Riga. Am ersten Tag des neuen Schuljahres gab es für Moskauer Eltern und Schüler gleich eine deutliche Ansage: „Alle Schul- und Eltern-Gruppenchats in Moskauer Schulen müssen zu Beginn des kommenden Schuljahres auf den russischen Kurznachrichtendienst ‚Max‘ umgestellt werden“, ordnete die stellvertretende Bürgermeisterin für soziale Entwicklung, Anastasia Rakowa, an. Die Kommunalpolitikerin bezog sich dabei auf ein im Juni verabschiedetes Gesetz, das „Max“ als „nationalen Messenger“ Russlands festlegt.
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Das bedeutet vor allem, dass die Chat-Plattform, die auch als Ausweisdokument dienen soll, fortan auf allen elektronischen Geräten wie Smartphones, Tablets und Notebooks vorinstalliert sein wird, die in Russland verkauft werden. Laut der Regierung soll „Max“ das Leben erleichtern: Nutzer können von der App Gebrauch machen, um staatliche Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen und Dokumente mit einer digitalen Unterschrift zu unterzeichnen. Sie können mit ihr sogar ohne Reisepass in ein Hotel einchecken. Auch alle Bildungsangebote werden auf den Messenger verlagert.
Experten befürchten allerdings, dass die Anwender Gefahr laufen, künftig ihre gesamte Korrespondenz gegenüber den Behörden offenzulegen und ihre Daten an die Sicherheitsdienste weiterzuleiten. Möglicherweise könnte „Max“ zudem als soziales Bewertungsinstrument nach chinesischem Vorbild dienen.
Experten warnen: „Max“ ist potenzielles Überwachungswerkzeug
Wer sich dem nicht aussetzen will, kann weiterhin alternative Messenger-Dienste nutzen. Als das Gesetz zur Einführung von „Max“ im Juni durch das Parlament ging, betonte Sergej Bojarskij, Vorsitzender des IT-Ausschusses der Duma, dass „WhatsApp“ und „Telegram“ weiterhin zur Verfügung stünden. Wenn das nicht der Fall wäre, müssten die Gesetzgeber auch mit erheblichem Widerstand der Nutzer rechnen. Denn sie repräsentieren die Macht der Masse: Nach Angaben des russischen Medien-Monitoring-Unternehmens „Mediascope“ stand WhatsApp im April 2025 mit einer monatlichen Nutzerzahl von 97,4 Millionen Menschen an erster Stelle der meistbesuchten Internetangebote Russlands. Pikant: „WhatsApp“ wird vom „Facebook“-Mutterkonzern „Meta“ betrieben, der von den russischen Behörden als „extremistisch“ eingestuft wurde und dessen sozialen Netzwerke „Instagram“ und „Facebook“ im russischen Internet geblockt sind.
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Auf den zweiten Platz des Mediascope-Rankings kam das russische „Facebook“-Pendant „VKontakte“ (93,8 Millionen Nutzer pro Monat), das unter staatlicher Kontrolle ist und hinter „Max“ steht. Auf der dritten Position rangierte der Kurznachrichtendienst „Telegram“ (90,5 Millionen) des schillernden Tech-Milliardärs Pawel Durow, der in Dubai residiert.
Allerdings will die russische Regierung die Bürger mit sanftem Druck dazu bewegen, zu „Max“ zu wechseln. Denn staatliche Dienstleistungen, wie Meldebestätigungen oder Anmeldungen von Kfz-Kennzeichen, sollen per Messaging-App nur noch auf der staatlich kontrollierten App möglich sein. Präsident Wladimir Putin unterzeichnete im April ein Gesetz, das ausländischen Anbietern den Zugriff auf behördliche Serviceleistungen (russisch: „Gosuslugi“) verwehrt.
Staatliche Kontrolle durch „Max“: Ein WeChat für Russland?
Mit seinen Ausweis- und Zahlungsfunktionen und dem Zugang zu staatlichen Dienstleistungen funktioniert „Max“ genauso wie der berühmt-berüchtigte Messenger „WeChat“, der als Zensur- und Überwachungsinstrument des chinesischen Staates verrufen ist: „Der Kreml möchte den Erfolg von ‚WeChat‘ kopieren, indem er ‚Max‘ zur wichtigsten Plattform für die Kommunikation zwischen Bürgern und Staat macht“, sagte der Cyber-Rechtsexperte Sargis Darbinjan der unabhängigen Exil-Zeitung „Nowaja Ewropa“.
Der Mitbegründer der russischen Nichtregierungsorganisation „RosKomSvoboda“ glaubt aber nicht, dass „Max“ in Russland dieselbe Position wie die App „WeChat“ in China erreichen kann, die die wichtigste Social-Media-Plattform der Volksrepublik ist: „Ich bezweifle, dass ‚Max‘ wirklich in der Lage sein wird, andere Plattformen in großem Umfang zu verdrängen, an die die Menschen gewöhnt sind und denen sie in Bezug auf die Sicherheit mehr vertrauen.“
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„Signal“ verfüge beispielsweise über eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, „Telegram“ teilweise auch, und „Max“ weise sie überhaupt nicht auf. Die bestehende Kryptografie der russischen App sei vielmehr vom Inlandsgeheimdienst FSB zertifiziert, mit der die Behörden alle Nachrichten entschlüsseln könnten: „Daher wird dies definitiv zu keiner Plattform für den freien Informationsaustausch werden“, betont Darbinjan.
Denn selbst von russischen Nutzern, die bereits ein hohes Maß an Repression gewöhnt seien, würden die Überwachungsmöglichkeiten bei „Max“ als beängstigend empfunden: „Es ist offensichtlich, dass der Messenger alle Anforderungen der russischen Behörden erfüllen wird, betont Darbinjan, „das heißt, er wird Korrespondenzen, Telefonate und ausgehenden Datenverkehr aller Nutzer speichern und diese Daten auf erste Anfrage an Regierungsbehörden weitergeben. Und es wird noch mehr kommen. Es ist möglich, dass der Staat nach chinesischem Vorbild den Messenger als soziales Bewertungsinstrument zur Beurteilung der Bürger einsetzen will. In diesem Sinne wird ‚Max` zu einer idealen Plattform für all diese verrückten Ideen, die ich als Experimente an Menschen bezeichnen würde“, sagt der Experte.
Droht ein Verbot von WhatsApp und Telegram?
Wenn der Staat darüber hinaus erkennen werde, dass „Max“ die Platzhirsche „WhatsApp“, „Telegram“ und andere nicht verdränge, schließe er nicht aus, dass andere Kurznachrichtendienste wie „Max“ einfach geblockt würden, warnt Darbinjan. Der Duma-Abgeordnete Bojarskij, der betont habe, dass dies nicht geschehen werde, sei nur ein „Rädchen im Getriebe“: „Die echten Entscheidungen werden in der Präsidialverwaltung gefällt, und wenn diese beschließt, Messenger zu verbieten, muss Bojarskij das umsetzen“, betont der Experte.
Darbinjan schließt außerdem nicht aus, dass ausländischen Messenger-Diensten dasselbe passieren könnte wie YouTube, das in Russland so stark heruntergedrosselt wurde, dass es kaum noch zu benutzen ist. Die Apps könnten „stranguliert“ und ihre Verbindung künstlich verschlechtert werden. „Das ist die einzige Möglichkeit, die Nutzer irgendwie dazu zu zwingen, von bequemen, vertrauten Plattformen zu einer völlig unbekannten Anwendung zu wechseln, die kein Vertrauen genießt.“