Ex-Landwirtschaftsminister Özdemir möchte die Landtagswahl in Baden-Württemberg gewinnen. Doch die bislang regierenden Grünen stecken im Umfragetief. Im Ländle schwächelt die Wirtschaft.
Auf Knopfdruck sprühen Funken rund um ein grelles Licht. Hitze schweißt zusammen, was zusammen gehört. Cem Özdemir schaut genau hin, was ihm die Auszubildenden bei Audi in Neckarsulm zeigen. Gut drei Wochen üben die jungen Menschen im Ausbildungszentrum, wie sie Schweißpunkte präzise setzen.
Özdemir lässt es sich zum Auftakt seiner Sommertour durch Baden-Württemberg nicht nehmen, es selbst auszuprobieren. Immerhin passt es zum Auftreten und Anspruch des Politikers, der sich gerne als Brückenbauer gibt. Einer, der zusammenschweißen möchte. In der Vergangenheit beispielsweise als Bundeslandwirtschaftsminister, der das Gespräch mit wütenden Landwirten suchte. Oder als urbaner Stuttgarter mit ländlicher Herkunft in Bad Urach.
In seiner neuesten Rolle als Spitzenkandidat für die Landtagswahl in Baden-Württemberg muss er seine Partei zusammenschweißen, Realos und Fundis hinter sich vereinen. Er selbst steht für Pragmatismus. Keine Überraschung also, dass er beim Verbrenner-Aus nicht auf das Jahr 2035 pochen möchte: „Entscheidend ist nicht, ob wir eine Punktlandung schaffen, es ein Jahr früher oder später schaffen. Entscheidend ist, der Pfad muss stimmen,“ sagt Özdemir beim kriselnden Autobauer in Neckarsulm.
Özdemir inszeniert sich als Krisenmanager
Bei Audi dürften sich die Verantwortlichen über solche Aussagen freuen. Das Unternehmen möchte über 2033 hinaus Verbrenner bauen. Viele in seiner Partei dürfte er damit verprellen. Für Özdemir aber ist die Inszenierung als pragmatischer Krisenmanager wichtiger – ähnlich wie es beim amtierenden grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann der Fall ist.
Zum Auftakt von Özdemirs einwöchigen Besuchen in Baden-Württemberg ist Krise jedenfalls omnipräsent. Die SuedLink-Baustelle in Heilbronn zeigt, wie sich die Energiewende hinzieht. Eigentlich war die Stromtrasse mal für 2022 geplant. Jetzt soll sie Ende 2028 in Betrieb genommen werden und grünen Windstrom in den Süden bringen. Unter anderem weil der Süden beim Windkraftausbau hinterherhinkt.
Grüne stecken in Vertrauenskrise
Özdemir weiß, was Krise heißt. Schließlich steckt seine Partei selbst in einer. Die Ära Kretschmann dämmert dem Ende entgegen und Umfragewerte von rund 20 Prozent sorgen bei den Grünen nicht für leuchtende Augen. Bundesweit gesehen ein guter Wert, aber in Baden-Württemberg weit entfernt von gefeierten Rekordergebnissen von mehr als 30 Prozent.
Groß ist auch der Abstand zur CDU, dem aktuell noch kleinen Koalitionspartner. Im Auftrag des SWR hat Infratest dimap die Menschen für den Baden-Württemberg Trend im Mai gefragt, welche Partei die nächste Landesregierung führen soll. 42 Prozent sind für die Christdemokraten und 29 Prozent für die Grünen.
Der Grund liegt auf der Hand. Die Menschen vertrauen den Grünen in zentralen Politikfeldern kaum. Bei Sicherheit, Digitalisierung, Asylpolitik, Wirtschaft oder Bildung hängt die CDU die Partei von Kretschmann mitunter deutlich ab. Laut der SWR-Umfrage übertrifft die AfD in manchen der genannten Bereiche die Grünen ebenfalls. Einziger Spitzenplatz: Klimaschutz mit 45 Prozent. Doch im Vergleich zur Landtagswahl 2021 satte 15 Prozent weniger.
Özdemir punktet mit Bekanntheit
Die Partei schwächelt, doch Özdemirs persönliche Werte können sich sehen lassen: 39 Prozent hätten ihn gerne als Ministerpräsidenten, 18 seinen Konkurrenten Manuel Hagel. Das Potential zum grünen Kronprinzen nach Kretschmann ist also vorhanden. Doch Bekanntheit allein macht noch keinen Wahlsieger.
Wenig überraschend stellt sich Özdemir zum Auftakt also Krisen wichtiger baden-württembergischer Wirtschaftszweige. Ebenfalls logisch, dass er am Montagabend zum Weinfest nach Lauffen am Neckar geht. als ehemaliger Bundeslandwirtschaftsminister ist Özdemir klar: Der deutschlandweite Weinkonsum und auch der Anbau in Baden-Württemberg sind rückläufig.
Winzer fordern schon lange Hilfe der Landespolitik gegen EU-Regeln zum Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Ein weiteres heikles Thema für einen grünen Spitzenkandidaten. Land und Stadt, Ökologie und Ökonomie, Nachhaltigkeit und Energie: Als Spitzenkandidat muss Özdemir wesentlich mehr zusammenbringen als nur seine Partei. Beim Schweißen in Neckarsulm hat er 84 Punkte erreicht. Die Azubis benötigen 90 zum Bestehen. Bis zur Landtagswahl am 8. März wird Özdemir noch einige Tests absolvieren müssen.