Eines der Fotos auf dem Portal eines argentinischen Immobilienmaklers zeigt das Wohnzimmer einer Villa. Um einen Glastisch herum sind einige ältere Möbel angeordnet. Eine Stehlampe wirft zwei Lichtkegel an die Wand. An der Wand hängt hinter einem olivgrünen Samtsofa ein großes Gemälde in einem goldenen Rahmen, das den Blick auf sich zieht. Es stach vor einiger Zeit auch Journalisten der niederländischen Zeitung „Algemeen Dagblad“ ins Auge. Sie erkannten es sofort. Denn es handelt sich nicht um irgendein Gemälde, sondern um das „Porträt einer Dame“ des spätbarocken italienischen Porträtisten Giuseppe Ghislandi.
Das Gemälde gehörte zur Sammlung des jüdischen Kunsthändlers Jacques Goudstikker in Amsterdam, der im Mai 1940 aus den Niederlanden vor den eindringenden Nazis fliehen musste und während der Flucht bei einem Unfall ums Leben kam. Seine Sammlung von mehr als 1100 Kunstwerken, darunter zahlreiche Gemälde alter Meister, fiel den Nazis in die Hände und wurde später zu einem Bruchteil ihres wahren Wertes von Reichsmarschall Hermann Göring aufgekauft.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden rund 200 Werke in Deutschland geborgen und als Teil der niederländischen Nationalsammlung im Rijksmuseum ausgestellt, bevor sie im Jahr 2006 an die einzige überlebende Erbin von Goudstikker, seine Schwiegertochter Marei von Saher, zurückgegeben wurden. Ghislandis „Porträt einer Dame“ befand sich nicht darunter. Erst jetzt wurde es dank der Recherche des „Algemeen Dagblad“ wiederentdeckt.
Die Erbinnen hatten längst Lunte gerochen
Die niederländischen Journalisten waren dem Gemälde schon länger auf der Spur. Ihnen lagen Dokumente aus der Kriegszeit vor, die nahelegten, dass das Bild im Besitz von Friedrich Kadgien war, einem SS-Offizier und Finanzberater von Göring. Kadgien floh 1945 über die Schweiz und Brasilien nach Argentinien, das damals vom Mussolini-Verehrer Juan Perón regiert wurde und wo in der Nachkriegszeit zahlreiche Nazis Zuflucht fanden. Viele von ihnen brachten offenbar auch ihre Kriegsbeute mit. Kadgien wurde in Argentinien ein erfolgreicher Geschäftsmann. In einer amerikanischen Akte, in die die Journalisten Einsicht hatten, tauchte sein Name mit dem Hinweis auf „erhebliche Vermögenswerte“ auf, die „für uns immer noch wertvoll“ sein könnten.
Kadgiens Vermögen, zu dem auch das „Porträt einer Dame“ gehört, ging nach seinem Tod 1979 an seine beiden Töchter. Versuche des niederländischen Journalistenteams, in den vergangenen Jahren mit Kadgiens Töchtern in Kontakt zu treten, scheiterten zunächst. Als der Korrespondent der Zeitung kürzlich persönlich an die Tür des Anwesens in der Küstenstadt Mar del Plata klopfte, um mit einer der Töchter zu sprechen, wurde ihm zwar nicht die Tür geöffnet. Doch fiel ihm auf, dass die Villa zum Verkauf ausgeschrieben war.
Auf der Seite des Maklers entdeckten seine Kollegen das besagte Foto, und so kam plötzlich neue Bewegung in die Sache. Kunstexperten halten es für sehr wahrscheinlich, dass es sich um das Original handelt. Auf einem Foto der Schwestern in den sozialen Medien wurde zudem ein weiteres Kunstwerk aus der Sammlung von Goudstikker entdeckt, ein Stillleben des niederländischen Malers Abraham Mignon aus dem 17. Jahrhundert. Wenig später gelang es dem Journalisten an Ort und Stelle offenbar, mit einer der Töchter in Kontakt zu treten. Auf das Foto mit dem Gemälde angesprochen, soll diese gesagt haben, dass sie nicht wisse, von welchem Gemälde er spreche.
In Wahrheit hatten die Kadgien-Erbinnen jedoch längst Lunte gerochen. Als die argentinische Polizei am vergangenen Dienstag das Anwesen in Mar del Plata durchsuchte, war keines der beiden Gemälde aufzufinden. Die Möbel im Wohnzimmer waren umgestellt worden. Und an der Stelle, an der das „Porträt einer Dame“ hing, zierte offenbar ein Teppich mit Pferden und Naturszenen die Wand. Der Staatsanwalt sagte, dass der Fall nun als mögliche Vertuschung des Schmuggels behandelt werde. Derweil sagte der Anwalt des Goudstikker-Nachlasses, dass die vor 30 Jahren begonnene Suche nach den geraubten Kunstwerken weitergeführt und alle Anstrengungen unternommen würden, um die Sammlung wieder herzustellen.