Köln ist laut einer neuen Studie die geselligste Stadt der Welt – hier bleibt kaum jemand allein. Am Ende des Rankings landet ausgerechnet New York. Doch was macht Köln so besonders, dass es im Kampf gegen Einsamkeit alle abhängt?
Einsame Herzen, kommt nach Köln! In der Stadt am Rhein bleibt niemand lange allein. So lautet das Ergebnis einer Studie des Berliner Unternehmens Nova Tech. Es nahm weltweit 25 Metropolen unter die Lupe, die meisten aus Europa und den USA, und untersuchte neun Einflussfaktoren auf das Gefühl, allein zu sein, darunter die örtliche Gesundheitsversorgung sowie die Pflege kultureller Traditionen. So entstand der „World’s Loneliest Cities Index 2025“. Ihm zufolge ist man in Köln weltweit am wenigsten von Einsamkeit bedroht. Am anderen Ende der Skala rangiert New York. Wer dem Alleinsein entfliehen möchte, sollte also überallhin reisen, nur nicht in „die Stadt, die niemals schläft“, wie Frank Sinatra sang.
25 Städte – na gut, das sind nicht viele. Doch erstens beteuern die Macher der Studie, dass es sich bei den Städten um die Finalisten eines Auswahlwettbewerbs handele. Über etliche andere Städte seien nicht genügend aussagekräftige Daten aufzutreiben gewesen. Und zweitens ist es nicht das erste Mal, dass Köln in solch einem Ranking spitzenmäßig wegkommt.
So hatte sich im vergangenen Jahr die Schweizer Online-Plattform „Choice“ für ihren „Loneliness City Index 2024“ die 20 größten deutschen Städte vorgeknöpft. Auch hier: Köln auf Platz eins als geselligste Stadt. Dank eines „starken soziales Gefüges“ und einer „zufriedenen Bevölkerung“ ist die Stadt dem Schweizer Ranking zufolge von allen deutschen Städten diejenige, wo am wenigsten einsame Herzen schlagen.
Haken wir zunächst den ernsten Aspekt der Geschichte ab. Einsamkeit ist ein erhebliches gesellschaftliches Problem. Diesen Sommer veröffentlichte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Statistiken, denen zufolge weltweit jeder sechste Mensch unter Einsamkeit leidet. Soziale Isolation macht laut WHO körperlich krank. Sie erhöht das Risiko von Hirnschlägen, Herzinfarkten, Diabetes, Depressionen, Angstzuständen und Suizid und trägt im Jahr zu rund 900.000 Todesfällen bei.
Die WHO richtete eine Kommission ein, die der Einsamkeit zu Leibe rückt. Nach den Worten ihres Co-Vorsitzenden Vivek Murthy verständigen sich die Menschen seit Jahrtausenden nicht nur über Worte, sondern auch über Körpersprache, Mimik, Stimme, Schweigen. Dies gehe verloren, wenn man vorwiegend mit dem Handy kommuniziert, mahnt er.
Was hat Köln, das andere Städte nicht haben?
Nun zum erfreulichen Aspekt. Köln. Was hat diese Stadt, das andere Städte nicht haben? Anruf bei Henning Krautmacher. Der 1957 geborene Mann mit dem gezwirbelten Schnauzbart gilt als Vorzeigekölner. Von 1986 bis 2022 war er Frontmann der Kultband Höhner. Die Höhner haben Songs herausgebracht, die aus der kölschen Volksseele nicht wegzudenken sind.
Mehr noch: Sie sind kölsche Volksseele. Zum Beispiel: „Hey Kölle – du bes e Jeföhl“. Übersetzt: Hey Köln, du bist ein Gefühl. Oder: „Echte Fründe stonn zesamme“. Echte Freunde halten zusammen. Keinen Schimmer, wie die Höhner es hinbekommen, doch ihre Songs haben eine Art eingebaute Mitsingautomatik. An den Karnevalstagen laufen sie in den Lokalen der Stadt rund um die Uhr. Und alle, wirklich alle grölen mit.
