Chemnitz – Kulturhauptstadt Europas! Das klingt nach einem großen Versprechen: Oper, Hochkultur, ein verbindendes Leitmotiv. Jedenfalls etwas, das halb Europa nach Sachsen zieht. Doch in Chemnitz sieht das Ganze eher aus wie: Stricken, Garagen und ein Motto, das schon beim ersten Lesen in die Kategorie „Wie bitte?“ fällt. „C the unseen“ – so unsichtbar, dass es sofort beim „Sprachpanscher des Jahres“ landete. Platz vier. Glückwunsch.

Das Thema lag eigentlich auf dem Elfmeterpunkt: „Graue Großstadt-Maus wird zur coolen Kulturmetropole. Guck mal Europa, so wird das gemacht!“

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Doch stattdessen feiert man ernsthaft ein Strickfestival, verteilt Kunst in 3000 Garagen und rühmt sich, dass eine Edvard-Munch-Ausstellung aus allen Nähten platzte. Überraschung: Wäre sie ohne das Label „Kulturhauptstadt“ auch. Munch zieht immer. Dafür braucht’s keinen Chemnitzer Kulturzauber.

Hauptsache Englisch

Und: Wenn man schon keinen roten Faden hat, dann wenigstens Anglizismen. „Maker-Advent“ hieß etwa das Weihnachtsprogramm – klingt wie ein Bastelkurs für Hipster, sorgte aber eher für ratlose Gesichter. Oder der „Purple Path“, kein esoterisches Hippie-Happening, sondern ein Skulpturenpfad, den man genauso gut „Weg mit bunten Steinen“ hätte nennen können.

Das Spielzeugmacherfestival in Seiffen vom 29. bis 31. August war Teil der Kulturhauptstadt-Kampagne

Das Spielzeugmacherfestival in Seiffen vom 29. bis 31. August war Teil der Kulturhauptstadt-Kampagne

Foto: IMAGO/Wolfgang Schmidt

Zwei Millionen Besucher wollte man in Chemnitz zählen, nach dem ersten Halbjahr sind 700.000 da gewesen. Kein Flop, aber eben weit weg vom europäischen Glanz. Stattdessen schaffte es die Kulturhauptstadt zuletzt zu allem Überfluss in die Schlagzeilen mit einem Antisemitismus-Eklat: Bei der Street-Art-Schau IBUG mussten Werke nach massiver Kritik abgehängt werden. Statt urbaner Coolness binnen Tagen ein PR-Debakel.

Ministerin trotzdem zufrieden

Natürlich lobt Sachsens Kulturministerin Barbara Klepsch das Ganze trotzdem als Erfolg. Das ist ihr Job. Mehr Übernachtungen, mehr Aufmerksamkeit, alles bestens. Das Industriemuseum meldet Besucherrekorde, Hotels freuen sich über 20 Prozent mehr Buchungen. Alles gut also?

„No Pride in Genocide“ (deutsch: Nicht stolz auf Genozid) und „Deutschland mordet mit“ steht in einer Arbeit von Luke Carter auf dem Streetart-Festival Ibug in Chemnitz. Einige Werke wurden jetzt verhüllt

„No Pride in Genocide“ (deutsch: Nicht stolz auf Genozid) und „Deutschland mordet mit“ steht in einer Arbeit von Luke Carter auf dem Streetart-Festival Ibug in Chemnitz. Einige Werke wurden jetzt verhüllt

Foto: Hendrik Schmidt/dpa

Nicht ganz. Denn die Wahrheit ist: Chemnitz wollte Europa beeindrucken, wollte zeigen, dass die Stadt mehr ist als grauer Sozialismus-Beton und „Hase, Du bleibst hier“-Schlagzeilen. Herausgekommen ist ein Jahr, das bisher vorwiegend im Klein-Klein verheddert. Stricknadeln, Garagen, Sprachpanscherei. Viel Fleiß, wenig Strahlkraft.

Chemnitz hat nun noch ein paar Monate, das Ruder herumzureißen. Aber bislang bleibt vom großen Versprechen „Kulturhauptstadt Europas“ nur eines hängen: C the unseen – und das trifft ziemlich genau, was fehlt: die große Idee.