„Leinen los für Wasserstoff“ ruft NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur zum Abschied vom Branchentreff im Duisburger Hafen. Das Konferenzschiff verlässt sie, bevor es ablegt. Es ist nicht die erste Aufbruch-Beschwörung an diesem Abend und wird auch nicht die letzte bleiben. Doch sie klingen anders als in den ersten drei Ausgaben des „Hy Summit Rhein-Ruhr“, die Euphorie ist Ernüchterung gewichen. Die Appelle, Kurs zu halten beim Ziel, das Ruhrgebiet zur Pilotregion für eine Wasserstoffwirtschaft mit grüner Industrie zu machen, werden flehender – und wirken dadurch mehr verzweifelt als hoffnungsfroh.
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Daran können auch die prominenten Fürsprecher nichts ändern. Thyssenkrupp-Konzernchef Miguel López ist nach Duisburg gekommen, um ein Plädoyer für Wasserstoff als beste Lösung für die Industrie auf ihrem Weg zu einer klimaneutralen Produktion zu halten. Wasserstoff sei aber nicht nur ein Energieträger, sondern auch „der Schlüssel“, um Grünstrom zu speichern und über weite Strecken zu transportieren. Der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft sei deshalb kein „Nice-to-have“, sondern eine Notwendigkeit für eine saubere und souveräne Energieversorgung in Europa.
Thyssenkrupp-Chef López: „Deindustrialisierung ist eine reale Gefahr vor unserer Haustür“
Doch seine Rede ist gespickt mit Bedingungen, die bisher nicht erfüllt sind: Wasserstoff müsse ausreichend verfügbar und bezahlbar sein, Strom müsse grüner und günstiger werden, damit die Industrie im Land bleibt. „Ohne günstigen grünen Strom wird es keinen wirtschaftlich tragfähigen Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft in Europa geben“, prophezeit López. Statt heute 16 Cent je Kilowattstunde dürfe grüner Strom in Deutschland nur fünf Cent kosten, um wettbewerbsfähig zu werden. „Wenn wir diese Probleme nicht lösen, verstärken wir die Deindustrialisierung“, warnt Lopez, „das ist keine abstrakte Gefahr, sondern eine reale Bedrohung für Arbeitsplätze, Wohlstand und soziale Stabilität – hier, vor unserer Haustür.“
Drei Tage Hy Summit Rhein-Ruhr
Der Hy Summit Rhein-Ruhr wird vom Netzwerk „Hy.Region.Rhein.Ruhr“ und den Wirtschaftsförderungen der Städte Duisburg, Bochum, Dortmund, Essen und Hamm ausgerichtet. Finanziert wird die Initiative von zahlreichen Partnern aus Wirtschaft und Forschung, darunter die Netzbetreiber Amprion und Thyssengas, der Duisburger Hafen und viele andere.
Nach dem ersten Tag in Duisburg geht der Hy Summit am Dienstag, 2. September im Bochumer Ruhrcongress weiter, Tag drei findet erst im kommenden Jahr statt, am 19. Februar in Hamm.
Stattdessen herrscht nahezu Stillstand, seit dem letzten Branchentreff vor einem Jahr habe sich praktisch nichts geändert, sagt Thyssenkrupps Stahlchef Dennis Grimm. Außer, dass die Weltpolitik ihm weitere Knüppel zwischen die Beine geworfen hat. US-Präsident Donald Trump hat die Stahl-Zölle auf 50 Prozent verdoppelt, daran ändert auch der „Deal“ mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nichts. Noch schlimmer ist der Nebeneffekt, dass dadurch mehr chinesischer Stahl nach Europa drängt. Ohnehin plant Thyssenkrupp Steel bereits den Abbau von 11.000 Arbeitsplätzen.
NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) diskutiert beim Hy Summit in Duisburg mit Thyssenkrupp-Steel-Chef Dennis Grimm (re.) und Thyssengas-Manager Thomas Becker über den stockenden Wasserstoff-Hochlauf.
© FUNKE Foto Services | Daniel Attia
Dass sich die Lage für deutschen Hochofenstahl auf Kohlebasis absehbar verbessert, sieht derzeit kein Experte. Auch deshalb geht vielen die Geduld beim stockenden Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft aus, die den Umstieg auf Grünstahl ermöglichen soll. López betont, wie wichtig es sei, Wasserstoff aus Spanien und Portugal gen Norden zu transportieren, Neubaur erläutert, dass Frankreich diese Pipeline blockiert. Was ein Scheitern bedeuten könnte, macht Rasmus Beck deutlich: Der Duisburger Wirtschaftsförderer ruft in einem Forderungspapier an die Politik „die letzte Chance für unseren Stahl“ aus. Es brauche „jetzt klare industriepolitische Leitplanken“, damit der Stahl überleben könne.
