Mainz& exklusiv: Waren die Grundstücksverkäufe im gesamten Mainzer Zollhafen illegal? Den Vorwurf erhebt nun eine neue Strafanzeige der Freien Wählergemeinschaft Mainz, die am 3. Juli an die Staatsanwaltschaft Koblenz ging. Der Vorwurf: Das Geschäftskonstrukt rund um die Zollhafen Mainz GmbH sei eine Art „Strohmann-Konstrukt“, um Zustimmungs- und Ausschreibungspflichten der öffentlichen Hand zu umgehen. Die Anzeige lautet unter anderem auf Verdacht der Untreue, auf Vorteilsgewährung und Bestechlichkeit. Die Beschuldigten: der frühere und heutige Stadtwerke-Vorstand, der Mainzer Finanzdezernent Günter Beck (Grüne) – und Innenminister Michael Ebling (SPD).

Der Mainzer Zollhafen im Jahr 2013 vor seiner Entwicklung als Stadtquartier. - Foto: gik Der Mainzer Zollhafen im Jahr 2013 vor seiner Entwicklung als Stadtquartier. – Foto: gik

Mitte Mai hatte diese Zeitung exklusiv und als erste über eine Strafanzeige wegen des Verkaufs der Marina im Mainzer Zollhafen berichtet. Gutachten renommierter Wirtschaftsexperten hatten im Zuge der Anzeige den Wert des Yachthafens im Zollhafen auf zwischen 6 bis 11 Millionen Euro geschätzt, verkauft wurde die sehr gut laufende Marina indes für gerade einmal 86.000 Euro, die Koblenzer Staatsanwaltschaft sah dennoch keinen Anfangsverdacht für Untreue. Im Zuge der Recherchen wurde klar: Der Verkauf der Marina an die beiden Geschäftsführer Jochen Hener und Hanns-Detlev Höhne geschah unter fragwürdigen Umständen und weit unter Marktwert – und ohne jede Ausschreibung.

Ende Juni hatte Mainz& dann von neuen, brisanten Unterlagen berichtet, die ein unbekannter Whistleblower wegen der Berichterstattung über den Verkauf der Marina der Frankfurter Anwaltskanzlei Squire Patton Boggs zuschickte – nun ist klar: diese Unterlagen haben es in sich. Am 3. Juli 2025 reichte der Vorsitzende der Freien Wählergemeinschaft Mainz (FWG), Gerhard Wenderoth eine neue Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft in Koblenz ein, der Vorwurf darin: Verdacht der Untreue und der Bestechlichkeit, der Vorteilsgewährung sowie möglicher Vorstöße gegen das Vergaberecht im Zusammenhang mit der Vermarktung und des Verkaufs der Grundstücke im Mainzer Zollhafen.

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Die Gretchenfrage: Zollhafen GmbH – privat oder öffentlich?

Der Mainzer Zollhafen war bis zum Jahr 2013 ein großer Binnenhafen, in dem vor allem Container umgeschlagen wurden. Bereits im Juli 2005 gab es die Idee einer Umwidmung in einen „Kultur- und Wohnhafen“, im Jahr 2013 wurde der Zollhafen dann tatsächlich als Industriehafen offiziell entwidmet und danach durch einen 2014 verabschiedeten Bebauungsplan in ein allgemeines Wohngebiet beziehungsweise in ein Wohn-Misch-Gebiet umgewandelt.

Das Wohngebiet Mainzer Zollhafen 2021 mit den Schiffshäusern auf der Südmole im Vordergrund sowie weiteren Neubauten. - Foto: Zollhafen Mainz GmbH Das Wohngebiet Mainzer Zollhafen 2021 mit den Schiffshäusern auf der Südmole im Vordergrund sowie weiteren Neubauten. – Foto: Zollhafen Mainz GmbH

Damit war der Weg frei für die Entwicklung eines neuen Wohngebietes in Mainz – und für die Vermarktung der dortigen Grundstücke. Das Hafenareal gehörte den Mainzer Stadtwerken, die gründeten für die Vermarktung die Zollhafen Mainz GmbH, und zwar unter Beteiligung der privaten Immobilienvermarktungsfirma CA Immo Deutschland GmbH. Und nun wird es interessant: Die private CA Immo bekam nämlich 50,1 Prozent der Anteile an der Zollhafen Mainz GmbH, die Mainzer Stadtwerke hingegen nur 49,9 Prozent – damit galt die Zollhafen Mainz GmbH als privatwirtschaftliche Gesellschaft.

