„Reife ist alles“, meint Edgar in Shakespeares König Lear. Inmitten der diplomatischen Bemühungen um eine Beendigung des Krieges zwischen Russland und der Ukraine tut jeder gut daran, sich dies vor Augen zu halten.
Nur selten in der Geschichte war eine Seite in der Lage, einen Krieg zu beenden, indem sie der anderen ihren Willen aufzwingt. In fast allen Fällen wird ein Konflikt erst dann gelöst, wenn es Führungspersönlichkeiten gibt, die sich für eine Einigung statt für fortgesetzte Kämpfe entscheiden. Sie müssen zu Hause stark genug sein, um diese Haltung zu verteidigen. Zudem braucht es eine Formel, die für alle Seiten von Vorteil ist. Und schließlich muss ein diplomatischer Prozess gefunden werden, der von beiden Parteien akzeptiert wird und diese Ziele erreichbar macht.
Die offensichtliche Frage, die sich heute im Zusammenhang mit dem Krieg zwischen Russland und der Ukraine stellt, ist, ob es diese Voraussetzungen gibt. Obwohl US-Präsident Donald Trump Frieden zu einer Priorität erklärt hat, ist es derzeit schwierig, optimistisch zu sein. Russland besetzte schon 2014 die Krim und Teile des ostukrainischen Donbass, und auch dreieinhalb Jahre erneuter Kämpfe, die im Februar 2022 begannen, haben an der Landkarte wenig geändert. Der einzige vorstellbare Frieden wird verhandelt werden müssen, nicht diktiert.
Die diplomatischen Aussichten sind besonders schlecht, wenn es um Russland geht. Präsident Wladimir Putin ist wahrscheinlich stark genug, um im eigenen Land ein Ende des Krieges zu verkaufen, auch wenn er erklären müsste, warum so viele Menschenleben für einen weniger als vollständigen Sieg geopfert wurden. Aber er ist noch nicht bereit, dies zu tun, weil er glaubt, dass er ohne ein Abkommen besser dran ist und die Zeit auf seiner Seite ist. Sein Ziel ist nicht mehr Territorium an sich, sondern das Ende der Ukraine als unabhängiges demokratisches Land mit engen Beziehungen zum Westen, und er hat bisher keine Bereitschaft gezeigt, sich mit weniger zufriedenzugeben. Es ist derzeit auch kein Prozess ersichtlich, den Russland akzeptieren würde. Besonders aufschlussreich ist zudem, dass der Kreml ein Treffen zwischen Putin und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj bisher eine Absage erteilt hat.
Die Ukraine zu zwingen, Territorium aufzugeben, würde Putin für seine Aggression belohnen.
Doch auch auf ukrainischer Seite gibt es Hürden. Die Ukraine hält einen Waffenstillstand für besser als einen anhaltenden Krieg, allerdings nur, solange sie nicht aufgefordert wird, dauerhaft Land an Russland abzutreten. Selenskyj könnte einen solchen Kompromiss jedoch verkaufen, auch wenn viele im eigenen Land verbittert darüber wären, dass Russland weiterhin ukrainisches Territorium besetzen würde.
Ein dauerhafter Frieden zwischen Russland und der Ukraine wäre sicherlich wünschenswert, aber er bleibt schlicht unerreichbar. Eine langfristige Lösung muss jedoch sowohl umsetzbar als auch gewünscht sein. Eine solch ehrgeizige Diplomatie gibt es im Moment jedoch nicht. Darüber hinaus birgt das Streben nach einem dauerhaften Frieden, bevor die Zeit dafür reif ist, eine Reihe von Risiken.
Die Ukraine zu zwingen, Territorium aufzugeben, würde Putin für seine Aggression belohnen und möglicherweise andere mit territorialen Ambitionen dazu verleiten, diese Ziele mit Gewalt zu erreichen. Hinzu kommt die Tatsache, dass die Aushandlung eines solchen Friedens Monate oder Jahre dauern würde, wodurch sich die Kämpfe weiter ausdehnen würden. In der Regel kann der Umfang der diplomatischen Ambitionen nicht größer sein als der Grad der Reife.
