Ausbildung zukünftiger Fachkräfte, meinte er.

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Das Problem sehen die Unternehmer vielmehr aufseiten der Bewerber: 85 Prozent der befragten Unternehmen stellen Mängel in der Ausbildungsreife der Auszubildenden fest, rund die Hälfte der befragten Unternehmen etwa im Ausdrucksvermögen und bei mathematischen Fähigkeiten. Auch Nießen kann das bestätigen: „Beim Einstellungstest stellen wir gerne die Frage, wieviel zwölf mal zwölf ist“, erzählte er. „Mittlerweile bekommen wir noch nicht einmal mehr akzeptable Näherungswerte.“