Mit dem Argument der „Privatwirtschaft“ verweigerte die Stadt Mainz ebenso wie die Stadtwerke Mainz bisher denn auch sämtliche näheren Auskünfte zum Verkauf der Marina im Zollhafen sowie zu näheren Geschäftshintergründen und Erlösen, die Anzeige der Freien Wähler behauptet nun: zu Unrecht. Denn: Die tatsächliche Geschäftsführung im Mainzer Zollhafen liegt bei einer zweiten Gesellschaft, der Mainzer Hafen GmbH. Und an dieser halten Stadtwerke und CA Immo jeweils genau 50 Prozent der Anteile, den Vorsitz in der Gesellschafterversammlung haben jedoch die Mainzer Stadtwerke.

 

FWG: Mainzer Stadtwerke haben Kontrolle über Zollhafen-Geschäfte

Die FWG schließt daraus nun: Das Sagen im Mainzer Zollhafen hat nicht die Zollhafen Mainz GmbH, sondern die Mainzer Hafen GmbH – und dort haben die Mainzer Stadtwerke die Oberhand. Das aber hätte laut FWG gravierende Folgen: Haben die Mainzer Stadtwerke die Mehrheit und das Sagen in den Gesellschaften, dann seien die dort getätigten Geschäfte eben Geschäfte eines Unternehmens der öffentlichen Hand – und damit wären sie zwingend auszuschreiben und unterlägen den Zustimmungs- und Kontrollpflichten der öffentlichen Gremien.

Wer hat die Oberhoheit über die Geschäfte im Mainzer Zollhafen? Die Freie Wählergemeinschaft sagt: Die Mainzer Stadtwerke - ein Unternehmen der öffentlichen Hand. - Foto: gikWer hat die Oberhoheit über die Geschäfte im Mainzer Zollhafen? Die Freie Wählergemeinschaft sagt: Die Mainzer Stadtwerke – ein Unternehmen der öffentlichen Hand. – Foto: gik

Brisant dabei: Knapp 30 Baufelder mit einem Bruttobauland von 22 Hektar Größe werden von Seiten der Zollhafen Mainz GmbH vermarktet, ein Großteil ist längst verkauft und bebaut – die FWG schätzen die Erlöse auf mindestens 300 Millionen Euro. Nur: Über den Verbleib der Gelder wurde bislang öffentlich keine Rechenschaft abgelegt, mit dem Argument, es handele sich ja um ein privatwirtschaftliches Unternehmen.

Genau das bestreitet die Anzeige der FWG nun: „Die Mainzer Stadtwerke AG haben entgegen der nominellen Beteiligungsquote sowohl die wirtschaftliche, strategische als auch die tatsächliche Kontrolle über die Zollhafen Mainz GmbH“, heißt es in der Anzeige, die Mainz& vorliegt. Die Zollhafen GmbH handele „im Interesse und unter Kontrolle“ der Mainzer Stadtwerke, so wie auch schon beim Verkauf der Marina: Deren Verkauf wurde im März 2021 final durch einen Umlaufbeschluss des Stadtwerke-Vorstands besiegelt und genehmigt, der Mainz& vorliegt.

