Straßenbahnhaltestellen sind normalerweise Orte der Eile und Routine. Doch in Leipzig verwandeln sie sich in der ersten Septemberwoche in kleine Bühnen für Begegnung und Kultur. Die Projektwoche „Kulturhaltestellen – bunt(er) warten“, initiiert von der AG Soziokultur Leipzig, bringt kreative Formate direkt in den öffentlichen Raum – niedrigschwellig, kostenlos und offen für alle, so das Ziel.

Dating ohne Speed: Begegnung in der Stadt

An der Haltestelle Raschwitzer Straße im Leipziger Süden steht ein Pavillon mit gedeckten Tischen, Kaffee und Keksen. Hier lädt das Werk 2 am Dienstag und Mittwoch zum Format „Über den Tellerrand“ – eine Art Mini-Speed-Dating. Ziel ist es, Menschen miteinander ins Gespräch zu bringen, die sich sonst nie begegnet wären.

„Es geht darum, Begegnungen zu ermöglichen – mit Menschen unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher Herkunft und auch aus verschiedenen sozialen Blasen“, sagt Projektleiterin Judit Grunewald. „Man soll am liebsten sein eigenes Milieu mal kurz verlassen und sich mit jemand anderem über was auch immer unterhalten.“

Gespräche am Straßenrand

Nicht alle reagieren sofort offen. Viele vermuten zunächst ein Verkaufsangebot. Doch wer sich einlässt, erlebt oft überraschend intensive Gespräche. Mario, ein Teilnehmer, erzählt von seiner generationsübergreifenden Erfahrung: „Sonst spricht man ja nur mit seinem Umfeld – mit fremden Leuten schon gleich gar nicht. Und so ist das ganz interessant, wenn man einer jungen Frau zuhört, die studiert und erfährt, was sie für Pläne hat. Oder was meine Pläne mal waren und wo ich geendet bin.“

Christine, die mit einem Hör-Implantat lebt, berichtet von einem wertvollen Austausch: „Ich bin über meinen eigenen Schatten gesprungen, überhaupt mal sowas zu wagen. Ich bin alleinstehend und dann sind solche Gespräche wichtig – für alte Leute besonders.“

Kultur für alle

Carolin Rothmund ist Leiterin der Kunstvermittlung am Museum der bildenden Künste Leipzig, auch sie sieht eine Chance in dem Projekt: „Im besten Fall sind die Leute interessiert, kommen mit anderen Menschen in Kontakt – und ziehen daraus ein positives Erlebnis.“

Sie verweist auf die Bedeutung von Kultur jenseits der klassischen Institutionen: Stadtteilfeste, mobile Formate oder spontane Aktionen im öffentlichen Raum könnten Menschen erreichen, die sonst keinen Zugang zu kulturellen Angeboten haben.

Kulturhaltestellen in ganz Leipzig

Insgesamt elf soziokulturelle Zentren beteiligen sich mit eigenen Formaten. Am Sonnabend findet das Abschlussfest am Lindenauer Markt statt, bei dem alle Kulturstationen-Programme noch einmal zu erleben sind. Außerdem soll es zwei historische Straßenbahnfahrten geben, die allerdings kostenpflichtig sind. Ermöglicht wird das Projekt der AG Soziokultur durch eine Mischfinanzierung – beteiligt haben sich unter anderem die Stadt Leipzig, die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen, die Leipziger Verkehrsbetriebe und das Haus der Demokratie Leipzig.