Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast. Ein provokanter Satz, der fälschlicherweise dem britischen Staatsmann Winston Churchill zugeschrieben wird, aber korrekt die bisweilen manipulative Wirkung statistischer Erhebungen thematisiert. Vorsicht ist geboten. Natürlich hat das Kraftfahrt-Bundesamt die Zulassungszahlen für Wiesbaden nicht gefälscht. Aber auch korrekte Zahlen müssen sorgsam interpretiert werden, um daraus aussagekräftige Schlussfolgerungen ziehen zu können. Alles andere ist eine Schlamperei.

Tatsächlich fällt Wiesbaden im Hinblick auf die Zulassungszahlen deutscher Großstädte nicht negativ auf. Der Alltagsverkehr mit dem Auto, auf das viele nicht verzichten können oder wollen, wird von den Bürgern und auswärtigen Besuchern dennoch als mittlere Katastrophe empfunden. Das liegt nicht nur an den jährlich 5000 Baustellen und nicht planbaren Hindernissen wie dem jüngsten Wasserrohrbruch auf einer Verkehrsader unweit des Hauptbahnhofs.

Es liegt auch an der rational nicht erklärbaren Aversion der Wiesbadener gegen ein hochfunktionales Massentransportmittel wie die Straßenbahn. Daran ändert der für jeden Wiesbadener Bürger sichtbare Erfolg und stete Ausbau der Tram in der Nachbarstadt Mainz leider nichts. Die FDP wird wohl abermals versuchen, im bald beginnenden Kommunalwahlkampf die Tram zu verteufeln, um Stimmen zu gewinnen. Dabei traut sich der grüne Verkehrsdezernent Andreas Kowol gar nicht, die Rückkehr der Straßenbahn zu thematisieren, obwohl das längst geboten wäre. Nicht nur, weil die Bindungswirkung des Bürgerentscheids abgelaufen ist. Der politisch von einer großen Mehrheit im Stadtparlament gewünschte neue Stadtteil Ostfeld ist ohne eine Schienenanbindung nicht vorstellbar.

Dass vor der Kommunalwahl ernsthafte und realisierbare Vorschläge diskutiert werden, wie die Ostfeld-Bewohner per Schiene vorzugsweise auch die Innenstadt erreichen können, ist nicht zu erwarten. „Stadtbahn“ und „Citybahn“ sind die nicht bewältigten Traumata einer deutschen Landeshauptstadt. Auch eine reaktivierte Aartalbahn in den Taunus wird – falls sie denn jemals realisiert werden kann – eine im dichten Takt fahrende Straßenbahn nicht ersetzen können. Wenn sich die Verkehrspolitiker nicht anders besinnen, wird Wiesbaden eine Autofahrerstadt bleiben, mit allen negativen Folgen für die City.

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