Etwas zu düster klingt das alles dem Thyssengas-Geschäftsführer Thomas Becker, er kann immerhin verkünden, dass „die Bagger rollen“. In den Niederlanden hat vor wenigen Tagen der Bau der ersten grenzüberschreitenden Wasserstoff-Pipeline begonnen, die das deutsche Kernnetz an die großen Seehäfen Rotterdam und Amsterdam anschließen soll. „Darauf haben wir uns verständigt und das machen wir jetzt auch“, bekräftigt Becker. Doch der Netzbetreiber hängt dabei ziemlich in der Luft, folgt man dem Thyssengas-Manager in seiner Bestandsaufnahme: Er vermisst sowohl von den potenziellen Wasserstoff-Erzeugern als auch von der Industrie klare Signale, dass sie das neue Netz auch nutzen werden. „Den Erzeugern fehlt die Sicherheit, Abnehmer für ihren Wasserstoff zu finden, den Abnehmern fehlt die Sicherheit, genügend Mengen zu erträglichen Preisen zu erhalten“, so Becker.
Duisburgs Hafenchef Bangen: „Wenn jeder auf perfekte Bedingungen wartet, scheitern wir“
Jeder wartet darauf, dass sich der andere bewegt – das beobachtet auch Duisburgs Hafenchef Markus Bangen. Und sagt klar: „Wenn jeder auf die perfekten Rahmenbedingungen wartet, werden wir beim Wasserstoff-Hochlauf scheitern.“ Bangen fordert deshalb mehr Unternehmergeist bei allen Beteiligten, dazu gehöre es auch, gewisse Risiken einzugehen. So wie der Duisburger Hafen, der auf die Einfuhr von Ammoniak setzt, in dem grüner Wasserstoff gespeichert und am Zielort mit Crackern wieder verfügbar gemacht wird. Auch der Duisport habe dafür keine Erfolgsgarantie.
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Die größten Baustellen sehen die meisten aber in der Bundespolitik. Sie müsse für niedrigere Strompreise sorgen und den Wasserstoffhochlauf „zur Chefsache machen“, wie es der Duisburger SPD-Bundestagsabgeordnete Mahmut Özdemir von Kanzler Friedrich Merz fordert. Bei Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) bemängelt er „Desinteresse“ am Thema Wasserstoff, ebenso NRW-Ministerin Neubaur. Den Eindruck, dass Reiche die Energiewende eher bremse, teilt offenbar auch Hafenchef Bangen. Ohne sie beim Namen zu nennen, beklagt er zum Thema Green Deal in Europa, man könne Brüssel nicht erklären, wenn Berlin nun eine andere Richtung einschlage.
Ministerin Neubaur: Unternehmen brauchen für Transformation „Luft zum Atmen“
Wird konkret über die Sorgen der Stahlindustrie gesprochen, ist den meisten an Deck der MS Rhein Galaxie dagegen eher nach weniger Tempo beim Klimaschutz. Neubaur spricht zwar stets von Defossilisierung statt von Dekarbonisierung, was den Verzicht nicht nur auf Kohle, sondern auch auf Öl und Gas meint. Doch sie fordert von Berlin und Brüssel, den Unternehmen wie Thyssenkrupp auf ihrem Weg zu grüner Technologie mehr „Luft zum Atmen“ zu lassen. Was auch meint: Längere Fristen, in denen etwa die neue DRI-Anlage von Thyssenkrupp mit Gas statt Wasserstoff als Hauptenergieträger laufen darf.
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Denn in den Verträgen mit Land und Bund sind die vollen Fördersummen von insgesamt zwei Milliarden Euro an den Betrieb der Grünstahlanlage mit Wasserstoff ab einem gewissen Zeitpunkt geknüpft, wie das Unternehmen mehrfach erklärt hat. Dass die neue Bundesregierung diese Klauseln lockern könnte, hoffen viele im Thyssenkrupp-Konzern und in der Stahlstadt im Duisburger Norden. Ebenso auf neue Ausnahmen für die Stahlindustrie im europäischen Emissionshandel. Thyssenkrupp erhält wie andere Schwerindustrien auch ihre Verschmutzungsrechte bis 2034 größtenteils geschenkt. Im Handel kosten diese Zertifikate für den Ausstoß einer Tonne CO2 aktuell um die 70 Euro. Müsste Thyssenkrupp sie kaufen, würde das rund 500 Millionen Euro im Jahr kosten – bei einem operativen Gewinn von zuletzt 260 Millionen Euro. Deshalb fordert Thyssenkrupp nun in einem Brief an die EU-Kommission eine Verschiebung in die 40er-Jahre.