Diese Überlegungen machen deutlich, dass die Möglichkeit der Vermittlung eines Waffenstillstands – der Ansatz der USA vor dem Gipfeltreffen zwischen Trump und Putin in Alaska – neu überdacht werden muss. Denn weder Russland noch die Ukraine wären damit glücklich. Die Ukraine würde die Möglichkeit aufgeben, zu versuchen, das von Russland besetzte Gebiet gewaltsam zu befreien. Und Russland würde die Möglichkeit aufgeben, weitere Teile der Ukraine zu besetzen und die dortige Regierung zu stürzen.
Ein Waffenstillstand bietet jedoch für beide Seiten auch Vorteile, die über die Beendigung der Kämpfe hinausgehen. Keine der beiden Seiten müsste ihre langfristigen Ziele aufgeben oder würde daran gehindert, ihr Militär zu verstärken.
Die Verhängung zusätzlicher Wirtschaftssanktionen gegen Russland wäre ebenfalls erforderlich.
Um einen solchen Waffenstillstand herbeizuführen, bedarf es zweierlei: verstärkten Drucks auf Russland und eines langfristigen Engagements für die Ukraine. Ein Großteil davon könnte erreicht werden, indem Trump die unbefristete Bereitstellung von militärischer und nachrichtendienstlicher Unterstützung zusagt, welche die Ukraine benötigt, um eine nachhaltige Verteidigung aufzubauen und Angriffe gegen Ziele in Russland durchzuführen. Die Verhängung zusätzlicher Wirtschaftssanktionen gegen Russland wäre ebenfalls erforderlich – ebenso wie das Versprechen, die Sanktionen zu lockern, wenn Russland sich auf einen Waffenstillstand einlässt.
Einige argumentieren, dass Sicherheitsgarantien auf die Ukraine ausgedehnt werden müssen. Diese Möglichkeit sollte mit Vorsicht genossen werden. Die Ukraine wurde trotz der Zusicherungen, die sie 1994 erhielt, bereits zweimal überfallen. Die einzigen bewährten Zusicherungen in Europa in der Nachkriegszeit waren diejenigen, welche die NATO ihren Mitgliedern gegeben hat – Zusicherungen, die nahezu automatisch erfolgten und durch bedeutende militärische Fähigkeiten der USA und Europas gestützt wurden. Etwas Ähnliches ist für die Ukraine nicht zu erwarten. Europa und die Vereinigten Staaten müssen sich auch genau überlegen, ob sie ihre Politik der indirekten Unterstützung der Ukraine im Austausch für die Entsendung von Flugzeugen und von Bodentruppen aufgeben wollen, was sie in einen Krieg mit Russland hineinziehen könnte. Auch hier scheint Unterstützung im Verteidigungsbereich attraktiver zu sein als Sicherheitsgarantien.
Auf einen Waffenstillstand zu drängen, wäre alles andere als einfach. Es besteht ein reales Risiko, dass der Krieg weitergeht. Im Laufe der Zeit müssten beide Seiten die Vor- und Nachteile einer Fortsetzung der Kämpfe neu abwägen und prüfen, ob sie zu weiteren Kompromissen bereit wären, um den Krieg zu beenden.
Und selbst wenn ein Waffenstillstand zustande käme, bestünde die Gefahr, dass er nicht von Dauer wäre. Eventuell würde er sich lediglich als Pause und nicht als Schritt in Richtung Frieden erweisen. Einem Wiederaufflammen der Kämpfe könnte man vorbeugen, indem man diese Option durch verstärkte Abschreckung unattraktiv macht. Außerdem müssten der Seite, die den Waffenstillstand verletzt, hohe Kosten auferlegt werden.
Es besteht auch die Gefahr, dass der Waffenstillstand von Dauer ist und vorläufige Grenzlinien zu dauerhaften werden. Diese Erfahrung hat man sowohl auf der koreanischen Halbinsel als auch in Zypern gemacht. Dennoch wäre dies weitaus besser als ein anhaltender Krieg. Und eines Tages, wenn sich eine neue Führung herausgebildet hat, könnte sich durchaus die Gelegenheit ergeben, ein Friedensabkommen auszuhandeln. Bis dahin scheint ein dauerhafter Waffenstillstand die beste Option für alle zu sein.
© Project Syndicate