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Grundstücksverkäufe müssen „angemessen und marktgerecht“ sein

Als Gründe nennt die Anzeige gleich eine ganze Reihe von Indizien: Vereinbart worden sei zwischen den Gesellschaftern Stadtwerke und CA Immo nämlich eine „disproportionale Gewinnbeteiligung“, heißt es in der Anzeige, das heißt: Die Gewinne werden nicht entsprechend der prozentualen Anteile der Gesellschafter ausgeschüttet – in diesem Fall hätte die Immobilienfirma 50 Prozent der Erlöse bekommen müssen. Stattdessen bekomme die CA Immo offenbar ein Honorar für ihre Leistungen, auch das sei ein Hinweis darauf, dass beide Gesellschafter eben nicht gleichberechtigt seien.

Anzeige der Zollhafen Mainz GmbH zum Verkauf der Baufelder auf der Nordmole. - Foto: Zollhafen Mainz GmbHAnzeige der Zollhafen Mainz GmbH zum Verkauf der Baufelder auf der Nordmole. – Foto: Zollhafen Mainz GmbH

Zudem werde der gesamte Zahlungsverkehr auch über Konten der Mainzer Stadtwerke abgewickelt, so die Anzeige weiter – all das zusammen lasse nur eine Schlussfolgerung zu: Die Stadtwerke Mainz hätten von Anfang an die eigentliche Kontrolle über beide Zollhafen-Firmen und damit über die Entwicklung und die Verkäufe im Mainzer Zollhafen gehabt. Aus Sicht der FWG hieße das aber: Damit wären auch die Geschäftstätigkeiten im Mainzer Zollhafen Geschäfte eines Unternehmens der öffentlichen Hand – der Mainzer Stadtwerke – und unterlägen damit zwingend denselben Pflichten.

Dazu gehörten laut Gemeindeordnung die Pflicht zur Ausschreibung und das Wirtschaftlichkeitsgebot, „Verkäufe müssen angemessen, marktgerecht und zum Vorteil der Allgemeinheit erfolgen“, heißt es in der Anzeige. Auch Beteiligungsverkäufe bedürften der einer fundierten Unternehmensbewertung, etwa durch externe Gutachten, die Entscheidung müsse „dokumentiert, nachvollziehbar und genehmigt sein“ – etwa durch Aufsichtsrat oder gegebenenfalls auch den Stadtrat. Tatsache ist: die Grundstücksverkäufe im Mainzer Zollhafen wurden weder durch öffentliche Ausschreibungen vergeben, noch durch Genehmigungen im Mainzer Stadtrat.

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„Strohmann-Konstruktion“ zur Umgehung von Ausschreibungen?

Wurden also sämtliche Grundstücksverkäufe im Mainzer Zollhafen illegal getätigt? Das ist der Vorwurf, den die FWG in ihrer Anzeige implizit erhebt – zudem werfen sie den Stadtwerken Mainz und der damaligen Stadtführung bewusste Täuschung vor. Die Konstruktion der Zollhafen Mainz GmbH & Co., KG sei zwar „nicht per se rechtswidrig“, aber „rechtlich und im Sinne der Compliance sensibel und korruptionsanfällig“, heißt es in der Anzeige weiter. Die Konstruktion unter Zuhilfenahme eines Privatunternehmens bei gleichzeitiger Sicherung der Kontrolle für das öffentliche Unternehmen, lege einen brisanten Verdacht nahe: Es handele sich um „eine Strohmann-Konstruktion“.

Der damalige Mainzer Oberbürgermeister und heutige Innenminister Michael Ebling (SPD) im Juni 2020 beim Baustart auf der Nordmole im Mainzer Zollhafen. - Foto: gikDer damalige Mainzer Oberbürgermeister und heutige Innenminister Michael Ebling (SPD) im Juni 2020 beim Baustart auf der Nordmole im Mainzer Zollhafen. – Foto: gik

Im Klartext: Die Anzeige wirft den Stadtwerken und der damaligen Stadtführung vor, das Konstrukt bewusst gewählt zu haben, um Zustimmungspflichten für öffentliche Unternehmen zu umgehen, sich gegen Kontrollgremien und Öffentlichkeit „abzuschotten“ und Ausschreibungspflichten zu umgehen. „Es besteht der begründete Verdacht, dass durch die gewählte Konstruktion sowohl Informationsrechte des Stadtrats als auch haushaltsrechtliche Kontrollpflichten systematisch umgangen wurden“, heißt es wörtlich – kurz: Vermarktung und Verkauf wurden an den Bürgern von Mainz vorbei abgewickelt, obwohl es sich um Grundstücke aus öffentlichem Eigentum handelte.