Krautmacher, von seiner Band gerne „Front-Schnäuzer“ genannt, führt den Spitzenplatz im Ranking auf die kölsche Mentalität zurück: „Du musst nicht hier geboren sein, um in den Arm – nicht auf den Arm! – genommen zu werden.“ Wildfremd in einer Kneipe? Kein Problem. „Wenn du nicht griesgrämig deine Ellenbogen ausfährst, wirst du schnell integriert, egal, wo du herkommst und wie du aussiehst.“
In Köln ist die Stimmung grundsätzlich positiv. Obwohl im Zweiten Weltkrieg 1,5 Millionen Bomben auf die Domstadt fielen und das Zentrum zu 95 Prozent in Schutt und Asche legten, lieben die Kölner nämlich ihre Heimat am Rhein, die bis heute mit architektonischen Reizen geizt, dafür aber über einen Überfluss an Häusern verfügt, deren Fassaden verkachelt sind.
Sie lieben ihre Stadt so innig, dass der Lokalpatriotismus in Köln erfunden worden sein könnte. Wie gesagt: Köln ist ein Gefühl. Das Stadtbild? Pah, zweitrangig. Liebe wiederum, auch die zu einer Stadt, ist ansteckend. Etwas, das Menschen verbindet, genau wie Musik und Karneval. „Die Stadt hat Fehler“, räumt Krautmacher ein. „So wie du und ich. Oder der Dom, an dem ständig gearbeitet wird.“
An Fehlern herrscht in Köln wahrlich kein Mangel, denkt man nur an das Debakel um die Sanierung der Oper, die 1,5 Milliarden Euro kostet statt der ursprünglich veranschlagten 250 Millionen. Wohlgemerkt: nur Sanierung. Kein Neubau. Aber gut, das Leben ist ein Fehlersport. Es gilt, mit den Defiziten umzugehen. „Wenn du dir deine Fehler eingestehst und sie teilst, wirst du hier niemals einsam sein“, sagt Krautmacher im Stil eines kölschen Volkspsychologen.
Was allerdings passieren kann: „Begegnest du Menschen, mit denen du abends gefeiert hast, tags darauf im Supermarkt, erkennen sie dich vielleicht nicht wieder. Ist nicht bös’ gemeint.“ Er lacht. „Am Abend nehmen sie dich wieder in den Arm.“ Ein Fall von Kurzzeit-Demenz? Nein, Lebensgefühl. „Wir gucken nicht kilometerweit nach vorne“, sagt der Vorzeigekölner.
In „Viva Colonia“, einem der Alltime-Megahits der Höhner – Krautmacher gab ihn jüngst in Giovanni Zarrellas ZDF-Samstagabendshow zum Besten –, ist es folgendermaßen auf den Punkt gebracht: „Mer lääve dä Augenbleck“. Wir leben den Augenblick.
Das schließt nicht aus, dass auch in Köln, nunmehr doppelt geprüfte Hauptstadt der Geselligkeit, über das Aufstellen sogenannter Plauderbänke diskutiert wird, auf die sich einsame Menschen begeben, um zu signalisieren: Ich wäre bereit für ein Gespräch.
Von Flensburg bis München entwickeln die Städte Konzepte, um das Miteinander zu fördern. Die Landesregierung von NRW beispielsweise präsentierte ein „Fünf-Säulen-Modell“ und versprach, unter anderem „Begegnungsräume auszubauen“. Nova Tech, um auf die Macher der Einsamkeitsstudie zurückzukommen, ist ein IT-Unternehmen. Nach eigenen Angaben entwickelt es „den weltweit ersten emotionalen und menschlichen social companion“. Da darf man gespannt sein – bisher war die Firma für ihre KI-gesteuerten, ähem, Sexpuppen bekannt.
Henning Krautmacher setzt auf ein uraltes Mittel: gemeinschaftliches Lachen. Aktuell probt er für die Theaterkomödie „Endlich wieder lachen“, ein Stück über die Kölner Schauspielerikone Willy Millowitsch. Ende September ist Premiere. Krautmachers Rolle? Er, entwaffnend unbescheiden: „Ich spiele Konrad Adenauer. Und den lieben Gott. Darunter mache ich es nicht.“ Viva Colonia!