Die Anzeige beschuldigt denn auch sämtliche leitende Akteure rund um Mainzer Stadtwerke und Stadtvorstand: den ehemaligen Vorstandschef der Mainzer Stadtwerke, Hanns-Detlev Höhne, ebenso wie seinen Nachfolger Daniel Gahr, Ex-Vorstand Tobias Brosze sowie den Mainzer Finanzdezernenten Günter Beck (Grüne) in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der Zentralen Beteiligungsgesellschaft der Stadt Mainz (ZBM). Besonders brisant: Die Anzeige wegen Verdachts der Untreue, Vorteilsgewährung, Bestechlichkeit und möglicher Verstöße gegen das Vergaberecht richtet sich auch an Michael Ebling (SPD) – damals Oberbürgermeister der Stadt Mainz und heute Innenminister des Landes Rheinland-Pfalz.

 

FW fordern Aufklärung: Wer genehmigte Ausschreibungsverzicht?

Zur Begründung der Anzeige reicht die FWG eine ganze Reihe von Unterlagen ein, die Mainz& exklusiv vorliegen. Darunter sind auch Protokolle von Gesellschafterversammlungen, aus denen unter anderem die disproportionale Gewinnverteilung sowie eine Honorarregelung für die CA Immo hervorgehen. Endgültige Klärung könnte indes wohl nur der Konsortialvertrag zwischen den Gesellschaftern geben – der aber ist geheim.

Die ersten Fragen tauchten Mitte Mai 2025 rund um den Verkauf der Marina im Mainzer Zollhafen auf. - Foto: gikDie ersten Fragen tauchten Mitte Mai 2025 rund um den Verkauf der Marina im Mainzer Zollhafen auf. – Foto: gik

Die Freien Wähler fordern nun am Mittwoch im Mainzer Stadtrat Aufklärung – mit einer Liste von 17 Fragen. Dazu gehören Fragen wie, wer genau die Geschäftsführung im Mainzer Zollhafen hat, welche Rolle die Mainzer Stadtwerke dabei spielen, ob Aufsichtsräte und Stadtrat den Konsortialvertrag überhaupt kennen – ob die städtischen Aufsichtsgremien wissentlich auf ihre Informations-, Entscheidungs- und Kontrollrechte verzichtet haben. Denn die Mainzer Stadtwerke hätten mit dem Firmenkonstrukt  „den Verkaufsprozess dem öffentlichen Vergaberecht, der Kontrolle durch die Stadt Mainz mit Ihren gewählten Gremien und einer Prüfung durch den Landesrechnungshof“ entzogen.

Vor allem aber wollen die Freien Wähler wissen: Wer genau hat damals „geprüft und entschieden, dass auf öffentliche Ausschreibungen im Verkaufsprozess verzichtet werden kann?“ Wie hoch seien denn nun die Verkaufserlöse und die Gewinne im Zollhafen – und welchen Nutzen hatten davon die Mainzer Stadtwerke und damit die Mainzer Bürger? Und nicht zuletzt: „Hat der Stadtvorstand und/oder der Oberbürgermeister die bisherigen Verkäufe auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft?“

Info& auf Mainz&: Mehr zu den Vorgängen rund um den Verkauf der Marina im Mainzer Zollhafen lest Ihr ausführlich hier bei Mainz&.

Mainz& exklusiv: Neue brisante Unterlagen zum Verkauf der Marina im Mainzer Zollhafen aufgetaucht – Stadt Mainz verweigert Antworten